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Steub, Ludwig: Drei Sommer in Tirol. München, 1846.

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Etsch etwas Besonderes und Ausgezeichnetes - weil er allein von hundert und hundert Tausenden seiner Stammverwandten das Land der altgermanischen Sehnsucht nicht allein gefunden, sondern sich auch nicht darin verloren hat; denn der Orangenduft und die Mandelblüthe und die süßen Feigen hindern nicht, daß der deutsche Bauer hier der nämliche mannhafte Kerl ist, wie im kühlen Norden, ehrlich fest und tapfer, still und ruhig, dabei auch sehr fromm und betlustig und ein großer Liebhaber von Feiertagen, deren es hier nach angestellter Berechnungen so viele gibt, daß sie in vier Jahren ein volles Jahr für sich ausmachen.

Ein wirklich auszeichnender Zug dieser Landleute ist ihre feierliche Ruhe, die man mit anderm Worte vielleicht auch Phlegma nennen könnte. Der stillen Gelassenheit in Gang und Schritt entspricht die Schweigsamkeit in der Rede. Was aber gesprochen wird, klingt deutlich und wird, weniger zwar als im Vintschgau, jedoch noch immer leicht auffallend gesungen. Insbesondere haben die Mädchen eine hohe Stimmlage und überlassen sich gerne dem weichen Wiegen und Trillern des Tons. Die Sprache scheint mir unter den harten Dialekten Tirols die zarteste und lieblichste, und wenn wir hie und da ein gutaufgelegtes Mädchen hörten, wie es in metallischer Stimme ihre Reden halb singend herunter flötete, so kam es uns vor, als wäre der Meranerdialekt überhaupt unter den Deutschen einer der angenehmsten und wohlklingendsten. Die angeregte Schweigsamkeit zu erproben, laden wir aber den Leser insbesondre ein, sich eines Sonntags nach dem Gottesdienst auf den Hauptplatz zu Meran zu verfügen. Dort wird er bemerken, daß alle die hundert Bauern, welche sich da scheinbar plaudernd zusammenstellen, kaum hinreichen, um ein halblautes Summen zu Stande zu bringen, und wenn einer eben aus Italien kommt, mit Ohren die noch von all dem Lärm eines italienischen Marktes gellen, so wird's ihm desto mehr auffallen hier unter den Lauben, die so voll sind von Aprikosen, Pfirsichen, Trauben und Feigen, nur hie und da ein leise geflüstertes: Kafen's ein! zu vernehmen. An Sonn- und Feiertagen werden wir auch an den Buschenhäusern vorüberstreifen,

Etsch etwas Besonderes und Ausgezeichnetes – weil er allein von hundert und hundert Tausenden seiner Stammverwandten das Land der altgermanischen Sehnsucht nicht allein gefunden, sondern sich auch nicht darin verloren hat; denn der Orangenduft und die Mandelblüthe und die süßen Feigen hindern nicht, daß der deutsche Bauer hier der nämliche mannhafte Kerl ist, wie im kühlen Norden, ehrlich fest und tapfer, still und ruhig, dabei auch sehr fromm und betlustig und ein großer Liebhaber von Feiertagen, deren es hier nach angestellter Berechnungen so viele gibt, daß sie in vier Jahren ein volles Jahr für sich ausmachen.

Ein wirklich auszeichnender Zug dieser Landleute ist ihre feierliche Ruhe, die man mit anderm Worte vielleicht auch Phlegma nennen könnte. Der stillen Gelassenheit in Gang und Schritt entspricht die Schweigsamkeit in der Rede. Was aber gesprochen wird, klingt deutlich und wird, weniger zwar als im Vintschgau, jedoch noch immer leicht auffallend gesungen. Insbesondere haben die Mädchen eine hohe Stimmlage und überlassen sich gerne dem weichen Wiegen und Trillern des Tons. Die Sprache scheint mir unter den harten Dialekten Tirols die zarteste und lieblichste, und wenn wir hie und da ein gutaufgelegtes Mädchen hörten, wie es in metallischer Stimme ihre Reden halb singend herunter flötete, so kam es uns vor, als wäre der Meranerdialekt überhaupt unter den Deutschen einer der angenehmsten und wohlklingendsten. Die angeregte Schweigsamkeit zu erproben, laden wir aber den Leser insbesondre ein, sich eines Sonntags nach dem Gottesdienst auf den Hauptplatz zu Meran zu verfügen. Dort wird er bemerken, daß alle die hundert Bauern, welche sich da scheinbar plaudernd zusammenstellen, kaum hinreichen, um ein halblautes Summen zu Stande zu bringen, und wenn einer eben aus Italien kommt, mit Ohren die noch von all dem Lärm eines italienischen Marktes gellen, so wird’s ihm desto mehr auffallen hier unter den Lauben, die so voll sind von Aprikosen, Pfirsichen, Trauben und Feigen, nur hie und da ein leise geflüstertes: Kafen’s ein! zu vernehmen. An Sonn- und Feiertagen werden wir auch an den Buschenhäusern vorüberstreifen,

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[317/0321] Etsch etwas Besonderes und Ausgezeichnetes – weil er allein von hundert und hundert Tausenden seiner Stammverwandten das Land der altgermanischen Sehnsucht nicht allein gefunden, sondern sich auch nicht darin verloren hat; denn der Orangenduft und die Mandelblüthe und die süßen Feigen hindern nicht, daß der deutsche Bauer hier der nämliche mannhafte Kerl ist, wie im kühlen Norden, ehrlich fest und tapfer, still und ruhig, dabei auch sehr fromm und betlustig und ein großer Liebhaber von Feiertagen, deren es hier nach angestellter Berechnungen so viele gibt, daß sie in vier Jahren ein volles Jahr für sich ausmachen. Ein wirklich auszeichnender Zug dieser Landleute ist ihre feierliche Ruhe, die man mit anderm Worte vielleicht auch Phlegma nennen könnte. Der stillen Gelassenheit in Gang und Schritt entspricht die Schweigsamkeit in der Rede. Was aber gesprochen wird, klingt deutlich und wird, weniger zwar als im Vintschgau, jedoch noch immer leicht auffallend gesungen. Insbesondere haben die Mädchen eine hohe Stimmlage und überlassen sich gerne dem weichen Wiegen und Trillern des Tons. Die Sprache scheint mir unter den harten Dialekten Tirols die zarteste und lieblichste, und wenn wir hie und da ein gutaufgelegtes Mädchen hörten, wie es in metallischer Stimme ihre Reden halb singend herunter flötete, so kam es uns vor, als wäre der Meranerdialekt überhaupt unter den Deutschen einer der angenehmsten und wohlklingendsten. Die angeregte Schweigsamkeit zu erproben, laden wir aber den Leser insbesondre ein, sich eines Sonntags nach dem Gottesdienst auf den Hauptplatz zu Meran zu verfügen. Dort wird er bemerken, daß alle die hundert Bauern, welche sich da scheinbar plaudernd zusammenstellen, kaum hinreichen, um ein halblautes Summen zu Stande zu bringen, und wenn einer eben aus Italien kommt, mit Ohren die noch von all dem Lärm eines italienischen Marktes gellen, so wird’s ihm desto mehr auffallen hier unter den Lauben, die so voll sind von Aprikosen, Pfirsichen, Trauben und Feigen, nur hie und da ein leise geflüstertes: Kafen’s ein! zu vernehmen. An Sonn- und Feiertagen werden wir auch an den Buschenhäusern vorüberstreifen,

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Zitationshilfe: Steub, Ludwig: Drei Sommer in Tirol. München, 1846, S. 317. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steub_tirol_1846/321>, abgerufen am 23.11.2024.