Steub, Ludwig: Drei Sommer in Tirol. München, 1846.Schwaben geht. Beide Pässe, die niedersten, die über die Alpen führen, waren von jeher für Römerfahrten, für Heereszüge, für Pilgerschaft und Handelsverkehr stark benützt. Die uralten romanischen Kirchlein in der Stadt und der Umgebung, mit ihren massiven weißen Thurmhauben erinnern noch an die lombardischen Zeiten, wo die Stadt auch schon ihre Bedeutung hatte. Uralt sind auch die vier Bozner Messen, die jetzt freilich sehr herabgekommen. So ist die Stadt, obgleich an Umfang immer klein, doch schon im frühen Mittelalter sehr wohlhabend geworden und muß immer noch dafür gelten, obgleich in dem letzten halben Jahrhundert der Reichthum eher ab- als zunahm. Die heutigen Bozner wissen auch, daß sie viel Geld besitzen und sie sollen sich sogar etwas darauf einbilden. Noch vor etlichen Jahrzehnten hat sich die Stadt nach bewährten Angaben einem sehr ungebundenen Sybaritenleben überlassen, zur Zeit aber geht ein zwiespältiger Ton durch ihre Gesellschaft; Weltlichkeit und Andacht sind sichtlich mit einander zerfallen. Bozen hat jetzt nämlich nicht ohne Grund den Ruhm der frömmsten Stadt im frommen Tirol. Eine bedeutende Anzahl von Weltpriestern und Mönchen übt großen Einfluß auf das Familienleben der bessern und unwiderstehliche Gewalt auf die mindern Leute. Man geht alle Tage zur Messe, alle Tage zum Rosenkranz, alle acht Tage zu Beicht und Abendmahl. Die Gebote der Kirche werden nicht allein ängstlich gehalten, sondern, mehr als anderswo, mit sinniger Strenge ausgelegt. So zum Beispiel weiß man vielleicht nirgends in der Welt als hier, daß das Spundloch eines Fasses, wenn auch Freitags Wein daraus gezogen werden soll, mit Schmalz vermacht seyn muß, aber nicht mit Speck, da der Wein außerdem, als mit einer Fleischspeise in Berührung, an Fasttagen nicht erlaubt wäre u. s. w. Viele Familien zeigen einen feurigen Eifer sich durch äußere Frömmigkeit hervorzuthun, und wie sich an andern Orten vornehme Damen ihr Putzzeug aus Paris verschreiben, so beziehen sie hier Fastendispensen u. dgl. unmittelbar vom päpstlichen Stuhl zu Rom und sind wahrhaft stolz auf den kräftigen Zettel, während der gemeine Pöbel Schwaben geht. Beide Pässe, die niedersten, die über die Alpen führen, waren von jeher für Römerfahrten, für Heereszüge, für Pilgerschaft und Handelsverkehr stark benützt. Die uralten romanischen Kirchlein in der Stadt und der Umgebung, mit ihren massiven weißen Thurmhauben erinnern noch an die lombardischen Zeiten, wo die Stadt auch schon ihre Bedeutung hatte. Uralt sind auch die vier Bozner Messen, die jetzt freilich sehr herabgekommen. So ist die Stadt, obgleich an Umfang immer klein, doch schon im frühen Mittelalter sehr wohlhabend geworden und muß immer noch dafür gelten, obgleich in dem letzten halben Jahrhundert der Reichthum eher ab- als zunahm. Die heutigen Bozner wissen auch, daß sie viel Geld besitzen und sie sollen sich sogar etwas darauf einbilden. Noch vor etlichen Jahrzehnten hat sich die Stadt nach bewährten Angaben einem sehr ungebundenen Sybaritenleben überlassen, zur Zeit aber geht ein zwiespältiger Ton durch ihre Gesellschaft; Weltlichkeit und Andacht sind sichtlich mit einander zerfallen. Bozen hat jetzt nämlich nicht ohne Grund den Ruhm der frömmsten Stadt im frommen Tirol. Eine bedeutende Anzahl von Weltpriestern und Mönchen übt großen Einfluß auf das Familienleben der bessern und unwiderstehliche Gewalt auf die mindern Leute. Man geht alle Tage zur Messe, alle Tage zum Rosenkranz, alle acht Tage zu Beicht und Abendmahl. Die Gebote der Kirche werden nicht allein ängstlich gehalten, sondern, mehr als anderswo, mit sinniger Strenge ausgelegt. So zum Beispiel weiß man vielleicht nirgends in der Welt als hier, daß das Spundloch eines Fasses, wenn auch Freitags Wein daraus gezogen werden soll, mit Schmalz vermacht seyn muß, aber nicht mit Speck, da der Wein außerdem, als mit einer Fleischspeise in Berührung, an Fasttagen nicht erlaubt wäre u. s. w. Viele Familien zeigen einen feurigen Eifer sich durch äußere Frömmigkeit hervorzuthun, und wie sich an andern Orten vornehme Damen ihr Putzzeug aus Paris verschreiben, so beziehen sie hier Fastendispensen u. dgl. unmittelbar vom päpstlichen Stuhl zu Rom und sind wahrhaft stolz auf den kräftigen Zettel, während der gemeine Pöbel <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0377" n="373"/> Schwaben geht. Beide Pässe, die niedersten, die über die Alpen führen, waren von jeher für Römerfahrten, für Heereszüge, für Pilgerschaft und Handelsverkehr stark benützt. Die uralten romanischen Kirchlein in der Stadt und der Umgebung, mit ihren massiven weißen Thurmhauben erinnern noch an die lombardischen Zeiten, wo die Stadt auch schon ihre Bedeutung hatte. 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Man geht alle Tage zur Messe, alle Tage zum Rosenkranz, alle acht Tage zu Beicht und Abendmahl. Die Gebote der Kirche werden nicht allein ängstlich gehalten, sondern, mehr als anderswo, mit sinniger Strenge ausgelegt. So zum Beispiel weiß man vielleicht nirgends in der Welt als hier, daß das Spundloch eines Fasses, wenn auch Freitags Wein daraus gezogen werden soll, mit Schmalz vermacht seyn muß, aber nicht mit Speck, da der Wein außerdem, als mit einer Fleischspeise in Berührung, an Fasttagen nicht erlaubt wäre u. s. w. Viele Familien zeigen einen feurigen Eifer sich durch äußere Frömmigkeit hervorzuthun, und wie sich an andern Orten vornehme Damen ihr Putzzeug aus Paris verschreiben, so beziehen sie hier Fastendispensen u. dgl. unmittelbar vom päpstlichen Stuhl zu Rom und sind wahrhaft stolz auf den kräftigen Zettel, während der gemeine Pöbel </p> </div> </body> </text> </TEI> [373/0377]
Schwaben geht. Beide Pässe, die niedersten, die über die Alpen führen, waren von jeher für Römerfahrten, für Heereszüge, für Pilgerschaft und Handelsverkehr stark benützt. Die uralten romanischen Kirchlein in der Stadt und der Umgebung, mit ihren massiven weißen Thurmhauben erinnern noch an die lombardischen Zeiten, wo die Stadt auch schon ihre Bedeutung hatte. Uralt sind auch die vier Bozner Messen, die jetzt freilich sehr herabgekommen.
So ist die Stadt, obgleich an Umfang immer klein, doch schon im frühen Mittelalter sehr wohlhabend geworden und muß immer noch dafür gelten, obgleich in dem letzten halben Jahrhundert der Reichthum eher ab- als zunahm. Die heutigen Bozner wissen auch, daß sie viel Geld besitzen und sie sollen sich sogar etwas darauf einbilden. Noch vor etlichen Jahrzehnten hat sich die Stadt nach bewährten Angaben einem sehr ungebundenen Sybaritenleben überlassen, zur Zeit aber geht ein zwiespältiger Ton durch ihre Gesellschaft; Weltlichkeit und Andacht sind sichtlich mit einander zerfallen. Bozen hat jetzt nämlich nicht ohne Grund den Ruhm der frömmsten Stadt im frommen Tirol. Eine bedeutende Anzahl von Weltpriestern und Mönchen übt großen Einfluß auf das Familienleben der bessern und unwiderstehliche Gewalt auf die mindern Leute. Man geht alle Tage zur Messe, alle Tage zum Rosenkranz, alle acht Tage zu Beicht und Abendmahl. Die Gebote der Kirche werden nicht allein ängstlich gehalten, sondern, mehr als anderswo, mit sinniger Strenge ausgelegt. So zum Beispiel weiß man vielleicht nirgends in der Welt als hier, daß das Spundloch eines Fasses, wenn auch Freitags Wein daraus gezogen werden soll, mit Schmalz vermacht seyn muß, aber nicht mit Speck, da der Wein außerdem, als mit einer Fleischspeise in Berührung, an Fasttagen nicht erlaubt wäre u. s. w. Viele Familien zeigen einen feurigen Eifer sich durch äußere Frömmigkeit hervorzuthun, und wie sich an andern Orten vornehme Damen ihr Putzzeug aus Paris verschreiben, so beziehen sie hier Fastendispensen u. dgl. unmittelbar vom päpstlichen Stuhl zu Rom und sind wahrhaft stolz auf den kräftigen Zettel, während der gemeine Pöbel
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