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Steub, Ludwig: Drei Sommer in Tirol. München, 1846.

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Hauptstraße, schon in der ersten Anlage auf die Hitze des Sommers berechnet, ist etwas eng und finster ausgefallen, hat aber geräumige Bogengänge, Lauben genannt, unter denen auch in der wärmsten Jahreszeit eine kellerliche Kühle duftet. Fast an allen Häusern sind Erker angebracht, zur luftigen Aussicht Straß' auf und ab. Im Innern dieser Gebäude überraschen die großen Räume: die weite Hausflur, die mächtigen Stuben und insbesondere die eigenthümliche Lichthaube, ein mitten im Hause stehender Hof, oben mit schwebendem Dach überlegt, unten durch sprudelnde Brunnen belebt, eine nothwendige Vorrathskammer, von wo aus Kühlung und frischer Luftzug in alle Gänge und Gemächer sich ergießt. Die italienischen Landleute die auf dem Markt sitzen oder unter den Lauben rasten, die italienischen Aufschriften über deutschen Waarengewölben, das offene Leben vor den Kaffeehäusern, die zerlumpten Jungen die sich dienstfertig um den ankommenden Fremden drängen, und manches andere erinnert daß man an den Thoren von Wälschland steht.

Auch die Fauna erhebt sich mit mit geilem Schwunge bis zur Erzeugung des Scorpions. Ferner gibt es etwas tödtliche Vipern, die man hier zu Lande schlecht und recht Beißwürmer nennt. Im Pflanzenreiche kommt fast alles fort, was in Hesperien wächst. Wer die Süßigkeiten des hiesigen Herbstes gekostet, die wonnevollen Trauben, die feinen Pfirsiche und alles was mit ihnen aus den Gärten kommt, der wird immer mit Sehnsucht daran denken, wie die reisenden Matrosen von Ithaka an die Lotosfrucht. Sehenswerth sind auch die Bozner Gärten. Wenn zu den warmen Lüften noch die Kunst des Blumenwärters und der Reichthum gartenfreundlicher Familien kömmt, so muß Flora allerdings ihr ganze Pracht entfalten.

Die günstige Lage hat die Stadt schon in frühen Zeiten zu großer Wohlhabenheit geführt. Gerade hier, in die Landzunge zwischen Etsch und Eisack mündet der befahrenste Straßenzug aus Italien nach Deutschland, um sich da in zwei Arme zu theilen, von denen der eine über den Brenner nach Bayern, der andere über Finstermünz und den Arlberg nach

Hauptstraße, schon in der ersten Anlage auf die Hitze des Sommers berechnet, ist etwas eng und finster ausgefallen, hat aber geräumige Bogengänge, Lauben genannt, unter denen auch in der wärmsten Jahreszeit eine kellerliche Kühle duftet. Fast an allen Häusern sind Erker angebracht, zur luftigen Aussicht Straß’ auf und ab. Im Innern dieser Gebäude überraschen die großen Räume: die weite Hausflur, die mächtigen Stuben und insbesondere die eigenthümliche Lichthaube, ein mitten im Hause stehender Hof, oben mit schwebendem Dach überlegt, unten durch sprudelnde Brunnen belebt, eine nothwendige Vorrathskammer, von wo aus Kühlung und frischer Luftzug in alle Gänge und Gemächer sich ergießt. Die italienischen Landleute die auf dem Markt sitzen oder unter den Lauben rasten, die italienischen Aufschriften über deutschen Waarengewölben, das offene Leben vor den Kaffeehäusern, die zerlumpten Jungen die sich dienstfertig um den ankommenden Fremden drängen, und manches andere erinnert daß man an den Thoren von Wälschland steht.

Auch die Fauna erhebt sich mit mit geilem Schwunge bis zur Erzeugung des Scorpions. Ferner gibt es etwas tödtliche Vipern, die man hier zu Lande schlecht und recht Beißwürmer nennt. Im Pflanzenreiche kommt fast alles fort, was in Hesperien wächst. Wer die Süßigkeiten des hiesigen Herbstes gekostet, die wonnevollen Trauben, die feinen Pfirsiche und alles was mit ihnen aus den Gärten kommt, der wird immer mit Sehnsucht daran denken, wie die reisenden Matrosen von Ithaka an die Lotosfrucht. Sehenswerth sind auch die Bozner Gärten. Wenn zu den warmen Lüften noch die Kunst des Blumenwärters und der Reichthum gartenfreundlicher Familien kömmt, so muß Flora allerdings ihr ganze Pracht entfalten.

Die günstige Lage hat die Stadt schon in frühen Zeiten zu großer Wohlhabenheit geführt. Gerade hier, in die Landzunge zwischen Etsch und Eisack mündet der befahrenste Straßenzug aus Italien nach Deutschland, um sich da in zwei Arme zu theilen, von denen der eine über den Brenner nach Bayern, der andere über Finstermünz und den Arlberg nach

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Hauptstraße, schon in der ersten Anlage auf die Hitze des Sommers berechnet, ist etwas eng und finster ausgefallen, hat aber geräumige Bogengänge, Lauben genannt, unter denen auch in der wärmsten Jahreszeit eine kellerliche Kühle duftet. Fast an allen Häusern sind Erker angebracht, zur luftigen Aussicht Straß&#x2019; auf und ab. Im Innern dieser Gebäude überraschen die großen Räume: die weite Hausflur, die mächtigen Stuben und insbesondere die eigenthümliche Lichthaube, ein mitten im Hause stehender Hof, oben mit schwebendem Dach überlegt, unten durch sprudelnde Brunnen belebt, eine nothwendige Vorrathskammer, von wo aus Kühlung und frischer Luftzug in alle Gänge und Gemächer sich ergießt. Die italienischen Landleute die auf dem Markt sitzen oder unter den Lauben rasten, die italienischen Aufschriften über deutschen Waarengewölben, das offene Leben vor den Kaffeehäusern, die zerlumpten Jungen die sich dienstfertig um den ankommenden Fremden drängen, und manches andere erinnert daß man an den Thoren von Wälschland steht.</p>
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[372/0376] Hauptstraße, schon in der ersten Anlage auf die Hitze des Sommers berechnet, ist etwas eng und finster ausgefallen, hat aber geräumige Bogengänge, Lauben genannt, unter denen auch in der wärmsten Jahreszeit eine kellerliche Kühle duftet. Fast an allen Häusern sind Erker angebracht, zur luftigen Aussicht Straß’ auf und ab. Im Innern dieser Gebäude überraschen die großen Räume: die weite Hausflur, die mächtigen Stuben und insbesondere die eigenthümliche Lichthaube, ein mitten im Hause stehender Hof, oben mit schwebendem Dach überlegt, unten durch sprudelnde Brunnen belebt, eine nothwendige Vorrathskammer, von wo aus Kühlung und frischer Luftzug in alle Gänge und Gemächer sich ergießt. Die italienischen Landleute die auf dem Markt sitzen oder unter den Lauben rasten, die italienischen Aufschriften über deutschen Waarengewölben, das offene Leben vor den Kaffeehäusern, die zerlumpten Jungen die sich dienstfertig um den ankommenden Fremden drängen, und manches andere erinnert daß man an den Thoren von Wälschland steht. Auch die Fauna erhebt sich mit mit geilem Schwunge bis zur Erzeugung des Scorpions. Ferner gibt es etwas tödtliche Vipern, die man hier zu Lande schlecht und recht Beißwürmer nennt. Im Pflanzenreiche kommt fast alles fort, was in Hesperien wächst. Wer die Süßigkeiten des hiesigen Herbstes gekostet, die wonnevollen Trauben, die feinen Pfirsiche und alles was mit ihnen aus den Gärten kommt, der wird immer mit Sehnsucht daran denken, wie die reisenden Matrosen von Ithaka an die Lotosfrucht. Sehenswerth sind auch die Bozner Gärten. Wenn zu den warmen Lüften noch die Kunst des Blumenwärters und der Reichthum gartenfreundlicher Familien kömmt, so muß Flora allerdings ihr ganze Pracht entfalten. Die günstige Lage hat die Stadt schon in frühen Zeiten zu großer Wohlhabenheit geführt. Gerade hier, in die Landzunge zwischen Etsch und Eisack mündet der befahrenste Straßenzug aus Italien nach Deutschland, um sich da in zwei Arme zu theilen, von denen der eine über den Brenner nach Bayern, der andere über Finstermünz und den Arlberg nach

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Zitationshilfe: Steub, Ludwig: Drei Sommer in Tirol. München, 1846, S. 372. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steub_tirol_1846/376>, abgerufen am 02.06.2024.