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Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 2. Pesth, 1857.

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gen während des Sommers. Ich konnte ihr nicht viel
sagen, und erzählte ihr außer den Messungen, die
ich am Lautersee vorgenommen hatte, von meinen
Kunstbestrebungen meiner Kunstneigung und meiner
Liebe zu den Dichtungen. Von den besonderen Ver¬
hältnissen zu meinem Gastfreunde erwähnte ich nur
das Allgemeine, weil ich es für anmaßend gehalten
hätte, einer alten würdigen Frau, deren Beziehungen
ausgebreitet und inhaltsreich waren, unaufgefodert
Einzelheiten von meinem Leben mitzutheilen. Sie
ging auch nicht näher darauf ein, dafür verweilte sie
desto eifriger bei der Kunst und bei den Dichtern.
Sie fragte mich, was ich gelesen hätte, wie ich es
aufgefaßt hätte, und was ich darüber dächte. Sie
zeigte sich hiebei mit allen den Werken bekannt, welche
ich ihr nannte, nur hatte sie das Griechische, von dem
ich ihr erzählte, blos in der Übersezung gelesen. Sie
ging im Allgemeinen auf die Gegenstände ein, und
verweilte bei manchem Einzelnen ganz besonders.
Unsere Ansichten trafen oft zusammen, oft gingen
sie auch auseinander, und sie suchte ihre Meinung
zu begründen, was mir zum mindesten immer manche
neue Gesichtspunkte gab. In Bezug auf die Kunst
verlangte sie, daß ich ihr einige Zeichnungen und

gen während des Sommers. Ich konnte ihr nicht viel
ſagen, und erzählte ihr außer den Meſſungen, die
ich am Lauterſee vorgenommen hatte, von meinen
Kunſtbeſtrebungen meiner Kunſtneigung und meiner
Liebe zu den Dichtungen. Von den beſonderen Ver¬
hältniſſen zu meinem Gaſtfreunde erwähnte ich nur
das Allgemeine, weil ich es für anmaßend gehalten
hätte, einer alten würdigen Frau, deren Beziehungen
ausgebreitet und inhaltsreich waren, unaufgefodert
Einzelheiten von meinem Leben mitzutheilen. Sie
ging auch nicht näher darauf ein, dafür verweilte ſie
deſto eifriger bei der Kunſt und bei den Dichtern.
Sie fragte mich, was ich geleſen hätte, wie ich es
aufgefaßt hätte, und was ich darüber dächte. Sie
zeigte ſich hiebei mit allen den Werken bekannt, welche
ich ihr nannte, nur hatte ſie das Griechiſche, von dem
ich ihr erzählte, blos in der Überſezung geleſen. Sie
ging im Allgemeinen auf die Gegenſtände ein, und
verweilte bei manchem Einzelnen ganz beſonders.
Unſere Anſichten trafen oft zuſammen, oft gingen
ſie auch auseinander, und ſie ſuchte ihre Meinung
zu begründen, was mir zum mindeſten immer manche
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[265/0279] gen während des Sommers. Ich konnte ihr nicht viel ſagen, und erzählte ihr außer den Meſſungen, die ich am Lauterſee vorgenommen hatte, von meinen Kunſtbeſtrebungen meiner Kunſtneigung und meiner Liebe zu den Dichtungen. Von den beſonderen Ver¬ hältniſſen zu meinem Gaſtfreunde erwähnte ich nur das Allgemeine, weil ich es für anmaßend gehalten hätte, einer alten würdigen Frau, deren Beziehungen ausgebreitet und inhaltsreich waren, unaufgefodert Einzelheiten von meinem Leben mitzutheilen. Sie ging auch nicht näher darauf ein, dafür verweilte ſie deſto eifriger bei der Kunſt und bei den Dichtern. Sie fragte mich, was ich geleſen hätte, wie ich es aufgefaßt hätte, und was ich darüber dächte. Sie zeigte ſich hiebei mit allen den Werken bekannt, welche ich ihr nannte, nur hatte ſie das Griechiſche, von dem ich ihr erzählte, blos in der Überſezung geleſen. Sie ging im Allgemeinen auf die Gegenſtände ein, und verweilte bei manchem Einzelnen ganz beſonders. Unſere Anſichten trafen oft zuſammen, oft gingen ſie auch auseinander, und ſie ſuchte ihre Meinung zu begründen, was mir zum mindeſten immer manche neue Geſichtspunkte gab. In Bezug auf die Kunſt verlangte ſie, daß ich ihr einige Zeichnungen und

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Zitationshilfe: Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 2. Pesth, 1857, S. 265. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer02_1857/279>, abgerufen am 19.05.2024.