Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 1. Pesth, 1857.

Bild:
<< vorherige Seite

kannten, und mich nicht, weil ich bei ihm stand. Sie
drängten sich, pickten, zwitscherten, und balgten sich
sogar mitunter.

"Ich gebe im späteren Frühlinge und Sommer
den Weibchen sehr gerne noch eine leckere Draufgabe,"
sagte er, "weil manches Mal eine bedrängte Mutter
unter ihnen sein kann. Die so hastig und zugleich
so erschreckt fressen, sind Fremde. Sie würden um kei¬
nen Preis zu einem Menschen herzu gehen, wenn sie
nicht der bitterste Hunger nöthigte. Ich habe in har¬
ten Wintern schon die seltensten Vögel auf diesen
Brettern gesehen."

Als alles vorüber war und sich keine Gäste mehr
einfanden, schloß er die Fenster.

Ich stieg von da auf den Dachboden des Hauses
empor, weil er gesagt hatte, daß jezt auch den Hasen
außerhalb des Gartens Futter gestreut würde, und
daß man sie von da sehen könnte. Sie haben noch
nichts als die karge Wintersaat und Nadelreiser, we߬
halb man noch nachhelfen müsse. Da die Magd die
Blätter ausgestreut und sich entfernt hatte, kamen
schon Hasen herzu. Ich schraubte ein Fernrohr an
einen Balken, und es war lächerlich anzusehen,
worauf mich Gustav aufmerksam machte, wenn ein

kannten, und mich nicht, weil ich bei ihm ſtand. Sie
drängten ſich, pickten, zwitſcherten, und balgten ſich
ſogar mitunter.

„Ich gebe im ſpäteren Frühlinge und Sommer
den Weibchen ſehr gerne noch eine leckere Draufgabe,“
ſagte er, „weil manches Mal eine bedrängte Mutter
unter ihnen ſein kann. Die ſo haſtig und zugleich
ſo erſchreckt freſſen, ſind Fremde. Sie würden um kei¬
nen Preis zu einem Menſchen herzu gehen, wenn ſie
nicht der bitterſte Hunger nöthigte. Ich habe in har¬
ten Wintern ſchon die ſeltenſten Vögel auf dieſen
Brettern geſehen.“

Als alles vorüber war und ſich keine Gäſte mehr
einfanden, ſchloß er die Fenſter.

Ich ſtieg von da auf den Dachboden des Hauſes
empor, weil er geſagt hatte, daß jezt auch den Haſen
außerhalb des Gartens Futter geſtreut würde, und
daß man ſie von da ſehen könnte. Sie haben noch
nichts als die karge Winterſaat und Nadelreiſer, we߬
halb man noch nachhelfen müſſe. Da die Magd die
Blätter ausgeſtreut und ſich entfernt hatte, kamen
ſchon Haſen herzu. Ich ſchraubte ein Fernrohr an
einen Balken, und es war lächerlich anzuſehen,
worauf mich Guſtav aufmerkſam machte, wenn ein

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0349" n="335"/>
kannten, und mich nicht, weil ich bei ihm &#x017F;tand. Sie<lb/>
drängten &#x017F;ich, pickten, zwit&#x017F;cherten, und balgten &#x017F;ich<lb/>
&#x017F;ogar mitunter.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Ich gebe im &#x017F;päteren Frühlinge und Sommer<lb/>
den Weibchen &#x017F;ehr gerne noch eine leckere Draufgabe,&#x201C;<lb/>
&#x017F;agte er, &#x201E;weil manches Mal eine bedrängte Mutter<lb/>
unter ihnen &#x017F;ein kann. Die &#x017F;o ha&#x017F;tig und zugleich<lb/>
&#x017F;o er&#x017F;chreckt fre&#x017F;&#x017F;en, &#x017F;ind Fremde. Sie würden um kei¬<lb/>
nen Preis zu einem Men&#x017F;chen herzu gehen, wenn &#x017F;ie<lb/>
nicht der bitter&#x017F;te Hunger nöthigte. Ich habe in har¬<lb/>
ten Wintern &#x017F;chon die &#x017F;elten&#x017F;ten Vögel auf die&#x017F;en<lb/>
Brettern ge&#x017F;ehen.&#x201C;</p><lb/>
        <p>Als alles vorüber war und &#x017F;ich keine Gä&#x017F;te mehr<lb/>
einfanden, &#x017F;chloß er die Fen&#x017F;ter.</p><lb/>
        <p>Ich &#x017F;tieg von da auf den Dachboden des Hau&#x017F;es<lb/>
empor, weil er ge&#x017F;agt hatte, daß jezt auch den Ha&#x017F;en<lb/>
außerhalb des Gartens Futter ge&#x017F;treut würde, und<lb/>
daß man &#x017F;ie von da &#x017F;ehen könnte. Sie haben noch<lb/>
nichts als die karge Winter&#x017F;aat und Nadelrei&#x017F;er, we߬<lb/>
halb man noch nachhelfen mü&#x017F;&#x017F;e. Da die Magd die<lb/>
Blätter ausge&#x017F;treut und &#x017F;ich entfernt hatte, kamen<lb/>
&#x017F;chon Ha&#x017F;en herzu. Ich &#x017F;chraubte ein Fernrohr an<lb/>
einen Balken, und es war lächerlich anzu&#x017F;ehen,<lb/>
worauf mich Gu&#x017F;tav aufmerk&#x017F;am machte, wenn ein<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[335/0349] kannten, und mich nicht, weil ich bei ihm ſtand. Sie drängten ſich, pickten, zwitſcherten, und balgten ſich ſogar mitunter. „Ich gebe im ſpäteren Frühlinge und Sommer den Weibchen ſehr gerne noch eine leckere Draufgabe,“ ſagte er, „weil manches Mal eine bedrängte Mutter unter ihnen ſein kann. Die ſo haſtig und zugleich ſo erſchreckt freſſen, ſind Fremde. Sie würden um kei¬ nen Preis zu einem Menſchen herzu gehen, wenn ſie nicht der bitterſte Hunger nöthigte. Ich habe in har¬ ten Wintern ſchon die ſeltenſten Vögel auf dieſen Brettern geſehen.“ Als alles vorüber war und ſich keine Gäſte mehr einfanden, ſchloß er die Fenſter. Ich ſtieg von da auf den Dachboden des Hauſes empor, weil er geſagt hatte, daß jezt auch den Haſen außerhalb des Gartens Futter geſtreut würde, und daß man ſie von da ſehen könnte. Sie haben noch nichts als die karge Winterſaat und Nadelreiſer, we߬ halb man noch nachhelfen müſſe. Da die Magd die Blätter ausgeſtreut und ſich entfernt hatte, kamen ſchon Haſen herzu. Ich ſchraubte ein Fernrohr an einen Balken, und es war lächerlich anzuſehen, worauf mich Guſtav aufmerkſam machte, wenn ein

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer01_1857
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer01_1857/349
Zitationshilfe: Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 1. Pesth, 1857, S. 335. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer01_1857/349>, abgerufen am 26.06.2024.