einfach, ja sogar oft unbegreiflich einfach, und doch waren sie schön, schöner und menschlich richtiger -- so schien es mir wenigstens -- als sie jezt vorkommen. Die Stirnen die Nasen die Lippen waren strenger ungekünstelter, und schienen der Ursprünglichkeit der menschlichen Gestalt näher. Dies war selbst bei den Abbildungen der Greise der Fall, und sogar da, wo man vermuthen durfte, das abgebildete Haupt sei das Bildniß eines Menschen, der wirklich gelebt hat. Es konnte diese Gestaltung nicht Eingebung des Künst¬ lers sein, da offenbar die Steine verschiedenen Zeiten und verschiedenen Meistern angehörten; sie mußte also Eigenthum jener Vergangenheit gewesen sein. Die Köpfe der Frauen waren auch schön, oft überra¬ schend schön; sie hatten aber auch etwas Eigenthüm¬ liches, das sich von unsern gewohnten Vorstellungen entfernte, sei es in der Art, das Haupthaar aufzu¬ stecken, und es zu tragen, sei es, wie sich Stirne und Nase zeigten, sei es im Nacken im Halse im Beginne der Brust oder der Arme, wenn diese Theile noch auf dem Bilde waren, sei es in dem uns fernliegenden Ganzen. Allgemein aber waren diese Köpfe kräftiger, und erinnerten mehr an die Männlichkeit als die un¬ serer heutigen Frauen. Sie erschienen dadurch reizen¬
einfach, ja ſogar oft unbegreiflich einfach, und doch waren ſie ſchön, ſchöner und menſchlich richtiger — ſo ſchien es mir wenigſtens — als ſie jezt vorkommen. Die Stirnen die Naſen die Lippen waren ſtrenger ungekünſtelter, und ſchienen der Urſprünglichkeit der menſchlichen Geſtalt näher. Dies war ſelbſt bei den Abbildungen der Greiſe der Fall, und ſogar da, wo man vermuthen durfte, das abgebildete Haupt ſei das Bildniß eines Menſchen, der wirklich gelebt hat. Es konnte dieſe Geſtaltung nicht Eingebung des Künſt¬ lers ſein, da offenbar die Steine verſchiedenen Zeiten und verſchiedenen Meiſtern angehörten; ſie mußte alſo Eigenthum jener Vergangenheit geweſen ſein. Die Köpfe der Frauen waren auch ſchön, oft überra¬ ſchend ſchön; ſie hatten aber auch etwas Eigenthüm¬ liches, das ſich von unſern gewohnten Vorſtellungen entfernte, ſei es in der Art, das Haupthaar aufzu¬ ſtecken, und es zu tragen, ſei es, wie ſich Stirne und Naſe zeigten, ſei es im Nacken im Halſe im Beginne der Bruſt oder der Arme, wenn dieſe Theile noch auf dem Bilde waren, ſei es in dem uns fernliegenden Ganzen. Allgemein aber waren dieſe Köpfe kräftiger, und erinnerten mehr an die Männlichkeit als die un¬ ſerer heutigen Frauen. Sie erſchienen dadurch reizen¬
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einfach, ja ſogar oft unbegreiflich einfach, und doch
waren ſie ſchön, ſchöner und menſchlich richtiger —
ſo ſchien es mir wenigſtens — als ſie jezt vorkommen.
Die Stirnen die Naſen die Lippen waren ſtrenger
ungekünſtelter, und ſchienen der Urſprünglichkeit der
menſchlichen Geſtalt näher. Dies war ſelbſt bei den
Abbildungen der Greiſe der Fall, und ſogar da, wo
man vermuthen durfte, das abgebildete Haupt ſei das
Bildniß eines Menſchen, der wirklich gelebt hat. Es
konnte dieſe Geſtaltung nicht Eingebung des Künſt¬
lers ſein, da offenbar die Steine verſchiedenen Zeiten
und verſchiedenen Meiſtern angehörten; ſie mußte
alſo Eigenthum jener Vergangenheit geweſen ſein.
Die Köpfe der Frauen waren auch ſchön, oft überra¬
ſchend ſchön; ſie hatten aber auch etwas Eigenthüm¬
liches, das ſich von unſern gewohnten Vorſtellungen
entfernte, ſei es in der Art, das Haupthaar aufzu¬
ſtecken, und es zu tragen, ſei es, wie ſich Stirne und
Naſe zeigten, ſei es im Nacken im Halſe im Beginne
der Bruſt oder der Arme, wenn dieſe Theile noch auf
dem Bilde waren, ſei es in dem uns fernliegenden
Ganzen. Allgemein aber waren dieſe Köpfe kräftiger,
und erinnerten mehr an die Männlichkeit als die un¬
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Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 2. Pesth, 1857, S. 242. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer02_1857/256>, abgerufen am 22.11.2024.
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