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Steub, Ludwig: Drei Sommer in Tirol. München, 1846.

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Und so setzte ich mich denn in den Ofenwinkel, allererst aufmerksam der fremden Freude zugewandt, aber allmählich in mich hineinträumend vom Tanz im Pinzgau und mit geschlossenen Augen die Zither und die weichen Mädchenstimmen in mich schlürfend und die starken Tactschläge gemildert aufnehmend und das leise Flüstern und das laute Gelächter fast auch als Musik zulassend in meine innere Welt, die immer schöner wurde, auch immer träumerischer und jedenfalls immer schläfriger, bis ich wie nach langen Zeiten und wie aus weiter Ferne das Pinzgauer Wallfahrtslied vernahm und die Wallfahrtsglocken hörte und mehr und mehr wieder zum wachen Leben zurückkehrend auch im schlaftrunkenen Blinzeln die Lichter der Wallfahrt zu sehen glaubte, und mich immer mehr überzeugte, daß es meine Freunde und Freundinnen selber waren, die unter Vortritt eines Fahnenträgers mit angezündeten Spänen durch die Stube wallten, und mit sehr ernsthaften und frommen Gesichtern Glocken von der Weide trugen und mit leiser verschwimmender Stimme sangen:

Die Pinzgauer gingen in den Dom hinein,
Die Heiligen thun schlafen, sie konnten s' nicht derschrein -

und den Refrain gestalteten sie parodirend:

Jetzt schaut fein daß ein jeder, jeder, jeder, jeder, jeder, jeder
sein Madel bei sich hat, sein Madel bei sich hat -

Das hatt' ich freilich nicht, dafür aber ein reines Bewußtseyn und den Stolz der Tugend. Darum sank ich mit einem leisen Seufzer wieder zurück in den Schlaf des Gerechten - es war ohnedem nicht mehr zu früh - und träumte fort und nahm nun auch noch das Wallfahrer Lied dazu, und wehende Fahnen und läutende Glocken die mich durch die ganze Christenheit über Land und See dahin begleiteten über der Runzeval - schiens mir - bis nach Compostella und zum Berge Sinai im steinigen Arabien, von wo es sehr weit ist ins Pinzgau und wo keine weise Gertl mehr die fremden Studenten durch ihre Sprödigkeit zu reizen weiß und keine Leipziger Musensöhne mehr ländlerisch tanzen und keine bayerischen mehr jodeln. Und in der Frühe mischte sich in den leisen Alpengesang der in das Morgenland mit mir gezogen war, auch der trillernde Baryton

Und so setzte ich mich denn in den Ofenwinkel, allererst aufmerksam der fremden Freude zugewandt, aber allmählich in mich hineinträumend vom Tanz im Pinzgau und mit geschlossenen Augen die Zither und die weichen Mädchenstimmen in mich schlürfend und die starken Tactschläge gemildert aufnehmend und das leise Flüstern und das laute Gelächter fast auch als Musik zulassend in meine innere Welt, die immer schöner wurde, auch immer träumerischer und jedenfalls immer schläfriger, bis ich wie nach langen Zeiten und wie aus weiter Ferne das Pinzgauer Wallfahrtslied vernahm und die Wallfahrtsglocken hörte und mehr und mehr wieder zum wachen Leben zurückkehrend auch im schlaftrunkenen Blinzeln die Lichter der Wallfahrt zu sehen glaubte, und mich immer mehr überzeugte, daß es meine Freunde und Freundinnen selber waren, die unter Vortritt eines Fahnenträgers mit angezündeten Spänen durch die Stube wallten, und mit sehr ernsthaften und frommen Gesichtern Glocken von der Weide trugen und mit leiser verschwimmender Stimme sangen:

Die Pinzgauer gingen in den Dom hinein,
Die Heiligen thun schlafen, sie konnten s’ nicht derschrein –

und den Refrain gestalteten sie parodirend:

Jetzt schaut fein daß ein jeder, jeder, jeder, jeder, jeder, jeder
sein Madel bei sich hat, sein Madel bei sich hat –

Das hatt’ ich freilich nicht, dafür aber ein reines Bewußtseyn und den Stolz der Tugend. Darum sank ich mit einem leisen Seufzer wieder zurück in den Schlaf des Gerechten – es war ohnedem nicht mehr zu früh – und träumte fort und nahm nun auch noch das Wallfahrer Lied dazu, und wehende Fahnen und läutende Glocken die mich durch die ganze Christenheit über Land und See dahin begleiteten über der Runzeval – schiens mir – bis nach Compostella und zum Berge Sinai im steinigen Arabien, von wo es sehr weit ist ins Pinzgau und wo keine weise Gertl mehr die fremden Studenten durch ihre Sprödigkeit zu reizen weiß und keine Leipziger Musensöhne mehr ländlerisch tanzen und keine bayerischen mehr jodeln. Und in der Frühe mischte sich in den leisen Alpengesang der in das Morgenland mit mir gezogen war, auch der trillernde Baryton

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[582/0586] Und so setzte ich mich denn in den Ofenwinkel, allererst aufmerksam der fremden Freude zugewandt, aber allmählich in mich hineinträumend vom Tanz im Pinzgau und mit geschlossenen Augen die Zither und die weichen Mädchenstimmen in mich schlürfend und die starken Tactschläge gemildert aufnehmend und das leise Flüstern und das laute Gelächter fast auch als Musik zulassend in meine innere Welt, die immer schöner wurde, auch immer träumerischer und jedenfalls immer schläfriger, bis ich wie nach langen Zeiten und wie aus weiter Ferne das Pinzgauer Wallfahrtslied vernahm und die Wallfahrtsglocken hörte und mehr und mehr wieder zum wachen Leben zurückkehrend auch im schlaftrunkenen Blinzeln die Lichter der Wallfahrt zu sehen glaubte, und mich immer mehr überzeugte, daß es meine Freunde und Freundinnen selber waren, die unter Vortritt eines Fahnenträgers mit angezündeten Spänen durch die Stube wallten, und mit sehr ernsthaften und frommen Gesichtern Glocken von der Weide trugen und mit leiser verschwimmender Stimme sangen: Die Pinzgauer gingen in den Dom hinein, Die Heiligen thun schlafen, sie konnten s’ nicht derschrein – und den Refrain gestalteten sie parodirend: Jetzt schaut fein daß ein jeder, jeder, jeder, jeder, jeder, jeder sein Madel bei sich hat, sein Madel bei sich hat – Das hatt’ ich freilich nicht, dafür aber ein reines Bewußtseyn und den Stolz der Tugend. Darum sank ich mit einem leisen Seufzer wieder zurück in den Schlaf des Gerechten – es war ohnedem nicht mehr zu früh – und träumte fort und nahm nun auch noch das Wallfahrer Lied dazu, und wehende Fahnen und läutende Glocken die mich durch die ganze Christenheit über Land und See dahin begleiteten über der Runzeval – schiens mir – bis nach Compostella und zum Berge Sinai im steinigen Arabien, von wo es sehr weit ist ins Pinzgau und wo keine weise Gertl mehr die fremden Studenten durch ihre Sprödigkeit zu reizen weiß und keine Leipziger Musensöhne mehr ländlerisch tanzen und keine bayerischen mehr jodeln. Und in der Frühe mischte sich in den leisen Alpengesang der in das Morgenland mit mir gezogen war, auch der trillernde Baryton

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Zitationshilfe: Steub, Ludwig: Drei Sommer in Tirol. München, 1846, S. 582. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steub_tirol_1846/586>, abgerufen am 23.11.2024.