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Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 2. Pesth, 1857.

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gebracht," antwortete sie, "jezt sind wir schon einige
Male in dem Sternenhofe geblieben, und zwei Mal
haben wir eine Reise gemacht."

"Habt ihr außer Klotilden keine andere Schwe¬
ster?" fragte sie, nachdem wir wieder ein Weilchen
geschwiegen hatten.

"Ich habe keine andere," erwiederte ich, "wir sind
nur zwei Kinder, und das Glück, einen Bruder zu
besizen, habe ich gar nie kennen gelernt."

"Und mir ist wieder das Glück eine Schwester zu
haben nie zu Theil geworden," antwortete sie.

Die Sonne war schon untergegangen, die Däm¬
merung trat ein, und wir waren immer sizen geblie¬
ben. Endlich stand sie auf, und langte nach ihrem
Hute, der in dem Grase lag. Ich hob denselben auf,
und reichte ihn ihr dar. Sie sezte ihn auf, und schickte
sich zum Fortgehen an. Ich both ihr meinen Arm.
Sie legte ihren Arm in den meinigen, aber so leicht,
daß ich ihn kaum empfand. Wir schlugen nicht den
Weg auf den Anhöhen hin zu dem Gartenpförtchen
ein, das in der Nähe des Kirschbaumes ist, sondern
wir gingen auf dem Pfade, der von der Felderrast
zwischen dem Getreide abwärts läuft, gegen den
Meierhof hinab. Wir sprachen nun gar nicht mehr.

gebracht,“ antwortete ſie, „jezt ſind wir ſchon einige
Male in dem Sternenhofe geblieben, und zwei Mal
haben wir eine Reiſe gemacht.“

„Habt ihr außer Klotilden keine andere Schwe¬
ſter?“ fragte ſie, nachdem wir wieder ein Weilchen
geſchwiegen hatten.

„Ich habe keine andere,“ erwiederte ich, „wir ſind
nur zwei Kinder, und das Glück, einen Bruder zu
beſizen, habe ich gar nie kennen gelernt.“

„Und mir iſt wieder das Glück eine Schweſter zu
haben nie zu Theil geworden,“ antwortete ſie.

Die Sonne war ſchon untergegangen, die Däm¬
merung trat ein, und wir waren immer ſizen geblie¬
ben. Endlich ſtand ſie auf, und langte nach ihrem
Hute, der in dem Graſe lag. Ich hob denſelben auf,
und reichte ihn ihr dar. Sie ſezte ihn auf, und ſchickte
ſich zum Fortgehen an. Ich both ihr meinen Arm.
Sie legte ihren Arm in den meinigen, aber ſo leicht,
daß ich ihn kaum empfand. Wir ſchlugen nicht den
Weg auf den Anhöhen hin zu dem Gartenpförtchen
ein, das in der Nähe des Kirſchbaumes iſt, ſondern
wir gingen auf dem Pfade, der von der Felderraſt
zwiſchen dem Getreide abwärts läuft, gegen den
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[320/0334] gebracht,“ antwortete ſie, „jezt ſind wir ſchon einige Male in dem Sternenhofe geblieben, und zwei Mal haben wir eine Reiſe gemacht.“ „Habt ihr außer Klotilden keine andere Schwe¬ ſter?“ fragte ſie, nachdem wir wieder ein Weilchen geſchwiegen hatten. „Ich habe keine andere,“ erwiederte ich, „wir ſind nur zwei Kinder, und das Glück, einen Bruder zu beſizen, habe ich gar nie kennen gelernt.“ „Und mir iſt wieder das Glück eine Schweſter zu haben nie zu Theil geworden,“ antwortete ſie. Die Sonne war ſchon untergegangen, die Däm¬ merung trat ein, und wir waren immer ſizen geblie¬ ben. Endlich ſtand ſie auf, und langte nach ihrem Hute, der in dem Graſe lag. Ich hob denſelben auf, und reichte ihn ihr dar. Sie ſezte ihn auf, und ſchickte ſich zum Fortgehen an. Ich both ihr meinen Arm. Sie legte ihren Arm in den meinigen, aber ſo leicht, daß ich ihn kaum empfand. Wir ſchlugen nicht den Weg auf den Anhöhen hin zu dem Gartenpförtchen ein, das in der Nähe des Kirſchbaumes iſt, ſondern wir gingen auf dem Pfade, der von der Felderraſt zwiſchen dem Getreide abwärts läuft, gegen den Meierhof hinab. Wir ſprachen nun gar nicht mehr.

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Zitationshilfe: Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 2. Pesth, 1857, S. 320. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer02_1857/334>, abgerufen am 25.11.2024.