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Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 2. Pesth, 1857.

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werden überhaupt die hintersten Stücke der Weltge¬
schichte vergessen, wenn sich vorne neue ansezen, und
ihrer Entwicklung entgegen eilen? Wer wird dann
nach zehntausend Jahren noch von Hellenen oder von
uns reden? Ganz andere Vorstellungen werden kom¬
men, die Menschen werden ganz andere Worte haben,
mit ihnen in ganz anderen Säzen reden, und wir
würden sie gar nicht verstehen, wie wir nicht verstehen
würden, wenn etwas zehntausend Jahre vor uns ge¬
sagt worden wäre, und uns vorläge, selbst wenn wir
der Sprache mächtig wären. Was ist dann jeder
Ruhm? Aber kehren wir zu unserem Gegenstande zu¬
rück, und sehen wir von Egiptern Assirern Indern
Medern Hebräern Persern, von denen Kunde zu uns
herüber gekommen ist, ab, und vergleichen wir uns
nur allein mit der griechisch-römischen Welt, so dürfte
in ihr wirklich mehr einfache Lebensgröße gelegen sein
als in der unsern liegt. Ich verwundere mich oft,
wenn ich in der Lage bin, zu entscheiden, welchen von
beiden ich den Preis geben soll, Cäsars Thaten oder
Cäsars Schriften, wie sehr ich im Schwanken begrif¬
fen bin, und wie wenig ich es weiß. Beides ist so
klar so stark so unbeirrt, daß wir wenig deßgleichen
haben dürften."

werden überhaupt die hinterſten Stücke der Weltge¬
ſchichte vergeſſen, wenn ſich vorne neue anſezen, und
ihrer Entwicklung entgegen eilen? Wer wird dann
nach zehntauſend Jahren noch von Hellenen oder von
uns reden? Ganz andere Vorſtellungen werden kom¬
men, die Menſchen werden ganz andere Worte haben,
mit ihnen in ganz anderen Säzen reden, und wir
würden ſie gar nicht verſtehen, wie wir nicht verſtehen
würden, wenn etwas zehntauſend Jahre vor uns ge¬
ſagt worden wäre, und uns vorläge, ſelbſt wenn wir
der Sprache mächtig wären. Was iſt dann jeder
Ruhm? Aber kehren wir zu unſerem Gegenſtande zu¬
rück, und ſehen wir von Egiptern Aſſirern Indern
Medern Hebräern Perſern, von denen Kunde zu uns
herüber gekommen iſt, ab, und vergleichen wir uns
nur allein mit der griechiſch-römiſchen Welt, ſo dürfte
in ihr wirklich mehr einfache Lebensgröße gelegen ſein
als in der unſern liegt. Ich verwundere mich oft,
wenn ich in der Lage bin, zu entſcheiden, welchen von
beiden ich den Preis geben ſoll, Cäſars Thaten oder
Cäſars Schriften, wie ſehr ich im Schwanken begrif¬
fen bin, und wie wenig ich es weiß. Beides iſt ſo
klar ſo ſtark ſo unbeirrt, daß wir wenig deßgleichen
haben dürften.“

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[352/0366] werden überhaupt die hinterſten Stücke der Weltge¬ ſchichte vergeſſen, wenn ſich vorne neue anſezen, und ihrer Entwicklung entgegen eilen? Wer wird dann nach zehntauſend Jahren noch von Hellenen oder von uns reden? Ganz andere Vorſtellungen werden kom¬ men, die Menſchen werden ganz andere Worte haben, mit ihnen in ganz anderen Säzen reden, und wir würden ſie gar nicht verſtehen, wie wir nicht verſtehen würden, wenn etwas zehntauſend Jahre vor uns ge¬ ſagt worden wäre, und uns vorläge, ſelbſt wenn wir der Sprache mächtig wären. Was iſt dann jeder Ruhm? Aber kehren wir zu unſerem Gegenſtande zu¬ rück, und ſehen wir von Egiptern Aſſirern Indern Medern Hebräern Perſern, von denen Kunde zu uns herüber gekommen iſt, ab, und vergleichen wir uns nur allein mit der griechiſch-römiſchen Welt, ſo dürfte in ihr wirklich mehr einfache Lebensgröße gelegen ſein als in der unſern liegt. Ich verwundere mich oft, wenn ich in der Lage bin, zu entſcheiden, welchen von beiden ich den Preis geben ſoll, Cäſars Thaten oder Cäſars Schriften, wie ſehr ich im Schwanken begrif¬ fen bin, und wie wenig ich es weiß. Beides iſt ſo klar ſo ſtark ſo unbeirrt, daß wir wenig deßgleichen haben dürften.“

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Zitationshilfe: Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 2. Pesth, 1857, S. 352. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer02_1857/366>, abgerufen am 22.11.2024.