schritt gemacht, sondern vielmehr immer mehr in Starrheit ver- sunken ist; so möchte ein Hauptgrund dieser Erscheinung wohl darin liegen, daß sie sich seit Aristoteles von der Sprache los- gerissen hat. Die Sprache ist freilich nicht die Mutter der Lo- gik, aber sie ist die Erscheinung des Gedankens, daher treten uns die in dem Gedanken waltenden Gesetze in der Sprache, gleichsam verkörpert, in lebendiger Anschaulichkeit entgegen. Dies Verhältniß der Logik zur Sprache hat besonders A. Tren- delenburg in seinen "logischen Untersuchungen" wieder aner- kannt und für die Logik fruchtbar benutzt."
"Die Nothwendigkeit einer Verbindung der Logik mit der Grammatik muß jedem, der da weiß, was Sprechen ist, ein- leuchtend sein. Ist die Sprache der organische Leib des Ge- dankens, so müssen sich in ihr auch wiederfinden lassen die Gesetze des Denkens. Freilich darf man der Sprache kein lo- gisches Schema unterlegen wollen; freilich darf man nicht a priori festsetzen, was man in der Sprache finden will: aber die allgemeinen Denkgesetze und Anschauungsformen, durch welche und unter welchen der Mensch die Dinge wahrnimmt und zu Erkenntnissen verarbeitet, müssen sich in jeder Sprache auf- zeigen lassen. Jede andere Betrachtungsweise der Sprache hebt den Begriff des Organism auf. Zwar giebt man jetzt allgemein zu, daß die Sprache ein Organism sei; und die Ansicht, auf die der Verfasser (Becker) noch in der Vorrede zur ersten Ausgabe Rücksicht nehmen mußte, als sei die Sprache eine menschliche Erfindung, gehört zu den verschollenen. Genau betrachtet aber wurzelt jenes Widerstreben, in der Sprache die Denkgesetze zu erkennen, in derselben verschollenen Ansicht; denn nur, wenn das Wort die todte Hülle, nicht aber, wenn es der lebendige Leib des Gedankens ist, läßt sich dasselbe für sich, abgesehen von seinem Inhalte betrachten."
§. 22. Verhältniß zwischen Logik und Grammatik bei Trendelenburg.
Wir sind auf Trendelenburg verwiesen und können also nicht umhin, auch ihn zu berücksichtigen. Wir thun dies um so lie- ber, da er einer von den wenigen Philosophen ist, welche die besonderen Wissenschaften zur Berücksichtigung nicht heraus-, sondern auffordern. Man höre seine vortrefflichen, den Philoso- phen, wie den Forschern auf den besonderen Gebieten der Wis- senschaft gleich beherzigenswerthen Worte in der Vorrede zu seinen "Logischen Untersuchungen" (S. VI.): "Die Thatsachen,
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schritt gemacht, sondern vielmehr immer mehr in Starrheit ver- sunken ist; so möchte ein Hauptgrund dieser Erscheinung wohl darin liegen, daß sie sich seit Aristoteles von der Sprache los- gerissen hat. Die Sprache ist freilich nicht die Mutter der Lo- gik, aber sie ist die Erscheinung des Gedankens, daher treten uns die in dem Gedanken waltenden Gesetze in der Sprache, gleichsam verkörpert, in lebendiger Anschaulichkeit entgegen. Dies Verhältniß der Logik zur Sprache hat besonders A. Tren- delenburg in seinen „logischen Untersuchungen“ wieder aner- kannt und für die Logik fruchtbar benutzt.“
„Die Nothwendigkeit einer Verbindung der Logik mit der Grammatik muß jedem, der da weiß, was Sprechen ist, ein- leuchtend sein. Ist die Sprache der organische Leib des Ge- dankens, so müssen sich in ihr auch wiederfinden lassen die Gesetze des Denkens. Freilich darf man der Sprache kein lo- gisches Schema unterlegen wollen; freilich darf man nicht a priori festsetzen, was man in der Sprache finden will: aber die allgemeinen Denkgesetze und Anschauungsformen, durch welche und unter welchen der Mensch die Dinge wahrnimmt und zu Erkenntnissen verarbeitet, müssen sich in jeder Sprache auf- zeigen lassen. Jede andere Betrachtungsweise der Sprache hebt den Begriff des Organism auf. Zwar giebt man jetzt allgemein zu, daß die Sprache ein Organism sei; und die Ansicht, auf die der Verfasser (Becker) noch in der Vorrede zur ersten Ausgabe Rücksicht nehmen mußte, als sei die Sprache eine menschliche Erfindung, gehört zu den verschollenen. Genau betrachtet aber wurzelt jenes Widerstreben, in der Sprache die Denkgesetze zu erkennen, in derselben verschollenen Ansicht; denn nur, wenn das Wort die todte Hülle, nicht aber, wenn es der lebendige Leib des Gedankens ist, läßt sich dasselbe für sich, abgesehen von seinem Inhalte betrachten.“
§. 22. Verhältniß zwischen Logik und Grammatik bei Trendelenburg.
Wir sind auf Trendelenburg verwiesen und können also nicht umhin, auch ihn zu berücksichtigen. Wir thun dies um so lie- ber, da er einer von den wenigen Philosophen ist, welche die besonderen Wissenschaften zur Berücksichtigung nicht heraus-, sondern auffordern. Man höre seine vortrefflichen, den Philoso- phen, wie den Forschern auf den besonderen Gebieten der Wis- senschaft gleich beherzigenswerthen Worte in der Vorrede zu seinen „Logischen Untersuchungen“ (S. VI.): „Die Thatsachen,
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[51/0089]
schritt gemacht, sondern vielmehr immer mehr in Starrheit ver-
sunken ist; so möchte ein Hauptgrund dieser Erscheinung wohl
darin liegen, daß sie sich seit Aristoteles von der Sprache los-
gerissen hat. Die Sprache ist freilich nicht die Mutter der Lo-
gik, aber sie ist die Erscheinung des Gedankens, daher treten
uns die in dem Gedanken waltenden Gesetze in der Sprache,
gleichsam verkörpert, in lebendiger Anschaulichkeit entgegen.
Dies Verhältniß der Logik zur Sprache hat besonders A. Tren-
delenburg in seinen „logischen Untersuchungen“ wieder aner-
kannt und für die Logik fruchtbar benutzt.“
„Die Nothwendigkeit einer Verbindung der Logik mit der
Grammatik muß jedem, der da weiß, was Sprechen ist, ein-
leuchtend sein. Ist die Sprache der organische Leib des Ge-
dankens, so müssen sich in ihr auch wiederfinden lassen die
Gesetze des Denkens. Freilich darf man der Sprache kein lo-
gisches Schema unterlegen wollen; freilich darf man nicht a
priori festsetzen, was man in der Sprache finden will: aber die
allgemeinen Denkgesetze und Anschauungsformen, durch welche
und unter welchen der Mensch die Dinge wahrnimmt und zu
Erkenntnissen verarbeitet, müssen sich in jeder Sprache auf-
zeigen lassen. Jede andere Betrachtungsweise der Sprache hebt
den Begriff des Organism auf. Zwar giebt man jetzt allgemein
zu, daß die Sprache ein Organism sei; und die Ansicht, auf die
der Verfasser (Becker) noch in der Vorrede zur ersten Ausgabe
Rücksicht nehmen mußte, als sei die Sprache eine menschliche
Erfindung, gehört zu den verschollenen. Genau betrachtet aber
wurzelt jenes Widerstreben, in der Sprache die Denkgesetze zu
erkennen, in derselben verschollenen Ansicht; denn nur, wenn
das Wort die todte Hülle, nicht aber, wenn es der lebendige
Leib des Gedankens ist, läßt sich dasselbe für sich, abgesehen
von seinem Inhalte betrachten.“
§. 22. Verhältniß zwischen Logik und Grammatik bei Trendelenburg.
Wir sind auf Trendelenburg verwiesen und können also nicht
umhin, auch ihn zu berücksichtigen. Wir thun dies um so lie-
ber, da er einer von den wenigen Philosophen ist, welche die
besonderen Wissenschaften zur Berücksichtigung nicht heraus-,
sondern auffordern. Man höre seine vortrefflichen, den Philoso-
phen, wie den Forschern auf den besonderen Gebieten der Wis-
senschaft gleich beherzigenswerthen Worte in der Vorrede zu
seinen „Logischen Untersuchungen“ (S. VI.): „Die Thatsachen,
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Steinthal, Heymann: Grammatik, Logik und Psychologie. Ihre Principien und ihr Verhältniss zu einander. Berlin, 1855, S. 51. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinthal_grammatik_1855/89>, abgerufen am 23.11.2024.
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