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Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 2. Pesth, 1857.

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schöneren Berg selbst ansehen. Wir haben ein inni¬
geres und süßeres Gefühl in unserem Wesen, wenn
wir eine durch Kunst gebildete Landschaft Blumen
oder einen Menschen sehen, als wenn diese Gegen¬
stände in Wirklichkeit vor uns sind. Was die Kinder
bewundern, ist der Geist eines Kindes, der doch so
viel in der Nachahmung hervorgebracht hat, und was
wir in der Kunst bewundern, ist, daß der Geist eines
Menschen, uns gleichsam sinnlich greifbar ein Gegen¬
stand unserer Liebe und Verehrung, wenn auch feh¬
lerhaft doch dem etwas nachgeschaffen hat, den wir
in unserer Vernunft zu fassen streben, den wir nicht
in den beschränkten Kreis unserer Liebe ziehen können,
und vor dem die Schauer der Anbethung und Demü¬
thigung in Anbetracht seiner Majestät immer größer
werden, je näher wir ihn erkennen. Darum ist die
Kunst ein Zweig der Religion, und darum hat sie
ihre schönsten Tage bei allen Völkern im Dienste der
Religion zugebracht. Wie weit sie es in dem Nach¬
schaffen bringen kann, vermag niemand zu wissen.
Wenn schöne Anfänge da gewesen sind, wie zum
Beispiele im Griechenthume, wenn sie wieder zurück
gesunken sind, so kann man nicht sagen, die Kunst sei
zu Grunde gegangen; andere Anfänge werden wieder

ſchöneren Berg ſelbſt anſehen. Wir haben ein inni¬
geres und ſüßeres Gefühl in unſerem Weſen, wenn
wir eine durch Kunſt gebildete Landſchaft Blumen
oder einen Menſchen ſehen, als wenn dieſe Gegen¬
ſtände in Wirklichkeit vor uns ſind. Was die Kinder
bewundern, iſt der Geiſt eines Kindes, der doch ſo
viel in der Nachahmung hervorgebracht hat, und was
wir in der Kunſt bewundern, iſt, daß der Geiſt eines
Menſchen, uns gleichſam ſinnlich greifbar ein Gegen¬
ſtand unſerer Liebe und Verehrung, wenn auch feh¬
lerhaft doch dem etwas nachgeſchaffen hat, den wir
in unſerer Vernunft zu faſſen ſtreben, den wir nicht
in den beſchränkten Kreis unſerer Liebe ziehen können,
und vor dem die Schauer der Anbethung und Demü¬
thigung in Anbetracht ſeiner Majeſtät immer größer
werden, je näher wir ihn erkennen. Darum iſt die
Kunſt ein Zweig der Religion, und darum hat ſie
ihre ſchönſten Tage bei allen Völkern im Dienſte der
Religion zugebracht. Wie weit ſie es in dem Nach¬
ſchaffen bringen kann, vermag niemand zu wiſſen.
Wenn ſchöne Anfänge da geweſen ſind, wie zum
Beiſpiele im Griechenthume, wenn ſie wieder zurück
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zu Grunde gegangen; andere Anfänge werden wieder

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[220/0234] ſchöneren Berg ſelbſt anſehen. Wir haben ein inni¬ geres und ſüßeres Gefühl in unſerem Weſen, wenn wir eine durch Kunſt gebildete Landſchaft Blumen oder einen Menſchen ſehen, als wenn dieſe Gegen¬ ſtände in Wirklichkeit vor uns ſind. Was die Kinder bewundern, iſt der Geiſt eines Kindes, der doch ſo viel in der Nachahmung hervorgebracht hat, und was wir in der Kunſt bewundern, iſt, daß der Geiſt eines Menſchen, uns gleichſam ſinnlich greifbar ein Gegen¬ ſtand unſerer Liebe und Verehrung, wenn auch feh¬ lerhaft doch dem etwas nachgeſchaffen hat, den wir in unſerer Vernunft zu faſſen ſtreben, den wir nicht in den beſchränkten Kreis unſerer Liebe ziehen können, und vor dem die Schauer der Anbethung und Demü¬ thigung in Anbetracht ſeiner Majeſtät immer größer werden, je näher wir ihn erkennen. Darum iſt die Kunſt ein Zweig der Religion, und darum hat ſie ihre ſchönſten Tage bei allen Völkern im Dienſte der Religion zugebracht. Wie weit ſie es in dem Nach¬ ſchaffen bringen kann, vermag niemand zu wiſſen. Wenn ſchöne Anfänge da geweſen ſind, wie zum Beiſpiele im Griechenthume, wenn ſie wieder zurück geſunken ſind, ſo kann man nicht ſagen, die Kunſt ſei zu Grunde gegangen; andere Anfänge werden wieder

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Zitationshilfe: Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 2. Pesth, 1857, S. 220. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer02_1857/234>, abgerufen am 22.11.2024.