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Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 1. Pesth, 1857.

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mehr der Arbeit, die vor ihm geschah, zu, und auch
ich richtete meine Aufmerksamkeit auf dieselbe. Ich
hatte mir einmal, da er mir erzählte, daß er die Baum¬
stämme waschen lasse, die Sache sehr umständlich ge¬
dacht. Ich sah aber jezt, daß sie mittelst Doppellei¬
tern und Brettern sehr einfach vor sich gehe. Mit den
langstieligen Bürsten konnte man in die höchsten
Zweige emporfahren, und da die Leute von der Zweck¬
mäßigkeit der Maßregel fest überzeugt waren und em¬
sig arbeiteten, so schritt das Werk mit einer von mir
nicht geahnten Schnelligkeit vor. In der That, wenn
man einen gewaschenen und gebürsteten Stamm an¬
sah, wie er rein und glatt in der Luft stand, während
sein Nachbar noch rauh und schmuzig war, so meinte
man, daß dem einen sehr wohl sein müsse, und daß
der andere verdrossen aussehe. Mir fiel die stolze
Äußerung ein, die mein Gastfreund im vergangenen
Sommer zu mir gethan hatte, daß ich nur den Stamm
jenes Kirschbaumes ansehen solle, ob seine Rinde
nicht aussähe wie feine graue Seide. Sie war wirk¬
lich wie Seide, und mußte es gerade immer mehr
werden, da sie in jedem Jahre aufs Neue gepflegt
wurde.

Als wir nach einer Weile weiter in den Garten

mehr der Arbeit, die vor ihm geſchah, zu, und auch
ich richtete meine Aufmerkſamkeit auf dieſelbe. Ich
hatte mir einmal, da er mir erzählte, daß er die Baum¬
ſtämme waſchen laſſe, die Sache ſehr umſtändlich ge¬
dacht. Ich ſah aber jezt, daß ſie mittelſt Doppellei¬
tern und Brettern ſehr einfach vor ſich gehe. Mit den
langſtieligen Bürſten konnte man in die höchſten
Zweige emporfahren, und da die Leute von der Zweck¬
mäßigkeit der Maßregel feſt überzeugt waren und em¬
ſig arbeiteten, ſo ſchritt das Werk mit einer von mir
nicht geahnten Schnelligkeit vor. In der That, wenn
man einen gewaſchenen und gebürſteten Stamm an¬
ſah, wie er rein und glatt in der Luft ſtand, während
ſein Nachbar noch rauh und ſchmuzig war, ſo meinte
man, daß dem einen ſehr wohl ſein müſſe, und daß
der andere verdroſſen ausſehe. Mir fiel die ſtolze
Äußerung ein, die mein Gaſtfreund im vergangenen
Sommer zu mir gethan hatte, daß ich nur den Stamm
jenes Kirſchbaumes anſehen ſolle, ob ſeine Rinde
nicht ausſähe wie feine graue Seide. Sie war wirk¬
lich wie Seide, und mußte es gerade immer mehr
werden, da ſie in jedem Jahre aufs Neue gepflegt
wurde.

Als wir nach einer Weile weiter in den Garten

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[327/0341] mehr der Arbeit, die vor ihm geſchah, zu, und auch ich richtete meine Aufmerkſamkeit auf dieſelbe. Ich hatte mir einmal, da er mir erzählte, daß er die Baum¬ ſtämme waſchen laſſe, die Sache ſehr umſtändlich ge¬ dacht. Ich ſah aber jezt, daß ſie mittelſt Doppellei¬ tern und Brettern ſehr einfach vor ſich gehe. Mit den langſtieligen Bürſten konnte man in die höchſten Zweige emporfahren, und da die Leute von der Zweck¬ mäßigkeit der Maßregel feſt überzeugt waren und em¬ ſig arbeiteten, ſo ſchritt das Werk mit einer von mir nicht geahnten Schnelligkeit vor. In der That, wenn man einen gewaſchenen und gebürſteten Stamm an¬ ſah, wie er rein und glatt in der Luft ſtand, während ſein Nachbar noch rauh und ſchmuzig war, ſo meinte man, daß dem einen ſehr wohl ſein müſſe, und daß der andere verdroſſen ausſehe. Mir fiel die ſtolze Äußerung ein, die mein Gaſtfreund im vergangenen Sommer zu mir gethan hatte, daß ich nur den Stamm jenes Kirſchbaumes anſehen ſolle, ob ſeine Rinde nicht ausſähe wie feine graue Seide. Sie war wirk¬ lich wie Seide, und mußte es gerade immer mehr werden, da ſie in jedem Jahre aufs Neue gepflegt wurde. Als wir nach einer Weile weiter in den Garten

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Zitationshilfe: Stifter, Adalbert: Der Nachsommer. Bd. 1. Pesth, 1857, S. 327. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/stifter_nachsommer01_1857/341>, abgerufen am 28.09.2024.