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Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 2. Pesth, 1857.

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"Nun dann werdet ihr es um so sicherer wissen
und mit desto größerer Festigkeit glauben," erwiederte
er, "als wenn euch jemand eine Behauptung darüber
gesagt hätte."

"Ich habe nehmlich den Glauben, daß das Bild¬
werk sehr schön sei," antwortete ich mich verbessernd.

"Ich theile mit euch den Glauben, daß das Werk
von großer Bedeutung sei," sagte er.

"Und warum habt ihr denn nie zu mir darüber
gesprochen?" fragte ich.

"Weil ich dachte, daß ihr es nach einer bestimm¬
ten Zeit selber betrachten und für schön erachten wer¬
det," antwortete er.

"Wenn ihr mir es früher gesagt hättet, so hätte
ich es früher gewußt," erwiederte ich.

"Jemanden sagen, daß etwas schön sei," antwor¬
tete er, "heißt nicht immer, jemanden den Besiz der
Schönheit geben. Er kann in vielen Fällen blos
glauben. Gewiß aber verkümmert man dadurch dem¬
jenigen das Besizen des Schönen, der ohnehin aus
eigenem Antriebe darauf gekommen wäre. Dies sezte
ich bei euch voraus, und darum wartete ich sehr gerne
auf euch."

"Aber was müßt ihr denn die Zeit her über mich

„Nun dann werdet ihr es um ſo ſicherer wiſſen
und mit deſto größerer Feſtigkeit glauben,“ erwiederte
er, „als wenn euch jemand eine Behauptung darüber
geſagt hätte.“

„Ich habe nehmlich den Glauben, daß das Bild¬
werk ſehr ſchön ſei,“ antwortete ich mich verbeſſernd.

„Ich theile mit euch den Glauben, daß das Werk
von großer Bedeutung ſei,“ ſagte er.

„Und warum habt ihr denn nie zu mir darüber
geſprochen?“ fragte ich.

„Weil ich dachte, daß ihr es nach einer beſtimm¬
ten Zeit ſelber betrachten und für ſchön erachten wer¬
det,“ antwortete er.

„Wenn ihr mir es früher geſagt hättet, ſo hätte
ich es früher gewußt,“ erwiederte ich.

„Jemanden ſagen, daß etwas ſchön ſei,“ antwor¬
tete er, „heißt nicht immer, jemanden den Beſiz der
Schönheit geben. Er kann in vielen Fällen blos
glauben. Gewiß aber verkümmert man dadurch dem¬
jenigen das Beſizen des Schönen, der ohnehin aus
eigenem Antriebe darauf gekommen wäre. Dies ſezte
ich bei euch voraus, und darum wartete ich ſehr gerne
auf euch.“

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[108/0122] „Nun dann werdet ihr es um ſo ſicherer wiſſen und mit deſto größerer Feſtigkeit glauben,“ erwiederte er, „als wenn euch jemand eine Behauptung darüber geſagt hätte.“ „Ich habe nehmlich den Glauben, daß das Bild¬ werk ſehr ſchön ſei,“ antwortete ich mich verbeſſernd. „Ich theile mit euch den Glauben, daß das Werk von großer Bedeutung ſei,“ ſagte er. „Und warum habt ihr denn nie zu mir darüber geſprochen?“ fragte ich. „Weil ich dachte, daß ihr es nach einer beſtimm¬ ten Zeit ſelber betrachten und für ſchön erachten wer¬ det,“ antwortete er. „Wenn ihr mir es früher geſagt hättet, ſo hätte ich es früher gewußt,“ erwiederte ich. „Jemanden ſagen, daß etwas ſchön ſei,“ antwor¬ tete er, „heißt nicht immer, jemanden den Beſiz der Schönheit geben. Er kann in vielen Fällen blos glauben. Gewiß aber verkümmert man dadurch dem¬ jenigen das Beſizen des Schönen, der ohnehin aus eigenem Antriebe darauf gekommen wäre. Dies ſezte ich bei euch voraus, und darum wartete ich ſehr gerne auf euch.“ „Aber was müßt ihr denn die Zeit her über mich

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Zitationshilfe: Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 2. Pesth, 1857, S. 108. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer02_1857/122>, abgerufen am 05.05.2024.