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Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 2. Pesth, 1857.

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und in dem Hause meines Vaters vorfand, war alles
anders als früher, ich suchte und haschte nach irgend
einem Innern, nach irgend etwas, das weit außer
dem Bereiche von Linien und Farben lag, das größer
war als diese Dinge, und doch durch sie darzustellen
sein mußte. Einen Kopf so zu zeichnen oder gar zu
malen, wie ich jezt wollte, war viel schwerer, als wie
ich früher anstrebte, es war ohne einen Vergleich zu¬
zulassen, schwerer; aber es war nicht zu umgehen,
wenn man überhaupt die Sache machen wollte, es
war dichten, wenn ein Dichtungswerk geliefert sein
sollte. Ich stellte meine Aufgabe kleiner, ich suchte die
Züge auf einem bescheidenen Raume zu entwerfen,
und begnügte mich mit den Andeutungen in Zeich¬
nung und Farben, wenn nur ein Inneres zu sprechen
begann, ohne daß ich darauf beharrte, daß aus dem
Begonnenen ein ausgeführtes Bild werden sollte,
was nicht selten, wenn ich es versuchte, das Innere
wieder vertilgte, und das Gemälde seelenlos machte.
Mein Vater wurde der Richter, und war jezt ein stren¬
ger, während er früher alles einfach hatte gelten las¬
sen, was ich unternahm. Er pflegte zu sagen, das,
was ich jezt vor Augen habe, sei das Künstlerische,
mein Früheres sei ein Vergnügen gewesen. Ich nahm

Stifter, Nachsommer. II. 17

und in dem Hauſe meines Vaters vorfand, war alles
anders als früher, ich ſuchte und haſchte nach irgend
einem Innern, nach irgend etwas, das weit außer
dem Bereiche von Linien und Farben lag, das größer
war als dieſe Dinge, und doch durch ſie darzuſtellen
ſein mußte. Einen Kopf ſo zu zeichnen oder gar zu
malen, wie ich jezt wollte, war viel ſchwerer, als wie
ich früher anſtrebte, es war ohne einen Vergleich zu¬
zulaſſen, ſchwerer; aber es war nicht zu umgehen,
wenn man überhaupt die Sache machen wollte, es
war dichten, wenn ein Dichtungswerk geliefert ſein
ſollte. Ich ſtellte meine Aufgabe kleiner, ich ſuchte die
Züge auf einem beſcheidenen Raume zu entwerfen,
und begnügte mich mit den Andeutungen in Zeich¬
nung und Farben, wenn nur ein Inneres zu ſprechen
begann, ohne daß ich darauf beharrte, daß aus dem
Begonnenen ein ausgeführtes Bild werden ſollte,
was nicht ſelten, wenn ich es verſuchte, das Innere
wieder vertilgte, und das Gemälde ſeelenlos machte.
Mein Vater wurde der Richter, und war jezt ein ſtren¬
ger, während er früher alles einfach hatte gelten laſ¬
ſen, was ich unternahm. Er pflegte zu ſagen, das,
was ich jezt vor Augen habe, ſei das Künſtleriſche,
mein Früheres ſei ein Vergnügen geweſen. Ich nahm

Stifter, Nachſommer. II. 17
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[257/0271] und in dem Hauſe meines Vaters vorfand, war alles anders als früher, ich ſuchte und haſchte nach irgend einem Innern, nach irgend etwas, das weit außer dem Bereiche von Linien und Farben lag, das größer war als dieſe Dinge, und doch durch ſie darzuſtellen ſein mußte. Einen Kopf ſo zu zeichnen oder gar zu malen, wie ich jezt wollte, war viel ſchwerer, als wie ich früher anſtrebte, es war ohne einen Vergleich zu¬ zulaſſen, ſchwerer; aber es war nicht zu umgehen, wenn man überhaupt die Sache machen wollte, es war dichten, wenn ein Dichtungswerk geliefert ſein ſollte. Ich ſtellte meine Aufgabe kleiner, ich ſuchte die Züge auf einem beſcheidenen Raume zu entwerfen, und begnügte mich mit den Andeutungen in Zeich¬ nung und Farben, wenn nur ein Inneres zu ſprechen begann, ohne daß ich darauf beharrte, daß aus dem Begonnenen ein ausgeführtes Bild werden ſollte, was nicht ſelten, wenn ich es verſuchte, das Innere wieder vertilgte, und das Gemälde ſeelenlos machte. Mein Vater wurde der Richter, und war jezt ein ſtren¬ ger, während er früher alles einfach hatte gelten laſ¬ ſen, was ich unternahm. Er pflegte zu ſagen, das, was ich jezt vor Augen habe, ſei das Künſtleriſche, mein Früheres ſei ein Vergnügen geweſen. Ich nahm Stifter, Nachſommer. II. 17

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Zitationshilfe: Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 2. Pesth, 1857, S. 257. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer02_1857/271>, abgerufen am 17.05.2024.