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Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 2. Pesth, 1857.

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Augen hatte, so war dieses doch auch für mich sehr
anmuthig weich und klar, es hatte eine beschwichti¬
gende Ruhe, wie die Göttin eines Quells sollte, und
hatte doch wieder jenes Reine und, ich möchte sagen,
Fremde, das ein Gemälde nicht hat, das aber der
Marmor so gerne zeigt. Ich wurde mir dieser Em¬
pfindung des Fremden jezt klarer bewußt, und ich er¬
fuhr auch, daß sie mich schon in früherer Zeit ergriffen
hatte, wenn ich mich Marmorbildwerken gegenüber
befand. Es wirkte bei dieser Gestalt noch ein Beson¬
deres mit, was in meiner Beschäftigung der Erdfor¬
schung seinen Grund hat, nehmlich, daß der Marmor
gar so schön und fast fleckenlos war. Er gehörte zu jener
Gattung, die an den Rändern durchscheinend ist, de¬
ren Weiße beinahe funkelt, und uns verleitet zu mei¬
nen, man sähe die zarten Kristalle wie Eisnadeln oder
wie Zuckerkörner schimmern. Diese Reinheit hatte für
mich an der Gestalt etwas Erhabenes. Nur dort, wo
das Wasser aus dem Kruge floß, den die Gestalt um¬
schlungen hielt, war ein grünlicher Schein in dem
Marmor, und der Staffel, auf dem der am tiefsten
herabgehende Fuß ruhte, war ebenfalls grün und
von unten durch die herauf dringende Feuchtigkeit ein
wenig verunreinigt. Der Marmor an dem Bilde mei¬

Augen hatte, ſo war dieſes doch auch für mich ſehr
anmuthig weich und klar, es hatte eine beſchwichti¬
gende Ruhe, wie die Göttin eines Quells ſollte, und
hatte doch wieder jenes Reine und, ich möchte ſagen,
Fremde, das ein Gemälde nicht hat, das aber der
Marmor ſo gerne zeigt. Ich wurde mir dieſer Em¬
pfindung des Fremden jezt klarer bewußt, und ich er¬
fuhr auch, daß ſie mich ſchon in früherer Zeit ergriffen
hatte, wenn ich mich Marmorbildwerken gegenüber
befand. Es wirkte bei dieſer Geſtalt noch ein Beſon¬
deres mit, was in meiner Beſchäftigung der Erdfor¬
ſchung ſeinen Grund hat, nehmlich, daß der Marmor
gar ſo ſchön und faſt fleckenlos war. Er gehörte zu jener
Gattung, die an den Rändern durchſcheinend iſt, de¬
ren Weiße beinahe funkelt, und uns verleitet zu mei¬
nen, man ſähe die zarten Kriſtalle wie Eisnadeln oder
wie Zuckerkörner ſchimmern. Dieſe Reinheit hatte für
mich an der Geſtalt etwas Erhabenes. Nur dort, wo
das Waſſer aus dem Kruge floß, den die Geſtalt um¬
ſchlungen hielt, war ein grünlicher Schein in dem
Marmor, und der Staffel, auf dem der am tiefſten
herabgehende Fuß ruhte, war ebenfalls grün und
von unten durch die herauf dringende Feuchtigkeit ein
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[187/0201] Augen hatte, ſo war dieſes doch auch für mich ſehr anmuthig weich und klar, es hatte eine beſchwichti¬ gende Ruhe, wie die Göttin eines Quells ſollte, und hatte doch wieder jenes Reine und, ich möchte ſagen, Fremde, das ein Gemälde nicht hat, das aber der Marmor ſo gerne zeigt. Ich wurde mir dieſer Em¬ pfindung des Fremden jezt klarer bewußt, und ich er¬ fuhr auch, daß ſie mich ſchon in früherer Zeit ergriffen hatte, wenn ich mich Marmorbildwerken gegenüber befand. Es wirkte bei dieſer Geſtalt noch ein Beſon¬ deres mit, was in meiner Beſchäftigung der Erdfor¬ ſchung ſeinen Grund hat, nehmlich, daß der Marmor gar ſo ſchön und faſt fleckenlos war. Er gehörte zu jener Gattung, die an den Rändern durchſcheinend iſt, de¬ ren Weiße beinahe funkelt, und uns verleitet zu mei¬ nen, man ſähe die zarten Kriſtalle wie Eisnadeln oder wie Zuckerkörner ſchimmern. Dieſe Reinheit hatte für mich an der Geſtalt etwas Erhabenes. Nur dort, wo das Waſſer aus dem Kruge floß, den die Geſtalt um¬ ſchlungen hielt, war ein grünlicher Schein in dem Marmor, und der Staffel, auf dem der am tiefſten herabgehende Fuß ruhte, war ebenfalls grün und von unten durch die herauf dringende Feuchtigkeit ein wenig verunreinigt. Der Marmor an dem Bilde mei¬

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Zitationshilfe: Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 2. Pesth, 1857, S. 187. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer02_1857/201>, abgerufen am 17.05.2024.