tigkeit, zusammengestellt. Dies ist auch rücksichtlich des all- gemeinsten Punktes, auf dem die Sprache beruht, nämlich des Wandels der Anschauung in die Vorstellung, durchaus richtig. Ueber diesen Punkt hinaus aber bricht ein Unterschied hervor.
Man vergesse nicht, daß die Vorstellung ein Doppeltes in sich schließt; denn sie ist die durch eine sprachliche Anschauung dargestellte Anschauung. Die sprachliche Anschauung ist Mit- tel; die durch dieses Mittel dargestellte Anschauung ist der In- halt und die eigentliche Sache der Vorstellung. Nennen wir nun diese Anschauung des Inhaltes vorzugsweise Vorstellung, so müssen wir sagen, daß es zwar für die Klarheit und voll- kommene Entwickelung der Vorstellung zum Begriffe höchst förderlich ist, wenn sie von einer parallel laufenden Entwicke- lung des sprachlichen Mittels, der innern Sprachform, begleitet wird; ja nach dem Einflusse, den die Sprache auf das Denken ausübt, wie wir ihn oben kennen gelernt haben, dürfen wir sicher behaupten, die Vorstellung, wenn sie nicht so weit von der in- nern Sprachform begleitet wird, als dies möglich ist, wird nie zu einer gewissen Höhe des Begriffs gelangen; aber es ist doch mit diesem Vortheil, welchen die Vorstellung für ihre Entwicke- lung aus der des Mittels ihrer Darstellung zieht, noch nicht ge- geben, daß die Entwickelung des einen Elements nothwendig eben so vor sich gehen müsse, wie die des andern. Die Vor- stellung entwickelt sich nothwendig in Bahnen, nach Formen und Gesetzen, die ganz unabänderlich und unausweichlich sind. Die drei Dimensionen des Raumes, die einfache Ausdehnung der Zeit, die Zahlenreihe, und alles was man Kategorien nennt, das Ding mit seinen Eigenschaften, Ruhe und Bewegung, Sein und Werden, Veränderung: das sind solche Formen geistiger Thä- tigkeit, welche die Natur des Geistes constituiren, von denen sich die Seele nicht losmachen kann, Organe und Gefäße des Geistes. Hiervon aber ist die wirkliche Thätigkeit des Geistes, das wirkliche Denken verschieden. Jene Formen sind allerdings der Seele nicht eingeboren, es sind nicht ihr anerschaffene Or- gane; sie haben sich selbst erst durch die Thätigkeit des Gei- stes gebildet. Aber nicht nur sind sie nothwendig der Seele entsprungen, und sind in allen Menschen unabänderlich diesel- ben, unserer Willkür völlig entzogen; sondern sie bilden sich auch bewußtlos aus und bleiben von dem größten Theile der Menschen unbeachtet. Nur die philosophische Bildung richtet
tigkeit, zusammengestellt. Dies ist auch rücksichtlich des all- gemeinsten Punktes, auf dem die Sprache beruht, nämlich des Wandels der Anschauung in die Vorstellung, durchaus richtig. Ueber diesen Punkt hinaus aber bricht ein Unterschied hervor.
Man vergesse nicht, daß die Vorstellung ein Doppeltes in sich schließt; denn sie ist die durch eine sprachliche Anschauung dargestellte Anschauung. Die sprachliche Anschauung ist Mit- tel; die durch dieses Mittel dargestellte Anschauung ist der In- halt und die eigentliche Sache der Vorstellung. Nennen wir nun diese Anschauung des Inhaltes vorzugsweise Vorstellung, so müssen wir sagen, daß es zwar für die Klarheit und voll- kommene Entwickelung der Vorstellung zum Begriffe höchst förderlich ist, wenn sie von einer parallel laufenden Entwicke- lung des sprachlichen Mittels, der innern Sprachform, begleitet wird; ja nach dem Einflusse, den die Sprache auf das Denken ausübt, wie wir ihn oben kennen gelernt haben, dürfen wir sicher behaupten, die Vorstellung, wenn sie nicht so weit von der in- nern Sprachform begleitet wird, als dies möglich ist, wird nie zu einer gewissen Höhe des Begriffs gelangen; aber es ist doch mit diesem Vortheil, welchen die Vorstellung für ihre Entwicke- lung aus der des Mittels ihrer Darstellung zieht, noch nicht ge- geben, daß die Entwickelung des einen Elements nothwendig eben so vor sich gehen müsse, wie die des andern. Die Vor- stellung entwickelt sich nothwendig in Bahnen, nach Formen und Gesetzen, die ganz unabänderlich und unausweichlich sind. Die drei Dimensionen des Raumes, die einfache Ausdehnung der Zeit, die Zahlenreihe, und alles was man Kategorien nennt, das Ding mit seinen Eigenschaften, Ruhe und Bewegung, Sein und Werden, Veränderung: das sind solche Formen geistiger Thä- tigkeit, welche die Natur des Geistes constituiren, von denen sich die Seele nicht losmachen kann, Organe und Gefäße des Geistes. Hiervon aber ist die wirkliche Thätigkeit des Geistes, das wirkliche Denken verschieden. Jene Formen sind allerdings der Seele nicht eingeboren, es sind nicht ihr anerschaffene Or- gane; sie haben sich selbst erst durch die Thätigkeit des Gei- stes gebildet. Aber nicht nur sind sie nothwendig der Seele entsprungen, und sind in allen Menschen unabänderlich diesel- ben, unserer Willkür völlig entzogen; sondern sie bilden sich auch bewußtlos aus und bleiben von dem größten Theile der Menschen unbeachtet. Nur die philosophische Bildung richtet
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tigkeit, zusammengestellt. Dies ist auch rücksichtlich des all-
gemeinsten Punktes, auf dem die Sprache beruht, nämlich des
Wandels der Anschauung in die Vorstellung, durchaus richtig.
Ueber diesen Punkt hinaus aber bricht ein Unterschied hervor.
Man vergesse nicht, daß die Vorstellung ein Doppeltes in
sich schließt; denn sie ist die durch eine sprachliche Anschauung
dargestellte Anschauung. Die sprachliche Anschauung ist Mit-
tel; die durch dieses Mittel dargestellte Anschauung ist der In-
halt und die eigentliche Sache der Vorstellung. Nennen wir
nun diese Anschauung des Inhaltes vorzugsweise Vorstellung,
so müssen wir sagen, daß es zwar für die Klarheit und voll-
kommene Entwickelung der Vorstellung zum Begriffe höchst
förderlich ist, wenn sie von einer parallel laufenden Entwicke-
lung des sprachlichen Mittels, der innern Sprachform, begleitet
wird; ja nach dem Einflusse, den die Sprache auf das Denken
ausübt, wie wir ihn oben kennen gelernt haben, dürfen wir sicher
behaupten, die Vorstellung, wenn sie nicht so weit von der in-
nern Sprachform begleitet wird, als dies möglich ist, wird nie
zu einer gewissen Höhe des Begriffs gelangen; aber es ist doch
mit diesem Vortheil, welchen die Vorstellung für ihre Entwicke-
lung aus der des Mittels ihrer Darstellung zieht, noch nicht ge-
geben, daß die Entwickelung des einen Elements nothwendig
eben so vor sich gehen müsse, wie die des andern. Die Vor-
stellung entwickelt sich nothwendig in Bahnen, nach Formen
und Gesetzen, die ganz unabänderlich und unausweichlich sind.
Die drei Dimensionen des Raumes, die einfache Ausdehnung der
Zeit, die Zahlenreihe, und alles was man Kategorien nennt, das
Ding mit seinen Eigenschaften, Ruhe und Bewegung, Sein und
Werden, Veränderung: das sind solche Formen geistiger Thä-
tigkeit, welche die Natur des Geistes constituiren, von denen
sich die Seele nicht losmachen kann, Organe und Gefäße des
Geistes. Hiervon aber ist die wirkliche Thätigkeit des Geistes,
das wirkliche Denken verschieden. Jene Formen sind allerdings
der Seele nicht eingeboren, es sind nicht ihr anerschaffene Or-
gane; sie haben sich selbst erst durch die Thätigkeit des Gei-
stes gebildet. Aber nicht nur sind sie nothwendig der Seele
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Steinthal, Heymann: Grammatik, Logik und Psychologie. Ihre Principien und ihr Verhältniss zu einander. Berlin, 1855, S. 376. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinthal_grammatik_1855/414>, abgerufen am 22.12.2024.
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