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Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 1. Pesth, 1857.

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Das Abendessen wurde in dem Speisezimmer ein¬
genommen.

So brachten wir mehrere Tage in freundlichem
Umgange und in heiteren mitunter belehrenden Ge¬
sprächen hin.

Endlich rüsteten wir uns zur Abreise. Am frühe¬
sten Morgen war der Wagen bespannt. Mathilde
und Natalie waren aufgestanden, um uns Lebewohl
zu sagen. Mein Gastfreund nahm Abschied von Ma¬
thilde und Natalie, Eustach und Gustav verabschie¬
deten sich, und ich glaubte auch einige Worte des
Dankes für die gütige Aufnahme an Mathilde richten
zu müssen. Sie gab eine freundliche Antwort, und
lud mich ein, bald wieder zu kommen. Selbst zu Na¬
talie sagte ich ein Wort des Abschiedes, das sie leise
erwiederte.

Wie sie so vor mir stand, begrif ich wieder, wie
ich bei ihrem ersten Anblicke auf den Gedanken ge¬
kommen war, daß der Mensch doch der höchste Ge¬
genstand für die Zeichnungskunst sei, so süß gehen
ihre reinen Augen und so lieb und hold gehen ihre
Züge in die Seele des Betrachters.

Wir stiegen in den Wagen, fuhren den grünen
Rasenhügel hinab, wendeten unsern Weg gegen

Das Abendeſſen wurde in dem Speiſezimmer ein¬
genommen.

So brachten wir mehrere Tage in freundlichem
Umgange und in heiteren mitunter belehrenden Ge¬
ſprächen hin.

Endlich rüſteten wir uns zur Abreiſe. Am frühe¬
ſten Morgen war der Wagen beſpannt. Mathilde
und Natalie waren aufgeſtanden, um uns Lebewohl
zu ſagen. Mein Gaſtfreund nahm Abſchied von Ma¬
thilde und Natalie, Euſtach und Guſtav verabſchie¬
deten ſich, und ich glaubte auch einige Worte des
Dankes für die gütige Aufnahme an Mathilde richten
zu müſſen. Sie gab eine freundliche Antwort, und
lud mich ein, bald wieder zu kommen. Selbſt zu Na¬
talie ſagte ich ein Wort des Abſchiedes, das ſie leiſe
erwiederte.

Wie ſie ſo vor mir ſtand, begrif ich wieder, wie
ich bei ihrem erſten Anblicke auf den Gedanken ge¬
kommen war, daß der Menſch doch der höchſte Ge¬
genſtand für die Zeichnungskunſt ſei, ſo ſüß gehen
ihre reinen Augen und ſo lieb und hold gehen ihre
Züge in die Seele des Betrachters.

Wir ſtiegen in den Wagen, fuhren den grünen
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[482/0496] Das Abendeſſen wurde in dem Speiſezimmer ein¬ genommen. So brachten wir mehrere Tage in freundlichem Umgange und in heiteren mitunter belehrenden Ge¬ ſprächen hin. Endlich rüſteten wir uns zur Abreiſe. Am frühe¬ ſten Morgen war der Wagen beſpannt. Mathilde und Natalie waren aufgeſtanden, um uns Lebewohl zu ſagen. Mein Gaſtfreund nahm Abſchied von Ma¬ thilde und Natalie, Euſtach und Guſtav verabſchie¬ deten ſich, und ich glaubte auch einige Worte des Dankes für die gütige Aufnahme an Mathilde richten zu müſſen. Sie gab eine freundliche Antwort, und lud mich ein, bald wieder zu kommen. Selbſt zu Na¬ talie ſagte ich ein Wort des Abſchiedes, das ſie leiſe erwiederte. Wie ſie ſo vor mir ſtand, begrif ich wieder, wie ich bei ihrem erſten Anblicke auf den Gedanken ge¬ kommen war, daß der Menſch doch der höchſte Ge¬ genſtand für die Zeichnungskunſt ſei, ſo ſüß gehen ihre reinen Augen und ſo lieb und hold gehen ihre Züge in die Seele des Betrachters. Wir ſtiegen in den Wagen, fuhren den grünen Raſenhügel hinab, wendeten unſern Weg gegen

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Zitationshilfe: Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 1. Pesth, 1857, S. 482. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer01_1857/496>, abgerufen am 22.11.2024.