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Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 2. Pesth, 1857.

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eher eine schön geschlungene Hülle als ein nach einem
gebräuchlichen Schnitte Verfertigtes. Es erzählte von
der reinen geschlossenen Gestalt, und war so stofflich
treu, daß man meinte, man könne es falten, und in
einen Schrein verpacken. Die einfache Wand des grauen
Amonitenmarmors hob die weiße Gestalt noch schär¬
fer ab, und stellte sie freier. Wenn ein Bliz geschah,
floß ein rosenrothes Licht an ihr hernieder, und dann
war wieder die frühere Farbe da. Mir dünkte es
gut, daß man diese Gestalt nicht in ein Zimmer ge¬
stellt hatte, in welchem Fenster sind, durch die all¬
tägliche Gegenstände herein schauen, und durch die
verworrene Lichter einströmen, sondern daß man sie
in einen Raum gethan hat, der ihr allein gehört,
der sein Licht von oben bekömmt, und sie mit einer
dämmerigen Helle wie mit einem Tempel umfängt.
Auch durfte der Raum nicht einer des täglichen Ge¬
brauchs sein, und es war sehr geeignet, daß die
Wände rings herum mit einem kostbaren Steine be¬
kleidet sind. Ich hatte eine Empfindung, als ob ich
bei einem lebenden schweigenden Wesen stände, und
hatte fast einen Schauer, als ob sich das Mädchen in
jedem Augenblicke regen würde. Ich blickte die Ge¬
stalt an, und sah mehrere Male die röthlichen Blize

eher eine ſchön geſchlungene Hülle als ein nach einem
gebräuchlichen Schnitte Verfertigtes. Es erzählte von
der reinen geſchloſſenen Geſtalt, und war ſo ſtofflich
treu, daß man meinte, man könne es falten, und in
einen Schrein verpacken. Die einfache Wand des grauen
Amonitenmarmors hob die weiße Geſtalt noch ſchär¬
fer ab, und ſtellte ſie freier. Wenn ein Bliz geſchah,
floß ein roſenrothes Licht an ihr hernieder, und dann
war wieder die frühere Farbe da. Mir dünkte es
gut, daß man dieſe Geſtalt nicht in ein Zimmer ge¬
ſtellt hatte, in welchem Fenſter ſind, durch die all¬
tägliche Gegenſtände herein ſchauen, und durch die
verworrene Lichter einſtrömen, ſondern daß man ſie
in einen Raum gethan hat, der ihr allein gehört,
der ſein Licht von oben bekömmt, und ſie mit einer
dämmerigen Helle wie mit einem Tempel umfängt.
Auch durfte der Raum nicht einer des täglichen Ge¬
brauchs ſein, und es war ſehr geeignet, daß die
Wände rings herum mit einem koſtbaren Steine be¬
kleidet ſind. Ich hatte eine Empfindung, als ob ich
bei einem lebenden ſchweigenden Weſen ſtände, und
hatte faſt einen Schauer, als ob ſich das Mädchen in
jedem Augenblicke regen würde. Ich blickte die Ge¬
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[106/0120] eher eine ſchön geſchlungene Hülle als ein nach einem gebräuchlichen Schnitte Verfertigtes. Es erzählte von der reinen geſchloſſenen Geſtalt, und war ſo ſtofflich treu, daß man meinte, man könne es falten, und in einen Schrein verpacken. Die einfache Wand des grauen Amonitenmarmors hob die weiße Geſtalt noch ſchär¬ fer ab, und ſtellte ſie freier. Wenn ein Bliz geſchah, floß ein roſenrothes Licht an ihr hernieder, und dann war wieder die frühere Farbe da. Mir dünkte es gut, daß man dieſe Geſtalt nicht in ein Zimmer ge¬ ſtellt hatte, in welchem Fenſter ſind, durch die all¬ tägliche Gegenſtände herein ſchauen, und durch die verworrene Lichter einſtrömen, ſondern daß man ſie in einen Raum gethan hat, der ihr allein gehört, der ſein Licht von oben bekömmt, und ſie mit einer dämmerigen Helle wie mit einem Tempel umfängt. Auch durfte der Raum nicht einer des täglichen Ge¬ brauchs ſein, und es war ſehr geeignet, daß die Wände rings herum mit einem koſtbaren Steine be¬ kleidet ſind. Ich hatte eine Empfindung, als ob ich bei einem lebenden ſchweigenden Weſen ſtände, und hatte faſt einen Schauer, als ob ſich das Mädchen in jedem Augenblicke regen würde. Ich blickte die Ge¬ ſtalt an, und ſah mehrere Male die röthlichen Blize

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Zitationshilfe: Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 2. Pesth, 1857, S. 106. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer02_1857/120>, abgerufen am 05.05.2024.