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Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 1. Pesth, 1857.

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es meinem Gastfreunde, und dieser hatte nichts da¬
wider. So war ich dann nicht einmal sondern meh¬
rere Male bei diesem Unterrichte zugegen. Mein alter
Gastfreund saß in einem Lehnsessel und erzählte. Er
beschrieb eine Erscheinung, er machte die Erscheinung
recht deutlich, zeigte sie, wenn es möglich war, mit
den Vorrichtungen seiner Sammlung, oder wo dies
nicht möglich war, suchte er sie durch Zeichnung oder
Versinnbildlichung darzustellen. Dann erzählte er,
auf welchem Wege die Menschen zur Kenntniß dieser
Erscheinung gekommen waren. Wenn er dieses voll¬
endet hatte, that er das Gleiche mit einer zweiten ver¬
wandten Erscheinung. Und wenn er nun einen Kreis
von zusammengehörigen Erscheinungen, der ihm hin¬
länglich schien, ausgeführt hatte, dann hob er das¬
jenige, was allen Erscheinungen gleichartig ist, her¬
vor, und stellte die Grunderscheinung oder das Gesez
dar. Bei diesem Unterrichte wurde nicht ein gewisses
Buch zu Grunde gelegt, sondern Gustav schrieb später
das, was ihm erzählt worden war, aus dem Gedächt¬
nisse auf, der alte Mann besserte es dann in seiner
Gegenwart aus, und so erhielt der Knabe nicht nur ein
Handbuch der Naturwissenschaft, sondern lernte den
Stoff selber schon durch das Aufschreiben und Ausbes¬

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es meinem Gaſtfreunde, und dieſer hatte nichts da¬
wider. So war ich dann nicht einmal ſondern meh¬
rere Male bei dieſem Unterrichte zugegen. Mein alter
Gaſtfreund ſaß in einem Lehnſeſſel und erzählte. Er
beſchrieb eine Erſcheinung, er machte die Erſcheinung
recht deutlich, zeigte ſie, wenn es möglich war, mit
den Vorrichtungen ſeiner Sammlung, oder wo dies
nicht möglich war, ſuchte er ſie durch Zeichnung oder
Verſinnbildlichung darzuſtellen. Dann erzählte er,
auf welchem Wege die Menſchen zur Kenntniß dieſer
Erſcheinung gekommen waren. Wenn er dieſes voll¬
endet hatte, that er das Gleiche mit einer zweiten ver¬
wandten Erſcheinung. Und wenn er nun einen Kreis
von zuſammengehörigen Erſcheinungen, der ihm hin¬
länglich ſchien, ausgeführt hatte, dann hob er das¬
jenige, was allen Erſcheinungen gleichartig iſt, her¬
vor, und ſtellte die Grunderſcheinung oder das Geſez
dar. Bei dieſem Unterrichte wurde nicht ein gewiſſes
Buch zu Grunde gelegt, ſondern Guſtav ſchrieb ſpäter
das, was ihm erzählt worden war, aus dem Gedächt¬
niſſe auf, der alte Mann beſſerte es dann in ſeiner
Gegenwart aus, und ſo erhielt der Knabe nicht nur ein
Handbuch der Naturwiſſenſchaft, ſondern lernte den
Stoff ſelber ſchon durch das Aufſchreiben und Ausbeſ¬

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[339/0353] es meinem Gaſtfreunde, und dieſer hatte nichts da¬ wider. So war ich dann nicht einmal ſondern meh¬ rere Male bei dieſem Unterrichte zugegen. Mein alter Gaſtfreund ſaß in einem Lehnſeſſel und erzählte. Er beſchrieb eine Erſcheinung, er machte die Erſcheinung recht deutlich, zeigte ſie, wenn es möglich war, mit den Vorrichtungen ſeiner Sammlung, oder wo dies nicht möglich war, ſuchte er ſie durch Zeichnung oder Verſinnbildlichung darzuſtellen. Dann erzählte er, auf welchem Wege die Menſchen zur Kenntniß dieſer Erſcheinung gekommen waren. Wenn er dieſes voll¬ endet hatte, that er das Gleiche mit einer zweiten ver¬ wandten Erſcheinung. Und wenn er nun einen Kreis von zuſammengehörigen Erſcheinungen, der ihm hin¬ länglich ſchien, ausgeführt hatte, dann hob er das¬ jenige, was allen Erſcheinungen gleichartig iſt, her¬ vor, und ſtellte die Grunderſcheinung oder das Geſez dar. Bei dieſem Unterrichte wurde nicht ein gewiſſes Buch zu Grunde gelegt, ſondern Guſtav ſchrieb ſpäter das, was ihm erzählt worden war, aus dem Gedächt¬ niſſe auf, der alte Mann beſſerte es dann in ſeiner Gegenwart aus, und ſo erhielt der Knabe nicht nur ein Handbuch der Naturwiſſenſchaft, ſondern lernte den Stoff ſelber ſchon durch das Aufſchreiben und Ausbeſ¬ 22 *

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Zitationshilfe: Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 1. Pesth, 1857, S. 339. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer01_1857/353>, abgerufen am 01.06.2024.