Steub, Ludwig: Drei Sommer in Tirol. München, 1846.legen. Indessen an der Schönheit kann jeder nergeln, aber es ist sehr schwer, ihr Feind zu seyn. Und so war uns auch bei alle dem die schöne Alpenrose nicht widerwärtig geworden, und der jüngste der Gefährten brach zuletzt in laute Klagen aus und sprach: Und so soll ich dich also auch jetzt nicht sehen, du Schönste der Berge, und bin dir doch in solche Höhe nachgegangen, und soll dich nimmer finden - denn wenn du auch hier nicht mehr blühst, so sterb' ich etwan, ohne dich zu kennen. Als er diese Worte gesprochen, gingen wir alle drei an einem breiten, mit buntem Moose bewachsenen Felsen hin, der uns wohl um etliche Ellen überragte, und als wir ihn umschritten, traten wir in ein kleines enges Feldchen mit kurzem Gras bewachsen und von großen Steinblöcken gartenartig eingehegt. Das ist nun nicht so überraschend, aber das Wunderbare war, daß mitten drinnen ein Rhododendronstrauch sich erhob und mitten in dem Strauche auf schlankem Halse eine Alpenrose blühte - eine einzige. Unser Jüngster begrüßte die rothe Blume mit einem Jauchzen, welches hundertfach von den Tauern wiederhallte. Ich freute mich an seiner Freude mehr als an der altbekannten Blume; aber während der fröhliche Gesell das Röschen brach, dachte ich mir in meinem Sinn: Alpenrose! warum bist du nicht Georgine geworden, damit ich das schöne Lied zu dir sprechen könnte, welches Hermann von Gilm zu Brunecken gedichtet hat und das also lautet: Warum so spät erst, Georgine? Das Rosenmärchen ist erzählt Und honigsatt hat sich die Biene Das Bett zum Schlummer schon gewählt. Sind nicht zu kalt Dir diese Nächte? Wie lebst Du diese Tage hin? Wenn ich Dir jetzt den Frühling brächte, Du feuergelbe Träumerin! Wenn ich mit Maithau dich benetzte!
Gar mild ist Julis-Sonnenlicht; Doch ach, dann warst Du nicht die letzte, Die stolze Einzige auch nicht! legen. Indessen an der Schönheit kann jeder nergeln, aber es ist sehr schwer, ihr Feind zu seyn. Und so war uns auch bei alle dem die schöne Alpenrose nicht widerwärtig geworden, und der jüngste der Gefährten brach zuletzt in laute Klagen aus und sprach: Und so soll ich dich also auch jetzt nicht sehen, du Schönste der Berge, und bin dir doch in solche Höhe nachgegangen, und soll dich nimmer finden – denn wenn du auch hier nicht mehr blühst, so sterb’ ich etwan, ohne dich zu kennen. Als er diese Worte gesprochen, gingen wir alle drei an einem breiten, mit buntem Moose bewachsenen Felsen hin, der uns wohl um etliche Ellen überragte, und als wir ihn umschritten, traten wir in ein kleines enges Feldchen mit kurzem Gras bewachsen und von großen Steinblöcken gartenartig eingehegt. Das ist nun nicht so überraschend, aber das Wunderbare war, daß mitten drinnen ein Rhododendronstrauch sich erhob und mitten in dem Strauche auf schlankem Halse eine Alpenrose blühte – eine einzige. Unser Jüngster begrüßte die rothe Blume mit einem Jauchzen, welches hundertfach von den Tauern wiederhallte. Ich freute mich an seiner Freude mehr als an der altbekannten Blume; aber während der fröhliche Gesell das Röschen brach, dachte ich mir in meinem Sinn: Alpenrose! warum bist du nicht Georgine geworden, damit ich das schöne Lied zu dir sprechen könnte, welches Hermann von Gilm zu Brunecken gedichtet hat und das also lautet: Warum so spät erst, Georgine? Das Rosenmärchen ist erzählt Und honigsatt hat sich die Biene Das Bett zum Schlummer schon gewählt. Sind nicht zu kalt Dir diese Nächte? Wie lebst Du diese Tage hin? Wenn ich Dir jetzt den Frühling brächte, Du feuergelbe Träumerin! Wenn ich mit Maithau dich benetzte!
Gar mild ist Julis-Sonnenlicht; Doch ach, dann warst Du nicht die letzte, Die stolze Einzige auch nicht! <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0594" n="590"/> legen. Indessen an der Schönheit kann jeder nergeln, aber es ist sehr schwer, ihr Feind zu seyn. Und so war uns auch bei alle dem die schöne Alpenrose nicht widerwärtig geworden, und der jüngste der Gefährten brach zuletzt in laute Klagen aus und sprach: Und so soll ich dich also auch jetzt nicht sehen, du Schönste der Berge, und bin dir doch in solche Höhe nachgegangen, und soll dich nimmer finden – denn wenn du auch hier nicht mehr blühst, so sterb’ ich etwan, ohne dich zu kennen. Als er diese Worte gesprochen, gingen wir alle drei an einem breiten, mit buntem Moose bewachsenen Felsen hin, der uns wohl um etliche Ellen überragte, und als wir ihn umschritten, traten wir in ein kleines enges Feldchen mit kurzem Gras bewachsen und von großen Steinblöcken gartenartig eingehegt. Das ist nun nicht so überraschend, aber das Wunderbare war, daß mitten drinnen ein Rhododendronstrauch sich erhob und mitten in dem Strauche auf schlankem Halse eine Alpenrose blühte – eine einzige. Unser Jüngster begrüßte die rothe Blume mit einem Jauchzen, welches hundertfach von den Tauern wiederhallte. Ich freute mich an seiner Freude mehr als an der altbekannten Blume; aber während der fröhliche Gesell das Röschen brach, dachte ich mir in meinem Sinn: Alpenrose! warum bist du nicht Georgine geworden, damit ich das schöne Lied zu dir sprechen könnte, welches Hermann von Gilm zu Brunecken gedichtet hat und das also lautet:</p> <lg type="poem"> <lg n="1"> <l>Warum so spät erst, Georgine?</l><lb/> <l>Das Rosenmärchen ist erzählt</l><lb/> <l>Und honigsatt hat sich die Biene</l><lb/> <l>Das Bett zum Schlummer schon gewählt.</l><lb/> </lg> <lg n="2"> <l>Sind nicht zu kalt Dir diese Nächte?</l><lb/> <l>Wie lebst Du diese Tage hin?</l><lb/> <l>Wenn ich Dir jetzt den Frühling brächte,</l><lb/> <l>Du feuergelbe Träumerin!</l><lb/> </lg> <lg n="3"> <l>Wenn ich mit Maithau dich benetzte!</l><lb/> <l>Gar mild ist Julis-Sonnenlicht;</l><lb/> <l>Doch ach, dann warst Du nicht die letzte,</l><lb/> <l>Die stolze Einzige auch nicht!</l><lb/> </lg> </lg> </div> </body> </text> </TEI> [590/0594]
legen. Indessen an der Schönheit kann jeder nergeln, aber es ist sehr schwer, ihr Feind zu seyn. Und so war uns auch bei alle dem die schöne Alpenrose nicht widerwärtig geworden, und der jüngste der Gefährten brach zuletzt in laute Klagen aus und sprach: Und so soll ich dich also auch jetzt nicht sehen, du Schönste der Berge, und bin dir doch in solche Höhe nachgegangen, und soll dich nimmer finden – denn wenn du auch hier nicht mehr blühst, so sterb’ ich etwan, ohne dich zu kennen. Als er diese Worte gesprochen, gingen wir alle drei an einem breiten, mit buntem Moose bewachsenen Felsen hin, der uns wohl um etliche Ellen überragte, und als wir ihn umschritten, traten wir in ein kleines enges Feldchen mit kurzem Gras bewachsen und von großen Steinblöcken gartenartig eingehegt. Das ist nun nicht so überraschend, aber das Wunderbare war, daß mitten drinnen ein Rhododendronstrauch sich erhob und mitten in dem Strauche auf schlankem Halse eine Alpenrose blühte – eine einzige. Unser Jüngster begrüßte die rothe Blume mit einem Jauchzen, welches hundertfach von den Tauern wiederhallte. Ich freute mich an seiner Freude mehr als an der altbekannten Blume; aber während der fröhliche Gesell das Röschen brach, dachte ich mir in meinem Sinn: Alpenrose! warum bist du nicht Georgine geworden, damit ich das schöne Lied zu dir sprechen könnte, welches Hermann von Gilm zu Brunecken gedichtet hat und das also lautet:
Warum so spät erst, Georgine?
Das Rosenmärchen ist erzählt
Und honigsatt hat sich die Biene
Das Bett zum Schlummer schon gewählt.
Sind nicht zu kalt Dir diese Nächte?
Wie lebst Du diese Tage hin?
Wenn ich Dir jetzt den Frühling brächte,
Du feuergelbe Träumerin!
Wenn ich mit Maithau dich benetzte!
Gar mild ist Julis-Sonnenlicht;
Doch ach, dann warst Du nicht die letzte,
Die stolze Einzige auch nicht!
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax.
(2012-11-05T13:27:31Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Wikimedia Commons: Bereitstellung der Bilddigitalisate
(2012-11-05T13:27:31Z)
Frank Wiegand: Konvertierung von Wikisource-Markup nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat.
(2012-11-05T13:27:31Z)
Weitere Informationen:Anmerkungen zur Transkription:
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |