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Steub, Ludwig: Drei Sommer in Tirol. München, 1846.

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Er zog ruhig fort und kümmerte sich um nichts - nicht um uns und nicht um seine Schweine, welche in wunderlicher, seltsamer Anordnung und Regelmäßigkeit über den schmalen Steg dahin trollten. Dieser Umstand vermehrte unser Grauen, das auch nicht kleiner wurde, als er sammt seinen Angehörigen so plötzlich im Nebel verschwand, daß wir ihn auf übernatürliche Weise hinweggenommen glaubten.

Um uns zu zerstreuen, fingen wir an von Alpenrosen zu sprechen. Die beiden Gefährten, das erstemal im Hochgebirge, hatten diese gefeierte Blume noch nie erblickt, denn in den tiefern Gegenden ist sie um diese Zeit schon verblüht. Wir sahen zwar ihre Hecken zwischen Legföhren aufsprießend, aber überall schon die Samenkapseln ausgebildet. Die krüppelhaften, Legföhren, wie sie so demüthig auf dem Boden herumkrochen, gaben uns unterdessen Anlaß zu einstweiligen Betrachtungen - zum Beispiel wie an den Thronstufen dieser Tauern, dieser wilden Despoten, kein charaktervoller Baum mehr aufkommen könne, während unten in dem Waldvolk der mittelständigen Thäler sich die trefflichsten und brauchbarsten Individualitäten ausbilden, wie selbst noch unter dem Janhagel der Ebene die stolze Agitatorengestalt der Eiche sich erhebe - oder - wem dieß nicht gefällt - wie ein anständiger Druck der Verhältnisse dem Menschen wie dem Baume so viel nicht schade, sintemal die starken Fichten oft auf sausenden Bergecken, in schlechtem Grunde gewurzelt und selten mit Veilchenduft umräuchert, daferne nur auch die liebe Wärme des Sommers zu ihnen durchdringt, am schönsten, kräftigsten und höchsten erwachsen - wie dagegen, wenn Sturm und Schnee und Eis den Menschen von Geburt an beständig bedrängen und nie der beseligende Hauch einer linden Maienzeit dazutritt, nothwendig eine Art von Legföhre daraus werden müsse - oder - wer noch etwas harmloseres will - wie die Rose der Schönheit eigentlich doch die Tugend und Würdigkeit in andern so selten zu schätzen wisse, und nun auch diese Alpenrosen sich geduldig von den verächtlichen, aber verliebten Knorrenarmen der Legföhren umhalsen lassen, statt sich um den edlen obwohl weniger sentimentalen Stamm der Eiche zu

Er zog ruhig fort und kümmerte sich um nichts – nicht um uns und nicht um seine Schweine, welche in wunderlicher, seltsamer Anordnung und Regelmäßigkeit über den schmalen Steg dahin trollten. Dieser Umstand vermehrte unser Grauen, das auch nicht kleiner wurde, als er sammt seinen Angehörigen so plötzlich im Nebel verschwand, daß wir ihn auf übernatürliche Weise hinweggenommen glaubten.

Um uns zu zerstreuen, fingen wir an von Alpenrosen zu sprechen. Die beiden Gefährten, das erstemal im Hochgebirge, hatten diese gefeierte Blume noch nie erblickt, denn in den tiefern Gegenden ist sie um diese Zeit schon verblüht. Wir sahen zwar ihre Hecken zwischen Legföhren aufsprießend, aber überall schon die Samenkapseln ausgebildet. Die krüppelhaften, Legföhren, wie sie so demüthig auf dem Boden herumkrochen, gaben uns unterdessen Anlaß zu einstweiligen Betrachtungen – zum Beispiel wie an den Thronstufen dieser Tauern, dieser wilden Despoten, kein charaktervoller Baum mehr aufkommen könne, während unten in dem Waldvolk der mittelständigen Thäler sich die trefflichsten und brauchbarsten Individualitäten ausbilden, wie selbst noch unter dem Janhagel der Ebene die stolze Agitatorengestalt der Eiche sich erhebe – oder – wem dieß nicht gefällt – wie ein anständiger Druck der Verhältnisse dem Menschen wie dem Baume so viel nicht schade, sintemal die starken Fichten oft auf sausenden Bergecken, in schlechtem Grunde gewurzelt und selten mit Veilchenduft umräuchert, daferne nur auch die liebe Wärme des Sommers zu ihnen durchdringt, am schönsten, kräftigsten und höchsten erwachsen – wie dagegen, wenn Sturm und Schnee und Eis den Menschen von Geburt an beständig bedrängen und nie der beseligende Hauch einer linden Maienzeit dazutritt, nothwendig eine Art von Legföhre daraus werden müsse – oder – wer noch etwas harmloseres will – wie die Rose der Schönheit eigentlich doch die Tugend und Würdigkeit in andern so selten zu schätzen wisse, und nun auch diese Alpenrosen sich geduldig von den verächtlichen, aber verliebten Knorrenarmen der Legföhren umhalsen lassen, statt sich um den edlen obwohl weniger sentimentalen Stamm der Eiche zu

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[589/0593] Er zog ruhig fort und kümmerte sich um nichts – nicht um uns und nicht um seine Schweine, welche in wunderlicher, seltsamer Anordnung und Regelmäßigkeit über den schmalen Steg dahin trollten. Dieser Umstand vermehrte unser Grauen, das auch nicht kleiner wurde, als er sammt seinen Angehörigen so plötzlich im Nebel verschwand, daß wir ihn auf übernatürliche Weise hinweggenommen glaubten. Um uns zu zerstreuen, fingen wir an von Alpenrosen zu sprechen. Die beiden Gefährten, das erstemal im Hochgebirge, hatten diese gefeierte Blume noch nie erblickt, denn in den tiefern Gegenden ist sie um diese Zeit schon verblüht. Wir sahen zwar ihre Hecken zwischen Legföhren aufsprießend, aber überall schon die Samenkapseln ausgebildet. Die krüppelhaften, Legföhren, wie sie so demüthig auf dem Boden herumkrochen, gaben uns unterdessen Anlaß zu einstweiligen Betrachtungen – zum Beispiel wie an den Thronstufen dieser Tauern, dieser wilden Despoten, kein charaktervoller Baum mehr aufkommen könne, während unten in dem Waldvolk der mittelständigen Thäler sich die trefflichsten und brauchbarsten Individualitäten ausbilden, wie selbst noch unter dem Janhagel der Ebene die stolze Agitatorengestalt der Eiche sich erhebe – oder – wem dieß nicht gefällt – wie ein anständiger Druck der Verhältnisse dem Menschen wie dem Baume so viel nicht schade, sintemal die starken Fichten oft auf sausenden Bergecken, in schlechtem Grunde gewurzelt und selten mit Veilchenduft umräuchert, daferne nur auch die liebe Wärme des Sommers zu ihnen durchdringt, am schönsten, kräftigsten und höchsten erwachsen – wie dagegen, wenn Sturm und Schnee und Eis den Menschen von Geburt an beständig bedrängen und nie der beseligende Hauch einer linden Maienzeit dazutritt, nothwendig eine Art von Legföhre daraus werden müsse – oder – wer noch etwas harmloseres will – wie die Rose der Schönheit eigentlich doch die Tugend und Würdigkeit in andern so selten zu schätzen wisse, und nun auch diese Alpenrosen sich geduldig von den verächtlichen, aber verliebten Knorrenarmen der Legföhren umhalsen lassen, statt sich um den edlen obwohl weniger sentimentalen Stamm der Eiche zu

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Zitationshilfe: Steub, Ludwig: Drei Sommer in Tirol. München, 1846, S. 589. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steub_tirol_1846/593>, abgerufen am 23.11.2024.