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Steub, Ludwig: Drei Sommer in Tirol. München, 1846.

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Landvolk nur mehr an den Franzosenkrieg und an die Zeit der Schweden erinnert, und was zwischen diesen beiden und über den Schwedenkrieg hinaus liegt, in kimmerischer Finsterniß ruht. Wie im Gebiete des Rechts die Zerstörung des Volksthümlichen sich dadurch rächt, daß der Bauer keine Idee mehr hat von den Gesetzen, unter denen er lebt, und jedem Schreiber anheimgegeben ist, der ihn ausbeuten will, so zeigt sich auch in der Poesie die Verwüstung darin, daß der Bauer, nachdem seine reichen Schätze versunken, statt tiefer, deutscher Volkslieder die flachen Gesänge nachleiert, die ihm fahrende Harfenistinnen hinterlassen, während die Unkenntniß vaterländischer Geschichte wieder schädlich auf seine Vaterlandsliebe wirkt. - Und so war in der alten Zeit auch jedes wiederkehrende Ereigniß des Lebens, der Muth der Männer, das weise Walten der Frauen, die holde Anmuth der Mädchen mit höhern Dingen in Bezug gesetzt, dadurch gehoben und poetisch verklärt. So gab der Deutsche auch den Jahreszeiten göttliche Ehren und ihre Ankunft feierte er mit fröhlichen Festen. Durch viele andere Gebräuche dieser Art wurde das Jahr reich an bedeutsamen Vorgängen, mit deren Verkommen wir bestimmt eingebüßt haben. Dabei überall fröhliche Lieder und Tänze und eine freudige Erhebung. Der Gesang begleitete den Tanz und dieser erhielt dadurch eine eigene Würde und sank wohl viel seltener als jetzt zu jener Ausgelassenheit herab, die unsern Polizeileuten so viel zu schaffen macht.*)

Fassen wir diese Andeutungen zusammen, so erscheint uns die Geschichte des deutschen Bauers als eine durchaus tragische, wie die eines Hauses, das von der Höhe des Reichthums und des Ansehens zu Dürftigkeit und Verachtung herabgesunken. Einst war der freie Bauer so gut wie der Edelherr der Träger der geistigen Errungenschaft der Nation, er hatte dieselben Kenntnisse und Wissenschaften, dasselbe Recht; die deutsche Vorzeit hatte einen poetischen Schatz hinterlassen, in

*) Siehe S. XL. der schönen Vorrede zu den Sagen, Märchen und Liedern der Herzogthümer Schleswig, Holstein und Lauenburg von Karl Müllenhof. Kiel 1845.

Landvolk nur mehr an den Franzosenkrieg und an die Zeit der Schweden erinnert, und was zwischen diesen beiden und über den Schwedenkrieg hinaus liegt, in kimmerischer Finsterniß ruht. Wie im Gebiete des Rechts die Zerstörung des Volksthümlichen sich dadurch rächt, daß der Bauer keine Idee mehr hat von den Gesetzen, unter denen er lebt, und jedem Schreiber anheimgegeben ist, der ihn ausbeuten will, so zeigt sich auch in der Poesie die Verwüstung darin, daß der Bauer, nachdem seine reichen Schätze versunken, statt tiefer, deutscher Volkslieder die flachen Gesänge nachleiert, die ihm fahrende Harfenistinnen hinterlassen, während die Unkenntniß vaterländischer Geschichte wieder schädlich auf seine Vaterlandsliebe wirkt. – Und so war in der alten Zeit auch jedes wiederkehrende Ereigniß des Lebens, der Muth der Männer, das weise Walten der Frauen, die holde Anmuth der Mädchen mit höhern Dingen in Bezug gesetzt, dadurch gehoben und poetisch verklärt. So gab der Deutsche auch den Jahreszeiten göttliche Ehren und ihre Ankunft feierte er mit fröhlichen Festen. Durch viele andere Gebräuche dieser Art wurde das Jahr reich an bedeutsamen Vorgängen, mit deren Verkommen wir bestimmt eingebüßt haben. Dabei überall fröhliche Lieder und Tänze und eine freudige Erhebung. Der Gesang begleitete den Tanz und dieser erhielt dadurch eine eigene Würde und sank wohl viel seltener als jetzt zu jener Ausgelassenheit herab, die unsern Polizeileuten so viel zu schaffen macht.*)

Fassen wir diese Andeutungen zusammen, so erscheint uns die Geschichte des deutschen Bauers als eine durchaus tragische, wie die eines Hauses, das von der Höhe des Reichthums und des Ansehens zu Dürftigkeit und Verachtung herabgesunken. Einst war der freie Bauer so gut wie der Edelherr der Träger der geistigen Errungenschaft der Nation, er hatte dieselben Kenntnisse und Wissenschaften, dasselbe Recht; die deutsche Vorzeit hatte einen poetischen Schatz hinterlassen, in

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[649/0653] Landvolk nur mehr an den Franzosenkrieg und an die Zeit der Schweden erinnert, und was zwischen diesen beiden und über den Schwedenkrieg hinaus liegt, in kimmerischer Finsterniß ruht. Wie im Gebiete des Rechts die Zerstörung des Volksthümlichen sich dadurch rächt, daß der Bauer keine Idee mehr hat von den Gesetzen, unter denen er lebt, und jedem Schreiber anheimgegeben ist, der ihn ausbeuten will, so zeigt sich auch in der Poesie die Verwüstung darin, daß der Bauer, nachdem seine reichen Schätze versunken, statt tiefer, deutscher Volkslieder die flachen Gesänge nachleiert, die ihm fahrende Harfenistinnen hinterlassen, während die Unkenntniß vaterländischer Geschichte wieder schädlich auf seine Vaterlandsliebe wirkt. – Und so war in der alten Zeit auch jedes wiederkehrende Ereigniß des Lebens, der Muth der Männer, das weise Walten der Frauen, die holde Anmuth der Mädchen mit höhern Dingen in Bezug gesetzt, dadurch gehoben und poetisch verklärt. So gab der Deutsche auch den Jahreszeiten göttliche Ehren und ihre Ankunft feierte er mit fröhlichen Festen. Durch viele andere Gebräuche dieser Art wurde das Jahr reich an bedeutsamen Vorgängen, mit deren Verkommen wir bestimmt eingebüßt haben. Dabei überall fröhliche Lieder und Tänze und eine freudige Erhebung. Der Gesang begleitete den Tanz und dieser erhielt dadurch eine eigene Würde und sank wohl viel seltener als jetzt zu jener Ausgelassenheit herab, die unsern Polizeileuten so viel zu schaffen macht. *) Fassen wir diese Andeutungen zusammen, so erscheint uns die Geschichte des deutschen Bauers als eine durchaus tragische, wie die eines Hauses, das von der Höhe des Reichthums und des Ansehens zu Dürftigkeit und Verachtung herabgesunken. Einst war der freie Bauer so gut wie der Edelherr der Träger der geistigen Errungenschaft der Nation, er hatte dieselben Kenntnisse und Wissenschaften, dasselbe Recht; die deutsche Vorzeit hatte einen poetischen Schatz hinterlassen, in *) Siehe S. XL. der schönen Vorrede zu den Sagen, Märchen und Liedern der Herzogthümer Schleswig, Holstein und Lauenburg von Karl Müllenhof. Kiel 1845.

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Zitationshilfe: Steub, Ludwig: Drei Sommer in Tirol. München, 1846, S. 649. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steub_tirol_1846/653>, abgerufen am 23.11.2024.