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Steinthal, Heymann: Grammatik, Logik und Psychologie. Ihre Principien und ihr Verhältniss zu einander. Berlin, 1855.

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lich von der formalen Logik zu sprechen, hat man an ihre Re-
geln ausdrücklich zu erinnern.

Hören wir also Becker: "Man versteht unter Sprache
entweder das Sprechen selbst als diejenige Verrichtung des
Menschen, in welcher der Gedanke in die Erscheinung tritt, und
durch welche ein gegenseitiger Austausch der Gedanken und
eine Gemeinschaft des geistigen Lebens in dem ganzen Ge-
schlechte zu Stande kömmt, oder die gesprochene Sprache
als ein Product der menschlichen Natur, in welchem die von
dem menschlichen Geiste gebildete Weltansicht ausgeprägt und
niedergelegt ist." Ist das die versprochene Nominal-Definition?
Hier ist vielmehr in einer Real-Definition vorausgenommen, was
das ganze Werk erst zu erweisen hätte. Wenn man das un-
ter Sprache verstände, was Becker hier voraussetzt, so brauchte
man seine Belehrung nicht mehr; sein Werk wäre überflüssig.
-- Was das Erzeugniß einer Entwickelung hätte sein sollen,
wird dem Leser an den Kopf geworfen. Das ist nicht die ru-
hige Sicherheit der Wahrheit, welche den Leser Schritt für
Schritt zum gewissen Ziele leitet; das ist die Angst, welche
mißtrauisch gegen sich selbst ihre Weisheit nicht glaubt an den
Mann bringen zu können, wenn sie nicht mit der Thür ins
Haus fällt; die überraschen, mit Sturm einnehmen will.

Das tiefste und das ganze Wesen der Sprache wird im er-
sten Satze ausgesprochen; aber wie? natürlich wie etwas ohne
alle Vorbereitung Vorausgegriffenes nur gesagt sein kann: unbe-
stimmt, nach allen Seiten überschwankend, nirgends eine be-
stimmte Grenze ziehend, zu eng und zu weit, mit einem Worte:
nichtssagend. Ein solcher Satz kann bloß durch Achselzucken
kritisirt werden, wird es aber dadurch auch wirklich. In Fol-
gendem thun wir nicht mehr als dieses Achselzucken in Worte
übersetzen. Daß durch irgend eine Verrichtung jemals der Ge-
danke, das rein Ideale, Immaterielle, in die Erscheinung treten
könne, und daß dies in der Sprache geschehe, begreift man zu-
nächst nicht; "der gegenseitige Austausch der Gedanken" mag
zugestanden, soll aber eben erst erklärt werden; "die Gemein-
schaft des geistigen Lebens in dem ganzen Geschlechte" ist eine
bombastische Phrase; daß die gesprochene Sprache ferner "ein
Product der menschlichen Natur" sei, ist ein unbestimmter Aus-
druck und bekanntlich zu allen Zeiten mindestens auch geläug-
net worden; daß aber gar in diesem "Producte der menschli-

lich von der formalen Logik zu sprechen, hat man an ihre Re-
geln ausdrücklich zu erinnern.

Hören wir also Becker: „Man versteht unter Sprache
entweder das Sprechen selbst als diejenige Verrichtung des
Menschen, in welcher der Gedanke in die Erscheinung tritt, und
durch welche ein gegenseitiger Austausch der Gedanken und
eine Gemeinschaft des geistigen Lebens in dem ganzen Ge-
schlechte zu Stande kömmt, oder die gesprochene Sprache
als ein Product der menschlichen Natur, in welchem die von
dem menschlichen Geiste gebildete Weltansicht ausgeprägt und
niedergelegt ist.” Ist das die versprochene Nominal-Definition?
Hier ist vielmehr in einer Real-Definition vorausgenommen, was
das ganze Werk erst zu erweisen hätte. Wenn man das un-
ter Sprache verstände, was Becker hier voraussetzt, so brauchte
man seine Belehrung nicht mehr; sein Werk wäre überflüssig.
— Was das Erzeugniß einer Entwickelung hätte sein sollen,
wird dem Leser an den Kopf geworfen. Das ist nicht die ru-
hige Sicherheit der Wahrheit, welche den Leser Schritt für
Schritt zum gewissen Ziele leitet; das ist die Angst, welche
mißtrauisch gegen sich selbst ihre Weisheit nicht glaubt an den
Mann bringen zu können, wenn sie nicht mit der Thür ins
Haus fällt; die überraschen, mit Sturm einnehmen will.

Das tiefste und das ganze Wesen der Sprache wird im er-
sten Satze ausgesprochen; aber wie? natürlich wie etwas ohne
alle Vorbereitung Vorausgegriffenes nur gesagt sein kann: unbe-
stimmt, nach allen Seiten überschwankend, nirgends eine be-
stimmte Grenze ziehend, zu eng und zu weit, mit einem Worte:
nichtssagend. Ein solcher Satz kann bloß durch Achselzucken
kritisirt werden, wird es aber dadurch auch wirklich. In Fol-
gendem thun wir nicht mehr als dieses Achselzucken in Worte
übersetzen. Daß durch irgend eine Verrichtung jemals der Ge-
danke, das rein Ideale, Immaterielle, in die Erscheinung treten
könne, und daß dies in der Sprache geschehe, begreift man zu-
nächst nicht; „der gegenseitige Austausch der Gedanken” mag
zugestanden, soll aber eben erst erklärt werden; „die Gemein-
schaft des geistigen Lebens in dem ganzen Geschlechte” ist eine
bombastische Phrase; daß die gesprochene Sprache ferner „ein
Product der menschlichen Natur” sei, ist ein unbestimmter Aus-
druck und bekanntlich zu allen Zeiten mindestens auch geläug-
net worden; daß aber gar in diesem „Producte der menschli-

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[26/0064] lich von der formalen Logik zu sprechen, hat man an ihre Re- geln ausdrücklich zu erinnern. Hören wir also Becker: „Man versteht unter Sprache entweder das Sprechen selbst als diejenige Verrichtung des Menschen, in welcher der Gedanke in die Erscheinung tritt, und durch welche ein gegenseitiger Austausch der Gedanken und eine Gemeinschaft des geistigen Lebens in dem ganzen Ge- schlechte zu Stande kömmt, oder die gesprochene Sprache als ein Product der menschlichen Natur, in welchem die von dem menschlichen Geiste gebildete Weltansicht ausgeprägt und niedergelegt ist.” Ist das die versprochene Nominal-Definition? Hier ist vielmehr in einer Real-Definition vorausgenommen, was das ganze Werk erst zu erweisen hätte. Wenn man das un- ter Sprache verstände, was Becker hier voraussetzt, so brauchte man seine Belehrung nicht mehr; sein Werk wäre überflüssig. — Was das Erzeugniß einer Entwickelung hätte sein sollen, wird dem Leser an den Kopf geworfen. Das ist nicht die ru- hige Sicherheit der Wahrheit, welche den Leser Schritt für Schritt zum gewissen Ziele leitet; das ist die Angst, welche mißtrauisch gegen sich selbst ihre Weisheit nicht glaubt an den Mann bringen zu können, wenn sie nicht mit der Thür ins Haus fällt; die überraschen, mit Sturm einnehmen will. Das tiefste und das ganze Wesen der Sprache wird im er- sten Satze ausgesprochen; aber wie? natürlich wie etwas ohne alle Vorbereitung Vorausgegriffenes nur gesagt sein kann: unbe- stimmt, nach allen Seiten überschwankend, nirgends eine be- stimmte Grenze ziehend, zu eng und zu weit, mit einem Worte: nichtssagend. Ein solcher Satz kann bloß durch Achselzucken kritisirt werden, wird es aber dadurch auch wirklich. In Fol- gendem thun wir nicht mehr als dieses Achselzucken in Worte übersetzen. Daß durch irgend eine Verrichtung jemals der Ge- danke, das rein Ideale, Immaterielle, in die Erscheinung treten könne, und daß dies in der Sprache geschehe, begreift man zu- nächst nicht; „der gegenseitige Austausch der Gedanken” mag zugestanden, soll aber eben erst erklärt werden; „die Gemein- schaft des geistigen Lebens in dem ganzen Geschlechte” ist eine bombastische Phrase; daß die gesprochene Sprache ferner „ein Product der menschlichen Natur” sei, ist ein unbestimmter Aus- druck und bekanntlich zu allen Zeiten mindestens auch geläug- net worden; daß aber gar in diesem „Producte der menschli-

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Zitationshilfe: Steinthal, Heymann: Grammatik, Logik und Psychologie. Ihre Principien und ihr Verhältniss zu einander. Berlin, 1855, S. 26. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinthal_grammatik_1855/64>, abgerufen am 22.11.2024.