Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 2. Pesth, 1857.

Bild:
<< vorherige Seite

daß sie in ihrer Einfachheit und Reinheit das Gemüth
erfüllen, und es, wenn die Lebensjahre des Menschen
nach und nach fließen, nicht verlassen, sondern es mit
Ruhe und Größe noch mehr erweitern, und mit Un¬
scheinbarkeit und Gesezmäßigkeit zu immer größerer
Bewunderung hinreißen. Dagegen ist in der Neuzeit
oft ein unruhiges Ringen nach Wirkung, das die
Seele nicht gefangen nimmt, sondern als ein Unwah¬
res von sich stößt. Es sind manche Männer gekom¬
men, das Standbild zu betrachten, manche Freunde
und Kenner der alten Kunst, und der Erfolg ist fast
immer derselbe gewesen, ein Ernst der Anerkennung
und der Würdigung. Wir, Eustach und ich, sind in den
Dingen der alten Kunst sehr hiedurch vorgeschritten,
und beide sind wir von der alten Kunst erst recht zur
Erkenntniß der mittelalterlichen gekommen. Wenn
wir die unnachahmliche Reinheit Klarheit Manig¬
faltigkeit und Durchbildung der alten Gestaltungen
betrachtet hatten, und zu denen des Mittelalters gin¬
gen, bei welchen große Fehler in diesen Beziehungen
walten, so sahen wir hier ein Inneres, ein Gemüth
voll Ungeziertheit voll Glauben und voll Innigkeit,
das uns fast im Stammeln so rührt, wie uns jenes
dort im vollendeten Ausdrucke erhebt. Über die Zeit

daß ſie in ihrer Einfachheit und Reinheit das Gemüth
erfüllen, und es, wenn die Lebensjahre des Menſchen
nach und nach fließen, nicht verlaſſen, ſondern es mit
Ruhe und Größe noch mehr erweitern, und mit Un¬
ſcheinbarkeit und Geſezmäßigkeit zu immer größerer
Bewunderung hinreißen. Dagegen iſt in der Neuzeit
oft ein unruhiges Ringen nach Wirkung, das die
Seele nicht gefangen nimmt, ſondern als ein Unwah¬
res von ſich ſtößt. Es ſind manche Männer gekom¬
men, das Standbild zu betrachten, manche Freunde
und Kenner der alten Kunſt, und der Erfolg iſt faſt
immer derſelbe geweſen, ein Ernſt der Anerkennung
und der Würdigung. Wir, Euſtach und ich, ſind in den
Dingen der alten Kunſt ſehr hiedurch vorgeſchritten,
und beide ſind wir von der alten Kunſt erſt recht zur
Erkenntniß der mittelalterlichen gekommen. Wenn
wir die unnachahmliche Reinheit Klarheit Manig¬
faltigkeit und Durchbildung der alten Geſtaltungen
betrachtet hatten, und zu denen des Mittelalters gin¬
gen, bei welchen große Fehler in dieſen Beziehungen
walten, ſo ſahen wir hier ein Inneres, ein Gemüth
voll Ungeziertheit voll Glauben und voll Innigkeit,
das uns faſt im Stammeln ſo rührt, wie uns jenes
dort im vollendeten Ausdrucke erhebt. Über die Zeit

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0137" n="123"/>
daß &#x017F;ie in ihrer Einfachheit und Reinheit das Gemüth<lb/>
erfüllen, und es, wenn die Lebensjahre des Men&#x017F;chen<lb/>
nach und nach fließen, nicht verla&#x017F;&#x017F;en, &#x017F;ondern es mit<lb/>
Ruhe und Größe noch mehr erweitern, und mit Un¬<lb/>
&#x017F;cheinbarkeit und Ge&#x017F;ezmäßigkeit zu immer größerer<lb/>
Bewunderung hinreißen. Dagegen i&#x017F;t in der Neuzeit<lb/>
oft ein unruhiges Ringen nach Wirkung, das die<lb/>
Seele nicht gefangen nimmt, &#x017F;ondern als ein Unwah¬<lb/>
res von &#x017F;ich &#x017F;tößt. Es &#x017F;ind manche Männer gekom¬<lb/>
men, das Standbild zu betrachten, manche Freunde<lb/>
und Kenner der alten Kun&#x017F;t, und der Erfolg i&#x017F;t fa&#x017F;t<lb/>
immer der&#x017F;elbe gewe&#x017F;en, ein Ern&#x017F;t der Anerkennung<lb/>
und der Würdigung. Wir, Eu&#x017F;tach und ich, &#x017F;ind in den<lb/>
Dingen der alten Kun&#x017F;t &#x017F;ehr hiedurch vorge&#x017F;chritten,<lb/>
und beide &#x017F;ind wir von der alten Kun&#x017F;t er&#x017F;t recht zur<lb/>
Erkenntniß der mittelalterlichen gekommen. Wenn<lb/>
wir die unnachahmliche Reinheit Klarheit Manig¬<lb/>
faltigkeit und Durchbildung der alten Ge&#x017F;taltungen<lb/>
betrachtet hatten, und zu denen des Mittelalters gin¬<lb/>
gen, bei welchen große Fehler in die&#x017F;en Beziehungen<lb/>
walten, &#x017F;o &#x017F;ahen wir hier ein Inneres, ein Gemüth<lb/>
voll Ungeziertheit voll Glauben und voll Innigkeit,<lb/>
das uns fa&#x017F;t im Stammeln &#x017F;o rührt, wie uns jenes<lb/>
dort im vollendeten Ausdrucke erhebt. Über die Zeit<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[123/0137] daß ſie in ihrer Einfachheit und Reinheit das Gemüth erfüllen, und es, wenn die Lebensjahre des Menſchen nach und nach fließen, nicht verlaſſen, ſondern es mit Ruhe und Größe noch mehr erweitern, und mit Un¬ ſcheinbarkeit und Geſezmäßigkeit zu immer größerer Bewunderung hinreißen. Dagegen iſt in der Neuzeit oft ein unruhiges Ringen nach Wirkung, das die Seele nicht gefangen nimmt, ſondern als ein Unwah¬ res von ſich ſtößt. Es ſind manche Männer gekom¬ men, das Standbild zu betrachten, manche Freunde und Kenner der alten Kunſt, und der Erfolg iſt faſt immer derſelbe geweſen, ein Ernſt der Anerkennung und der Würdigung. Wir, Euſtach und ich, ſind in den Dingen der alten Kunſt ſehr hiedurch vorgeſchritten, und beide ſind wir von der alten Kunſt erſt recht zur Erkenntniß der mittelalterlichen gekommen. Wenn wir die unnachahmliche Reinheit Klarheit Manig¬ faltigkeit und Durchbildung der alten Geſtaltungen betrachtet hatten, und zu denen des Mittelalters gin¬ gen, bei welchen große Fehler in dieſen Beziehungen walten, ſo ſahen wir hier ein Inneres, ein Gemüth voll Ungeziertheit voll Glauben und voll Innigkeit, das uns faſt im Stammeln ſo rührt, wie uns jenes dort im vollendeten Ausdrucke erhebt. Über die Zeit

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer02_1857
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer02_1857/137
Zitationshilfe: Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 2. Pesth, 1857, S. 123. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer02_1857/137>, abgerufen am 05.05.2024.