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Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 2. Pesth, 1857.

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bodens, die Fenstervorhänge und die Zimmerdecke in
unbestimmten Ausdehnungen und unklaren Umrissen
in ihnen spiegelten. Ich merkte bald, daß, wenn alle
diese Dinge in die Farbe der Abbildungen aufgenom¬
men werden sollten, die dargestellten Gegenstände
wohl an Reichthum und Reiz gewinnen, aber an
Verständlichkeit verlieren würden, so lange man nicht
das Zimmer mit allem, was es enthält, mit malt,
und dadurch die Begründung aufzeigt. Da ich dies
nicht konnte, und mein Zweck es auch nicht er¬
heischte, so entfernte ich alles Zufällige und stark Ein¬
wirkende aus dem Zimmer, und malte dann die Schni¬
zereien, wie sie sich sammt den übergebliebenen Ein¬
wirkungen mir zeigten, um einerseits wahr zu sein,
und um andererseits, wenn ich jede Einwirkung der
Umgebung weg ließe, nicht etwas geradezu Unmög¬
liches an ihre Stelle zu sezen und den Gegenstand
seines Lebens zu berauben, weil er dadurch aus jeder
Umgebung gerückt würde, keinen Plaz seines Daseins
und also überhaupt kein Dasein hätte. Was die wirk¬
liche Ortsfarbe der Schnizereien sei, würde sich aus
dem Ganzen schon ergeben, und müßte aus ihm er¬
kannt werden. Ich wendete bei der Arbeit sehr viele
Mühe auf, und suchte sie so genau, als es meiner

bodens, die Fenſtervorhänge und die Zimmerdecke in
unbeſtimmten Ausdehnungen und unklaren Umriſſen
in ihnen ſpiegelten. Ich merkte bald, daß, wenn alle
dieſe Dinge in die Farbe der Abbildungen aufgenom¬
men werden ſollten, die dargeſtellten Gegenſtände
wohl an Reichthum und Reiz gewinnen, aber an
Verſtändlichkeit verlieren würden, ſo lange man nicht
das Zimmer mit allem, was es enthält, mit malt,
und dadurch die Begründung aufzeigt. Da ich dies
nicht konnte, und mein Zweck es auch nicht er¬
heiſchte, ſo entfernte ich alles Zufällige und ſtark Ein¬
wirkende aus dem Zimmer, und malte dann die Schni¬
zereien, wie ſie ſich ſammt den übergebliebenen Ein¬
wirkungen mir zeigten, um einerſeits wahr zu ſein,
und um andererſeits, wenn ich jede Einwirkung der
Umgebung weg ließe, nicht etwas geradezu Unmög¬
liches an ihre Stelle zu ſezen und den Gegenſtand
ſeines Lebens zu berauben, weil er dadurch aus jeder
Umgebung gerückt würde, keinen Plaz ſeines Daſeins
und alſo überhaupt kein Daſein hätte. Was die wirk¬
liche Ortsfarbe der Schnizereien ſei, würde ſich aus
dem Ganzen ſchon ergeben, und müßte aus ihm er¬
kannt werden. Ich wendete bei der Arbeit ſehr viele
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[376/0390] bodens, die Fenſtervorhänge und die Zimmerdecke in unbeſtimmten Ausdehnungen und unklaren Umriſſen in ihnen ſpiegelten. Ich merkte bald, daß, wenn alle dieſe Dinge in die Farbe der Abbildungen aufgenom¬ men werden ſollten, die dargeſtellten Gegenſtände wohl an Reichthum und Reiz gewinnen, aber an Verſtändlichkeit verlieren würden, ſo lange man nicht das Zimmer mit allem, was es enthält, mit malt, und dadurch die Begründung aufzeigt. Da ich dies nicht konnte, und mein Zweck es auch nicht er¬ heiſchte, ſo entfernte ich alles Zufällige und ſtark Ein¬ wirkende aus dem Zimmer, und malte dann die Schni¬ zereien, wie ſie ſich ſammt den übergebliebenen Ein¬ wirkungen mir zeigten, um einerſeits wahr zu ſein, und um andererſeits, wenn ich jede Einwirkung der Umgebung weg ließe, nicht etwas geradezu Unmög¬ liches an ihre Stelle zu ſezen und den Gegenſtand ſeines Lebens zu berauben, weil er dadurch aus jeder Umgebung gerückt würde, keinen Plaz ſeines Daſeins und alſo überhaupt kein Daſein hätte. Was die wirk¬ liche Ortsfarbe der Schnizereien ſei, würde ſich aus dem Ganzen ſchon ergeben, und müßte aus ihm er¬ kannt werden. Ich wendete bei der Arbeit ſehr viele Mühe auf, und ſuchte ſie ſo genau, als es meiner

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Zitationshilfe: Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 2. Pesth, 1857, S. 376. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer02_1857/390>, abgerufen am 17.05.2024.