auch nicht ruhend, sondern ewig bewegt, allseitig kreisend, so daß der Organismus sich selbst auf das mannigfachste dem An- blicke darbietet, selbst die vielfältigsten Gesichtspunkte veran- laßt. Kein starres Oben und Unten, Hinten und Vorn, sondern alles zugleich, und eins oder das andere nur, je nachdem wo man gerade steht, wie es sich gerade zeigt; alles aus einem springenden Punkte geworden, aber nachdem es nun geworden ist, ohne Mittelpunkt und ohne Umfangslinie, sondern überall Mitte und überall Oberfläche; kein Punkt aus dem andern ent- standen, alles mit und neben einander, oder vielmehr in einander -- kurz nichts als Gegensatz, aber nicht einfacher, sondern ein- heitlich vielfacher, allseitiger; sich ewig bekämpfend, ewig ver- söhnt -- ewiges Spiel.
b) Organische Verrichtung.
Becker giebt auf der ersten Seite seines Werkes eine Definition der organischen Verrichtung. Aber welche Unme- thodik liegt darin und welche Unklarheit verräth es, ab- gelöst von der Definition des Organismus überhaupt und noch vor einer solchen eine Definition der organischen Verrich- tung zu geben! Doch sehen wir sie an: "eine organische Verrichtung, d. h. eine von denjenigen Verrichtungen leben- der Wesen, welche aus dem Leben des Dinges selbst mit ei- ner inneren Nothwendigkeit hervorgehen, und zugleich das Le- ben des Dinges selbst zum Zwecke haben, indem nur durch diese Verrichtungen das Ding in der ihm eigenen Art sein und bestehen kann." Diese Definition setzt aber entweder voraus, daß das Leben, also der Organismus definirt sei, und ist dann, da dies noch nicht geschehen ist, völlig unverständlich, also nichtssagend; oder es wird beabsichtigt, mit der Definition der organischen Verrichtung zugleich die des Organismus zu geben, dann wäre sie eine lächerliche Tautologie, ein volles idem per idem. Jedenfalls kann diese Definition die Unbestimmtheit, welche wir bei der Bestimmung des Organismus überhaupt ge- funden haben, nicht im mindesten heben. Mit den Worten "eine von denjenigen Verrichtungen" soll der Meinung nach die organische Verrichtung von unorganischen geschieden wer- den; aber wo wären unorganische Verrichtungen? Das ist aus Becker nirgends zu ersehen. Denn erstlich haben wir oben gesehen, daß es genau genommen nach ihm keine unorganischen
auch nicht ruhend, sondern ewig bewegt, allseitig kreisend, so daß der Organismus sich selbst auf das mannigfachste dem An- blicke darbietet, selbst die vielfältigsten Gesichtspunkte veran- laßt. Kein starres Oben und Unten, Hinten und Vorn, sondern alles zugleich, und eins oder das andere nur, je nachdem wo man gerade steht, wie es sich gerade zeigt; alles aus einem springenden Punkte geworden, aber nachdem es nun geworden ist, ohne Mittelpunkt und ohne Umfangslinie, sondern überall Mitte und überall Oberfläche; kein Punkt aus dem andern ent- standen, alles mit und neben einander, oder vielmehr in einander — kurz nichts als Gegensatz, aber nicht einfacher, sondern ein- heitlich vielfacher, allseitiger; sich ewig bekämpfend, ewig ver- söhnt — ewiges Spiel.
b) Organische Verrichtung.
Becker giebt auf der ersten Seite seines Werkes eine Definition der organischen Verrichtung. Aber welche Unme- thodik liegt darin und welche Unklarheit verräth es, ab- gelöst von der Definition des Organismus überhaupt und noch vor einer solchen eine Definition der organischen Verrich- tung zu geben! Doch sehen wir sie an: „eine organische Verrichtung, d. h. eine von denjenigen Verrichtungen leben- der Wesen, welche aus dem Leben des Dinges selbst mit ei- ner inneren Nothwendigkeit hervorgehen, und zugleich das Le- ben des Dinges selbst zum Zwecke haben, indem nur durch diese Verrichtungen das Ding in der ihm eigenen Art sein und bestehen kann.“ Diese Definition setzt aber entweder voraus, daß das Leben, also der Organismus definirt sei, und ist dann, da dies noch nicht geschehen ist, völlig unverständlich, also nichtssagend; oder es wird beabsichtigt, mit der Definition der organischen Verrichtung zugleich die des Organismus zu geben, dann wäre sie eine lächerliche Tautologie, ein volles idem per idem. Jedenfalls kann diese Definition die Unbestimmtheit, welche wir bei der Bestimmung des Organismus überhaupt ge- funden haben, nicht im mindesten heben. Mit den Worten „eine von denjenigen Verrichtungen“ soll der Meinung nach die organische Verrichtung von unorganischen geschieden wer- den; aber wo wären unorganische Verrichtungen? Das ist aus Becker nirgends zu ersehen. Denn erstlich haben wir oben gesehen, daß es genau genommen nach ihm keine unorganischen
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auch nicht ruhend, sondern ewig bewegt, allseitig kreisend, so
daß der Organismus sich selbst auf das mannigfachste dem An-
blicke darbietet, selbst die vielfältigsten Gesichtspunkte veran-
laßt. Kein starres Oben und Unten, Hinten und Vorn, sondern
alles zugleich, und eins oder das andere nur, je nachdem wo
man gerade steht, wie es sich gerade zeigt; alles aus einem
springenden Punkte geworden, aber nachdem es nun geworden
ist, ohne Mittelpunkt und ohne Umfangslinie, sondern überall
Mitte und überall Oberfläche; kein Punkt aus dem andern ent-
standen, alles mit und neben einander, oder vielmehr in einander
— kurz nichts als Gegensatz, aber nicht einfacher, sondern ein-
heitlich vielfacher, allseitiger; sich ewig bekämpfend, ewig ver-
söhnt — ewiges Spiel.
b) Organische Verrichtung.
Becker giebt auf der ersten Seite seines Werkes eine
Definition der organischen Verrichtung. Aber welche Unme-
thodik liegt darin und welche Unklarheit verräth es, ab-
gelöst von der Definition des Organismus überhaupt und noch
vor einer solchen eine Definition der organischen Verrich-
tung zu geben! Doch sehen wir sie an: „eine organische
Verrichtung, d. h. eine von denjenigen Verrichtungen leben-
der Wesen, welche aus dem Leben des Dinges selbst mit ei-
ner inneren Nothwendigkeit hervorgehen, und zugleich das Le-
ben des Dinges selbst zum Zwecke haben, indem nur durch
diese Verrichtungen das Ding in der ihm eigenen Art sein und
bestehen kann.“ Diese Definition setzt aber entweder voraus,
daß das Leben, also der Organismus definirt sei, und ist dann,
da dies noch nicht geschehen ist, völlig unverständlich, also
nichtssagend; oder es wird beabsichtigt, mit der Definition der
organischen Verrichtung zugleich die des Organismus zu geben,
dann wäre sie eine lächerliche Tautologie, ein volles idem per
idem. Jedenfalls kann diese Definition die Unbestimmtheit,
welche wir bei der Bestimmung des Organismus überhaupt ge-
funden haben, nicht im mindesten heben. Mit den Worten
„eine von denjenigen Verrichtungen“ soll der Meinung nach
die organische Verrichtung von unorganischen geschieden wer-
den; aber wo wären unorganische Verrichtungen? Das ist
aus Becker nirgends zu ersehen. Denn erstlich haben wir oben
gesehen, daß es genau genommen nach ihm keine unorganischen
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Steinthal, Heymann: Grammatik, Logik und Psychologie. Ihre Principien und ihr Verhältniss zu einander. Berlin, 1855, S. 23. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinthal_grammatik_1855/61>, abgerufen am 25.11.2024.
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