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Steinthal, Heymann: Grammatik, Logik und Psychologie. Ihre Principien und ihr Verhältniss zu einander. Berlin, 1855.

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gen mag. Ob die Absicht zur Mittheilung vorhanden sei? Das
scheint mir doch zweifelhaft. Der Hund winselt, und dies Win-
seln ist Ausdruck seiner Verlegenheit, der aber unbeabsichtigt
erfolgt, auch wenn Niemand da ist, der ihn hören wird. Er
hat nicht die Absicht, das Winseln zur Sprache zu verwenden.
Er hat gesehen, daß Menschen die Thüre öffnen; da er sie ge-
öffnet wünscht, ist es natürlich, daß er an die Anschauung ei-
nes Menschen die Anschauung der sich öffnenden Thüre knüpft.
Er erwartet, aber er bittet, er spricht nicht. Sein Kratzen an
der Thüre ist ebenfalls nicht ein Versuch, seinen Wunsch an-
zudeuten, sondern ein Arbeiten, ein Bemühen, die Thüre zu
öffnen, und da sie in Folge seines Kratzens öfter geöffnet wor-
den ist, so hält er sein Kratzen für ein wirkliches Eröffnungs-
mittel; es ist ihm mehr ein Schlüssel und Drücker, als eine
Sprache. Und das gilt sogar vom Bellen des Hundes und vom
Schreien der Kinder. Herbart scheint uns sehr Recht zu ha-
ben, wenn er bemerkt (Psychologie §. 155. Sämmtl. W. VI.
S. 401): "Daß in diesen ersten Anfängen sich alles aus Gefühl
und Beobachtung" (Anschauung würden wir sagen, indem wir,
wie oben bemerkt, Beobachtung nennen möchten, was Herbart
Anschauung nennt), "ohne Willkür, zusammensetzt, sieht man
deutlich an eigensinnigen Kindern, die durch Schreien ihre Um-
gebung regieren; ja selbst an Thieren, denen oft auf ihre kla-
gende Stimme gewährt worden ist, was sie begehrten. Bei die-
sen wie bei jenen werden unverkennbar die Töne immer gebie-
terischer, je häufiger sie erfahren haben, daß sie etwas dadurch
ausrichten. Ihre Laute werden für sie ein Organ des
Handelns,
so unnatürlich dies auch ist" -- d. h. uns scheint;
an sich ist es nicht unnatürlich, da der Hund und das Kind den
innern Zusammenhang von Ursache und Wirkung nicht einsehen.
Auf diesem anschauenden Standpunkte giebt es bloß Verbin-
dung zweier Ereignisse in der Anschauung und die Erwartung
des unfehlbaren Eintretens des zweiten, wenn das erste einge-
treten ist. "Die Complexion zwischen dem Schreien und dem
beobachteten guten Erfolge wirkt nach dem allgemeinen Gange
des psychologischen Mechanismus dahin, daß, sobald das Beob-
achtete zum Begehrten wird, sich die Stimme erhebt, und zwar
nach häufiger Wiederholung endlich mit der Zuversicht des Ge-
lingens, wodurch der Wunsch in den Willen, die Bitte in den
Befehl übergeht" -- d. h. abermals, wie es uns scheint. Denn

gen mag. Ob die Absicht zur Mittheilung vorhanden sei? Das
scheint mir doch zweifelhaft. Der Hund winselt, und dies Win-
seln ist Ausdruck seiner Verlegenheit, der aber unbeabsichtigt
erfolgt, auch wenn Niemand da ist, der ihn hören wird. Er
hat nicht die Absicht, das Winseln zur Sprache zu verwenden.
Er hat gesehen, daß Menschen die Thüre öffnen; da er sie ge-
öffnet wünscht, ist es natürlich, daß er an die Anschauung ei-
nes Menschen die Anschauung der sich öffnenden Thüre knüpft.
Er erwartet, aber er bittet, er spricht nicht. Sein Kratzen an
der Thüre ist ebenfalls nicht ein Versuch, seinen Wunsch an-
zudeuten, sondern ein Arbeiten, ein Bemühen, die Thüre zu
öffnen, und da sie in Folge seines Kratzens öfter geöffnet wor-
den ist, so hält er sein Kratzen für ein wirkliches Eröffnungs-
mittel; es ist ihm mehr ein Schlüssel und Drücker, als eine
Sprache. Und das gilt sogar vom Bellen des Hundes und vom
Schreien der Kinder. Herbart scheint uns sehr Recht zu ha-
ben, wenn er bemerkt (Psychologie §. 155. Sämmtl. W. VI.
S. 401): „Daß in diesen ersten Anfängen sich alles aus Gefühl
und Beobachtung“ (Anschauung würden wir sagen, indem wir,
wie oben bemerkt, Beobachtung nennen möchten, was Herbart
Anschauung nennt), „ohne Willkür, zusammensetzt, sieht man
deutlich an eigensinnigen Kindern, die durch Schreien ihre Um-
gebung regieren; ja selbst an Thieren, denen oft auf ihre kla-
gende Stimme gewährt worden ist, was sie begehrten. Bei die-
sen wie bei jenen werden unverkennbar die Töne immer gebie-
terischer, je häufiger sie erfahren haben, daß sie etwas dadurch
ausrichten. Ihre Laute werden für sie ein Organ des
Handelns,
so unnatürlich dies auch ist“ — d. h. uns scheint;
an sich ist es nicht unnatürlich, da der Hund und das Kind den
innern Zusammenhang von Ursache und Wirkung nicht einsehen.
Auf diesem anschauenden Standpunkte giebt es bloß Verbin-
dung zweier Ereignisse in der Anschauung und die Erwartung
des unfehlbaren Eintretens des zweiten, wenn das erste einge-
treten ist. „Die Complexion zwischen dem Schreien und dem
beobachteten guten Erfolge wirkt nach dem allgemeinen Gange
des psychologischen Mechanismus dahin, daß, sobald das Beob-
achtete zum Begehrten wird, sich die Stimme erhebt, und zwar
nach häufiger Wiederholung endlich mit der Zuversicht des Ge-
lingens, wodurch der Wunsch in den Willen, die Bitte in den
Befehl übergeht“ — d. h. abermals, wie es uns scheint. Denn

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[270/0308] gen mag. Ob die Absicht zur Mittheilung vorhanden sei? Das scheint mir doch zweifelhaft. Der Hund winselt, und dies Win- seln ist Ausdruck seiner Verlegenheit, der aber unbeabsichtigt erfolgt, auch wenn Niemand da ist, der ihn hören wird. Er hat nicht die Absicht, das Winseln zur Sprache zu verwenden. Er hat gesehen, daß Menschen die Thüre öffnen; da er sie ge- öffnet wünscht, ist es natürlich, daß er an die Anschauung ei- nes Menschen die Anschauung der sich öffnenden Thüre knüpft. Er erwartet, aber er bittet, er spricht nicht. Sein Kratzen an der Thüre ist ebenfalls nicht ein Versuch, seinen Wunsch an- zudeuten, sondern ein Arbeiten, ein Bemühen, die Thüre zu öffnen, und da sie in Folge seines Kratzens öfter geöffnet wor- den ist, so hält er sein Kratzen für ein wirkliches Eröffnungs- mittel; es ist ihm mehr ein Schlüssel und Drücker, als eine Sprache. Und das gilt sogar vom Bellen des Hundes und vom Schreien der Kinder. Herbart scheint uns sehr Recht zu ha- ben, wenn er bemerkt (Psychologie §. 155. Sämmtl. W. VI. S. 401): „Daß in diesen ersten Anfängen sich alles aus Gefühl und Beobachtung“ (Anschauung würden wir sagen, indem wir, wie oben bemerkt, Beobachtung nennen möchten, was Herbart Anschauung nennt), „ohne Willkür, zusammensetzt, sieht man deutlich an eigensinnigen Kindern, die durch Schreien ihre Um- gebung regieren; ja selbst an Thieren, denen oft auf ihre kla- gende Stimme gewährt worden ist, was sie begehrten. Bei die- sen wie bei jenen werden unverkennbar die Töne immer gebie- terischer, je häufiger sie erfahren haben, daß sie etwas dadurch ausrichten. Ihre Laute werden für sie ein Organ des Handelns, so unnatürlich dies auch ist“ — d. h. uns scheint; an sich ist es nicht unnatürlich, da der Hund und das Kind den innern Zusammenhang von Ursache und Wirkung nicht einsehen. Auf diesem anschauenden Standpunkte giebt es bloß Verbin- dung zweier Ereignisse in der Anschauung und die Erwartung des unfehlbaren Eintretens des zweiten, wenn das erste einge- treten ist. „Die Complexion zwischen dem Schreien und dem beobachteten guten Erfolge wirkt nach dem allgemeinen Gange des psychologischen Mechanismus dahin, daß, sobald das Beob- achtete zum Begehrten wird, sich die Stimme erhebt, und zwar nach häufiger Wiederholung endlich mit der Zuversicht des Ge- lingens, wodurch der Wunsch in den Willen, die Bitte in den Befehl übergeht“ — d. h. abermals, wie es uns scheint. Denn

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Zitationshilfe: Steinthal, Heymann: Grammatik, Logik und Psychologie. Ihre Principien und ihr Verhältniss zu einander. Berlin, 1855, S. 270. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinthal_grammatik_1855/308>, abgerufen am 22.11.2024.