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Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 1. Pesth, 1857.

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waren. Das kleine lezte Zimmerchen mit der Tapeten¬
thür gehörte insbesondere Mathilden. Ich hatte es
Rosenzimmer genannt, und es wurde scherzweise der
Name beibehalten. Mir war es ein anmuthiger Ein¬
druck, daß ich sah, wie liebend und wie hold dieses
Zimmer für die alte Frau eingerichtet worden war.
Es herrschte eine zusammenstimmende Ruhe in diesem
Zimmer mit den sanften Farben blaßroth weißgrau
grün mattveilchenblau und Gold. In all das sah die
Landschaft mit den lieblichen Gestalten der Hochge¬
birge herein. Mathilde saß gerne auf dem eigenthüm¬
lichen Sessel am Fenster, und sah mit ihrem schönen
Angesichte hinaus, dessen Art mein Gastfreund einmal
mit einer welkenden Rose verglichen hatte.

In den Zimmern las zuweilen Natalie etwas vor,
wenn mein Gastfreund es verlangte. Sonst wurde
gesprochen. Ich sah auf ihrem Tische Papiere in schö¬
ner Ordnung und neben ihnen Bücher liegen. Ich
konnte es nie über mich bringen, auch nur auf die
Aufschrift dieser Bücher zu sehen, viel weniger gar
eines zu nehmen und hinein zu schauen. Es thaten
dies auch andere nie. An dem Fenster stand ein ver¬
hüllter Rahmen, an dem sie vielleicht etwas arbeitete;
aber sie zeigte nichts davon. Gustav, wahrscheinlich

waren. Das kleine lezte Zimmerchen mit der Tapeten¬
thür gehörte insbeſondere Mathilden. Ich hatte es
Roſenzimmer genannt, und es wurde ſcherzweiſe der
Name beibehalten. Mir war es ein anmuthiger Ein¬
druck, daß ich ſah, wie liebend und wie hold dieſes
Zimmer für die alte Frau eingerichtet worden war.
Es herrſchte eine zuſammenſtimmende Ruhe in dieſem
Zimmer mit den ſanften Farben blaßroth weißgrau
grün mattveilchenblau und Gold. In all das ſah die
Landſchaft mit den lieblichen Geſtalten der Hochge¬
birge herein. Mathilde ſaß gerne auf dem eigenthüm¬
lichen Seſſel am Fenſter, und ſah mit ihrem ſchönen
Angeſichte hinaus, deſſen Art mein Gaſtfreund einmal
mit einer welkenden Roſe verglichen hatte.

In den Zimmern las zuweilen Natalie etwas vor,
wenn mein Gaſtfreund es verlangte. Sonſt wurde
geſprochen. Ich ſah auf ihrem Tiſche Papiere in ſchö¬
ner Ordnung und neben ihnen Bücher liegen. Ich
konnte es nie über mich bringen, auch nur auf die
Aufſchrift dieſer Bücher zu ſehen, viel weniger gar
eines zu nehmen und hinein zu ſchauen. Es thaten
dies auch andere nie. An dem Fenſter ſtand ein ver¬
hüllter Rahmen, an dem ſie vielleicht etwas arbeitete;
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[413/0427] waren. Das kleine lezte Zimmerchen mit der Tapeten¬ thür gehörte insbeſondere Mathilden. Ich hatte es Roſenzimmer genannt, und es wurde ſcherzweiſe der Name beibehalten. Mir war es ein anmuthiger Ein¬ druck, daß ich ſah, wie liebend und wie hold dieſes Zimmer für die alte Frau eingerichtet worden war. Es herrſchte eine zuſammenſtimmende Ruhe in dieſem Zimmer mit den ſanften Farben blaßroth weißgrau grün mattveilchenblau und Gold. In all das ſah die Landſchaft mit den lieblichen Geſtalten der Hochge¬ birge herein. Mathilde ſaß gerne auf dem eigenthüm¬ lichen Seſſel am Fenſter, und ſah mit ihrem ſchönen Angeſichte hinaus, deſſen Art mein Gaſtfreund einmal mit einer welkenden Roſe verglichen hatte. In den Zimmern las zuweilen Natalie etwas vor, wenn mein Gaſtfreund es verlangte. Sonſt wurde geſprochen. Ich ſah auf ihrem Tiſche Papiere in ſchö¬ ner Ordnung und neben ihnen Bücher liegen. Ich konnte es nie über mich bringen, auch nur auf die Aufſchrift dieſer Bücher zu ſehen, viel weniger gar eines zu nehmen und hinein zu ſchauen. Es thaten dies auch andere nie. An dem Fenſter ſtand ein ver¬ hüllter Rahmen, an dem ſie vielleicht etwas arbeitete; aber ſie zeigte nichts davon. Guſtav, wahrſcheinlich

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Zitationshilfe: Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 1. Pesth, 1857, S. 413. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer01_1857/427>, abgerufen am 22.07.2024.