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Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 2. Pesth, 1857.

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Bruder, eine treue Erinnerung weihe, anheimgefallen
sei, an die Mutter und uns übertragen, sein Haus
sei nun sein Alles, und wir zwei, die Schwester und
ich, sollten verbunden bleiben, und sollten in Nei¬
gung nicht von einander lassen, besonders wenn auch
wir allein sein, und er und die Mutter im Kirchhofe
schlummern würden.

Diese Ermahnung zur Liebe war nicht nöthig;
denn daß wir, die Schwester und ich, uns mehr lieben
könnten, als wir thaten, schien uns nicht möglich,
nur die Eltern liebten wir beide noch mehr, und wenn
eine Anspielung darauf gemacht wurde, daß sie uns
einst verlassen sollten, so betrübte uns das außeror¬
dentlich, und wohin wir die Liebe, die uns dann
zurückfallen sollte, wenden würden, wußten wir sehr
wohl, wir würden sie an gar nichts wenden, sie würde
von selber über die Grabhügel hinaus gegen die ver¬
storbenen Eltern bis an unser Lebensende fortdauern.

Die andern Vorkommnisse, die zwar auch in un¬
serer Familie aber nicht in ihr allein sondern zu¬
gleich in Gesellschaft von geladenen Menschen vorfie¬
len, waren mir nicht so angenehm als in frühe¬
ren Zeiten, ja sie waren mir eher widerwärtig und
dünkten mir Zeitverlust. Sie bestanden beinahe

Bruder, eine treue Erinnerung weihe, anheimgefallen
ſei, an die Mutter und uns übertragen, ſein Haus
ſei nun ſein Alles, und wir zwei, die Schweſter und
ich, ſollten verbunden bleiben, und ſollten in Nei¬
gung nicht von einander laſſen, beſonders wenn auch
wir allein ſein, und er und die Mutter im Kirchhofe
ſchlummern würden.

Dieſe Ermahnung zur Liebe war nicht nöthig;
denn daß wir, die Schweſter und ich, uns mehr lieben
könnten, als wir thaten, ſchien uns nicht möglich,
nur die Eltern liebten wir beide noch mehr, und wenn
eine Anſpielung darauf gemacht wurde, daß ſie uns
einſt verlaſſen ſollten, ſo betrübte uns das außeror¬
dentlich, und wohin wir die Liebe, die uns dann
zurückfallen ſollte, wenden würden, wußten wir ſehr
wohl, wir würden ſie an gar nichts wenden, ſie würde
von ſelber über die Grabhügel hinaus gegen die ver¬
ſtorbenen Eltern bis an unſer Lebensende fortdauern.

Die andern Vorkommniſſe, die zwar auch in un¬
ſerer Familie aber nicht in ihr allein ſondern zu¬
gleich in Geſellſchaft von geladenen Menſchen vorfie¬
len, waren mir nicht ſo angenehm als in frühe¬
ren Zeiten, ja ſie waren mir eher widerwärtig und
dünkten mir Zeitverluſt. Sie beſtanden beinahe

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[276/0290] Bruder, eine treue Erinnerung weihe, anheimgefallen ſei, an die Mutter und uns übertragen, ſein Haus ſei nun ſein Alles, und wir zwei, die Schweſter und ich, ſollten verbunden bleiben, und ſollten in Nei¬ gung nicht von einander laſſen, beſonders wenn auch wir allein ſein, und er und die Mutter im Kirchhofe ſchlummern würden. Dieſe Ermahnung zur Liebe war nicht nöthig; denn daß wir, die Schweſter und ich, uns mehr lieben könnten, als wir thaten, ſchien uns nicht möglich, nur die Eltern liebten wir beide noch mehr, und wenn eine Anſpielung darauf gemacht wurde, daß ſie uns einſt verlaſſen ſollten, ſo betrübte uns das außeror¬ dentlich, und wohin wir die Liebe, die uns dann zurückfallen ſollte, wenden würden, wußten wir ſehr wohl, wir würden ſie an gar nichts wenden, ſie würde von ſelber über die Grabhügel hinaus gegen die ver¬ ſtorbenen Eltern bis an unſer Lebensende fortdauern. Die andern Vorkommniſſe, die zwar auch in un¬ ſerer Familie aber nicht in ihr allein ſondern zu¬ gleich in Geſellſchaft von geladenen Menſchen vorfie¬ len, waren mir nicht ſo angenehm als in frühe¬ ren Zeiten, ja ſie waren mir eher widerwärtig und dünkten mir Zeitverluſt. Sie beſtanden beinahe

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Zitationshilfe: Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 2. Pesth, 1857, S. 276. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer02_1857/290>, abgerufen am 22.11.2024.