unser Zimmer gingen, wenn er durch die Fenster auf eine fremde Landschaft hinausschauen konnte, wenn er sein Ränzlein und seine Reisesachen auf dem Tische zurecht richten, und dann die ermüdeten Glieder auf dem Gastbette ausstrecken durfte. Wir bestiegen hohe Berge, wir gingen an Felswänden hin, wir begleite¬ ten den Lauf rauschender Bäche, und schifften über Seen. Er wurde stark, und das zeigte sich sichtbar, wenn wir von einer Gebirgswanderung -- denn fast immer gingen wir in das Gebirge -- zurückkehrten, wenn seine Wangen gebräunt waren, als wollten sie beinahe schwarz werden, wenn seine Locken die dunkle Stirne beschatteten, und die großen Augen lebhaft aus dem Angesichte hervor leuchteten. Ich weiß nicht, welcher innre Zug von Neigung mich zu dem Jüng¬ linge hinwendete, der in seinem Geiste zulezt doch nur ein Knabe war, den ich über die einfachsten Dinge täglicher Erfahrung belehren mußte, namentlich, wenn es Wanderungsangelegenheiten waren, und der mir in seiner Seele nichts biethen konnte, wodurch ich er¬ weitert und gehoben werden mußte, es müßte nur das Bild der vollkommensten Güte und Reinheit ge¬ wesen sein, das ich täglich mehr an ihm sehen lieben und verehren lernte.
unſer Zimmer gingen, wenn er durch die Fenſter auf eine fremde Landſchaft hinausſchauen konnte, wenn er ſein Ränzlein und ſeine Reiſeſachen auf dem Tiſche zurecht richten, und dann die ermüdeten Glieder auf dem Gaſtbette ausſtrecken durfte. Wir beſtiegen hohe Berge, wir gingen an Felswänden hin, wir begleite¬ ten den Lauf rauſchender Bäche, und ſchifften über Seen. Er wurde ſtark, und das zeigte ſich ſichtbar, wenn wir von einer Gebirgswanderung — denn faſt immer gingen wir in das Gebirge — zurückkehrten, wenn ſeine Wangen gebräunt waren, als wollten ſie beinahe ſchwarz werden, wenn ſeine Locken die dunkle Stirne beſchatteten, und die großen Augen lebhaft aus dem Angeſichte hervor leuchteten. Ich weiß nicht, welcher innre Zug von Neigung mich zu dem Jüng¬ linge hinwendete, der in ſeinem Geiſte zulezt doch nur ein Knabe war, den ich über die einfachſten Dinge täglicher Erfahrung belehren mußte, namentlich, wenn es Wanderungsangelegenheiten waren, und der mir in ſeiner Seele nichts biethen konnte, wodurch ich er¬ weitert und gehoben werden mußte, es müßte nur das Bild der vollkommenſten Güte und Reinheit ge¬ weſen ſein, das ich täglich mehr an ihm ſehen lieben und verehren lernte.
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0115"n="101"/>
unſer Zimmer gingen, wenn er durch die Fenſter auf<lb/>
eine fremde Landſchaft hinausſchauen konnte, wenn<lb/>
er ſein Ränzlein und ſeine Reiſeſachen auf dem Tiſche<lb/>
zurecht richten, und dann die ermüdeten Glieder auf<lb/>
dem Gaſtbette ausſtrecken durfte. Wir beſtiegen hohe<lb/>
Berge, wir gingen an Felswänden hin, wir begleite¬<lb/>
ten den Lauf rauſchender Bäche, und ſchifften über<lb/>
Seen. Er wurde ſtark, und das zeigte ſich ſichtbar,<lb/>
wenn wir von einer Gebirgswanderung — denn faſt<lb/>
immer gingen wir in das Gebirge — zurückkehrten,<lb/>
wenn ſeine Wangen gebräunt waren, als wollten ſie<lb/>
beinahe ſchwarz werden, wenn ſeine Locken die dunkle<lb/>
Stirne beſchatteten, und die großen Augen lebhaft<lb/>
aus dem Angeſichte hervor leuchteten. Ich weiß nicht,<lb/>
welcher innre Zug von Neigung mich zu dem Jüng¬<lb/>
linge hinwendete, der in ſeinem Geiſte zulezt doch<lb/>
nur ein Knabe war, den ich über die einfachſten Dinge<lb/>
täglicher Erfahrung belehren mußte, namentlich, wenn<lb/>
es Wanderungsangelegenheiten waren, und der mir<lb/>
in ſeiner Seele nichts biethen konnte, wodurch ich er¬<lb/>
weitert und gehoben werden mußte, es müßte nur<lb/>
das Bild der vollkommenſten Güte und Reinheit ge¬<lb/>
weſen ſein, das ich täglich mehr an ihm ſehen lieben<lb/>
und verehren lernte.</p><lb/></div></body></text></TEI>
[101/0115]
unſer Zimmer gingen, wenn er durch die Fenſter auf
eine fremde Landſchaft hinausſchauen konnte, wenn
er ſein Ränzlein und ſeine Reiſeſachen auf dem Tiſche
zurecht richten, und dann die ermüdeten Glieder auf
dem Gaſtbette ausſtrecken durfte. Wir beſtiegen hohe
Berge, wir gingen an Felswänden hin, wir begleite¬
ten den Lauf rauſchender Bäche, und ſchifften über
Seen. Er wurde ſtark, und das zeigte ſich ſichtbar,
wenn wir von einer Gebirgswanderung — denn faſt
immer gingen wir in das Gebirge — zurückkehrten,
wenn ſeine Wangen gebräunt waren, als wollten ſie
beinahe ſchwarz werden, wenn ſeine Locken die dunkle
Stirne beſchatteten, und die großen Augen lebhaft
aus dem Angeſichte hervor leuchteten. Ich weiß nicht,
welcher innre Zug von Neigung mich zu dem Jüng¬
linge hinwendete, der in ſeinem Geiſte zulezt doch
nur ein Knabe war, den ich über die einfachſten Dinge
täglicher Erfahrung belehren mußte, namentlich, wenn
es Wanderungsangelegenheiten waren, und der mir
in ſeiner Seele nichts biethen konnte, wodurch ich er¬
weitert und gehoben werden mußte, es müßte nur
das Bild der vollkommenſten Güte und Reinheit ge¬
weſen ſein, das ich täglich mehr an ihm ſehen lieben
und verehren lernte.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 2. Pesth, 1857, S. 101. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer02_1857/115>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.