Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Steub, Ludwig: Drei Sommer in Tirol. München, 1846.

Bild:
<< vorherige Seite

sinnige Hand etliche Trauerweiden gepflanzt; rechts gerade über dem gähnenden Schlund, durch den die Passer sich einen Weg gebrochen, steht die alte Schloßcapelle, jetzt entweiht, noch immer viel besucht und beschaut sowohl wegen des Portals mit seinen gnostischen Ungethümen, die so schwer eine Erklärung zulassen, vielleicht auch gar keiner empfänglich sind, als wegen der schönen Sammlung von allerlei Alterthümern, welche die Familie der jetzigen Burgherren, die Herren von Braitenberg, da zusammengebracht. Man findet hier verschiedene merkwürdige Kunstgegenstände, altes Hausgeräthe, alte Waffen, auch eine Truhe voll mittelalterlicher Knochen, worunter vielleicht manche landesfürstliche, nämlich gräfliche Görzer Gebeine. In einer Schublade liegen alte Pergamente zum Theil noch aus der Zeit des görzischen Meinhards, andere die von König Heinrich auf dieser selben Zenoburg gefestet worden sind. Die Wandschränke verbergen eine Sammlung von alten Handschriften, die auf die Landesgeschichte Bezug haben, und viele ältere kostbare Drucke, wie sie selten mehr in Privatbibliotheken gefunden werden. Nicht ohne Vergnügen wird man auch ein pergamentnes Stammbuch durchblättern, das sich Jakob Kolz zu Freiegg, der Enneberger, ums Jahr 1590 angelegt. Dahinein haben Bekannte und Verwandte ihre Wappen zierlich malen lassen und einen Spruch dazu geschrieben, deutsch, lateinisch, französisch oder spanisch, woraus abzunehmen, daß zu jener Zeit der tirolische Adel sich stark mit fremden Sprachen beschäftigt habe. Unter den deutschen Devisen ist manche ansprechende die man sich merken sollte, wie z. B. Gottes Will hat kein Warumb: oder was Frau Maria Wendlin, geb. Badolt, einschrieb:

Schweig, leid und lach:
Gedult überwint alle Sach.

Hier also in diesem Umfang, wo Capelle und Thurm, marmorne Thür- und Fensterpforten und zerbrochenes Gemäuer nur leise an die alte Herrlichkeit gemahnen, hier hat einst König Heinrich, der Kronansprecher von Böhmen, Hof gehalten, umringt von froher Ritterschaft, von adeligen Sängern, von blühender unehelicher Jugend und von seinem legitimen Töchterlein

sinnige Hand etliche Trauerweiden gepflanzt; rechts gerade über dem gähnenden Schlund, durch den die Passer sich einen Weg gebrochen, steht die alte Schloßcapelle, jetzt entweiht, noch immer viel besucht und beschaut sowohl wegen des Portals mit seinen gnostischen Ungethümen, die so schwer eine Erklärung zulassen, vielleicht auch gar keiner empfänglich sind, als wegen der schönen Sammlung von allerlei Alterthümern, welche die Familie der jetzigen Burgherren, die Herren von Braitenberg, da zusammengebracht. Man findet hier verschiedene merkwürdige Kunstgegenstände, altes Hausgeräthe, alte Waffen, auch eine Truhe voll mittelalterlicher Knochen, worunter vielleicht manche landesfürstliche, nämlich gräfliche Görzer Gebeine. In einer Schublade liegen alte Pergamente zum Theil noch aus der Zeit des görzischen Meinhards, andere die von König Heinrich auf dieser selben Zenoburg gefestet worden sind. Die Wandschränke verbergen eine Sammlung von alten Handschriften, die auf die Landesgeschichte Bezug haben, und viele ältere kostbare Drucke, wie sie selten mehr in Privatbibliotheken gefunden werden. Nicht ohne Vergnügen wird man auch ein pergamentnes Stammbuch durchblättern, das sich Jakob Kolz zu Freiegg, der Enneberger, ums Jahr 1590 angelegt. Dahinein haben Bekannte und Verwandte ihre Wappen zierlich malen lassen und einen Spruch dazu geschrieben, deutsch, lateinisch, französisch oder spanisch, woraus abzunehmen, daß zu jener Zeit der tirolische Adel sich stark mit fremden Sprachen beschäftigt habe. Unter den deutschen Devisen ist manche ansprechende die man sich merken sollte, wie z. B. Gottes Will hat kein Warumb: oder was Frau Maria Wendlin, geb. Badolt, einschrieb:

Schweig, leid und lach:
Gedult überwint alle Sach.

Hier also in diesem Umfang, wo Capelle und Thurm, marmorne Thür- und Fensterpforten und zerbrochenes Gemäuer nur leise an die alte Herrlichkeit gemahnen, hier hat einst König Heinrich, der Kronansprecher von Böhmen, Hof gehalten, umringt von froher Ritterschaft, von adeligen Sängern, von blühender unehelicher Jugend und von seinem legitimen Töchterlein

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0306" n="302"/>
sinnige Hand etliche Trauerweiden gepflanzt; rechts gerade über dem gähnenden Schlund, durch den die Passer sich einen Weg gebrochen, steht die alte Schloßcapelle, jetzt entweiht, noch immer viel besucht und beschaut sowohl wegen des Portals mit seinen gnostischen Ungethümen, die so schwer eine Erklärung zulassen, vielleicht auch gar keiner empfänglich sind, als wegen der schönen Sammlung von allerlei Alterthümern, welche die Familie der jetzigen Burgherren, die Herren von Braitenberg, da zusammengebracht. Man findet hier verschiedene merkwürdige Kunstgegenstände, altes Hausgeräthe, alte Waffen, auch eine Truhe voll mittelalterlicher Knochen, worunter vielleicht manche landesfürstliche, nämlich gräfliche Görzer Gebeine. In einer Schublade liegen alte Pergamente zum Theil noch aus der Zeit des görzischen Meinhards, andere die von König Heinrich auf dieser selben Zenoburg gefestet worden sind. Die Wandschränke verbergen eine Sammlung von alten Handschriften, die auf die Landesgeschichte Bezug haben, und viele ältere kostbare Drucke, wie sie selten mehr in Privatbibliotheken gefunden werden. Nicht ohne Vergnügen wird man auch ein pergamentnes Stammbuch durchblättern, das sich Jakob Kolz zu Freiegg, der Enneberger, ums Jahr 1590 angelegt. Dahinein haben Bekannte und Verwandte ihre Wappen zierlich malen lassen und einen Spruch dazu geschrieben, deutsch, lateinisch, französisch oder spanisch, woraus abzunehmen, daß zu jener Zeit der tirolische Adel sich stark mit fremden Sprachen beschäftigt habe. Unter den deutschen Devisen ist manche ansprechende die man sich merken sollte, wie z. B. Gottes Will hat kein Warumb: oder was Frau Maria Wendlin, geb. Badolt, einschrieb:</p>
        <lg type="poem">
          <l>Schweig, leid und lach:</l><lb/>
          <l>Gedult überwint alle Sach.</l><lb/>
        </lg>
        <p>Hier also in diesem Umfang, wo Capelle und Thurm, marmorne Thür- und Fensterpforten und zerbrochenes Gemäuer nur leise an die alte Herrlichkeit gemahnen, hier hat einst König Heinrich, der Kronansprecher von Böhmen, Hof gehalten, umringt von froher Ritterschaft, von adeligen Sängern, von blühender unehelicher Jugend und von seinem legitimen Töchterlein
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[302/0306] sinnige Hand etliche Trauerweiden gepflanzt; rechts gerade über dem gähnenden Schlund, durch den die Passer sich einen Weg gebrochen, steht die alte Schloßcapelle, jetzt entweiht, noch immer viel besucht und beschaut sowohl wegen des Portals mit seinen gnostischen Ungethümen, die so schwer eine Erklärung zulassen, vielleicht auch gar keiner empfänglich sind, als wegen der schönen Sammlung von allerlei Alterthümern, welche die Familie der jetzigen Burgherren, die Herren von Braitenberg, da zusammengebracht. Man findet hier verschiedene merkwürdige Kunstgegenstände, altes Hausgeräthe, alte Waffen, auch eine Truhe voll mittelalterlicher Knochen, worunter vielleicht manche landesfürstliche, nämlich gräfliche Görzer Gebeine. In einer Schublade liegen alte Pergamente zum Theil noch aus der Zeit des görzischen Meinhards, andere die von König Heinrich auf dieser selben Zenoburg gefestet worden sind. Die Wandschränke verbergen eine Sammlung von alten Handschriften, die auf die Landesgeschichte Bezug haben, und viele ältere kostbare Drucke, wie sie selten mehr in Privatbibliotheken gefunden werden. Nicht ohne Vergnügen wird man auch ein pergamentnes Stammbuch durchblättern, das sich Jakob Kolz zu Freiegg, der Enneberger, ums Jahr 1590 angelegt. Dahinein haben Bekannte und Verwandte ihre Wappen zierlich malen lassen und einen Spruch dazu geschrieben, deutsch, lateinisch, französisch oder spanisch, woraus abzunehmen, daß zu jener Zeit der tirolische Adel sich stark mit fremden Sprachen beschäftigt habe. Unter den deutschen Devisen ist manche ansprechende die man sich merken sollte, wie z. B. Gottes Will hat kein Warumb: oder was Frau Maria Wendlin, geb. Badolt, einschrieb: Schweig, leid und lach: Gedult überwint alle Sach. Hier also in diesem Umfang, wo Capelle und Thurm, marmorne Thür- und Fensterpforten und zerbrochenes Gemäuer nur leise an die alte Herrlichkeit gemahnen, hier hat einst König Heinrich, der Kronansprecher von Böhmen, Hof gehalten, umringt von froher Ritterschaft, von adeligen Sängern, von blühender unehelicher Jugend und von seinem legitimen Töchterlein

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Wikisource: Bereitstellung der Texttranskription und Auszeichnung in Wikisource-Syntax. (2012-11-05T13:27:31Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme aus Wikisource entsprechen muss.
Wikimedia Commons: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2012-11-05T13:27:31Z)
Frank Wiegand: Konvertierung von Wikisource-Markup nach XML/TEI gemäß DTA-Basisformat. (2012-11-05T13:27:31Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Als Grundlage dienen die Wikisource:Editionsrichtlinien.
  • Geviertstriche werden als Halbgeviertstriche wiedergegeben.
  • Der Seitenwechsel erfolgt bei Worttrennung nach dem gesamten Wort.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/steub_tirol_1846
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/steub_tirol_1846/306
Zitationshilfe: Steub, Ludwig: Drei Sommer in Tirol. München, 1846, S. 302. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steub_tirol_1846/306>, abgerufen am 27.11.2024.