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Steinthal, Heymann: Grammatik, Logik und Psychologie. Ihre Principien und ihr Verhältniss zu einander. Berlin, 1855.

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entfernen: er wird vielleicht eher auf Tracheotomie rathen, als
auf Husten" (welches eine mechanische, unwillkürliche und un-
umgängliche Reflexbewegung ist, veranlaßt durch das Gefühl,
den Reiz des fremden Körpers); "und wie würde das Neugebo-
rene zur Nahrungsaufnahme gelangen, wenn es Saug- und Schling-
bewegungen erst zu erfinden hätte?" (Sobald die hintere Zunge
gereizt wird, entsteht durch dieses Gefühl die Reflexbewegung
des Schlingens; daher muß man einen Bissen oder einen harten
Kern, der zufällig etwas zu weit in den hintern Theil des Mun-
des gerathen ist, gegen den Willen hinunterschlucken). "Miß-
trauisch gegen den Erfindungsgeist der Seele hat vielmehr die
Natur dem Körper diese Bewegungen, als mechanisch vollkom-
men bedingte Wirkungen der Reize mitgegeben. Und auch wo
Bewegungen nach innern Zuständen der Seele erfolgen sollen"
(wie bei der Sprache), "war es zweckmäßig, daß die Natur
nicht die Erfindung des erzeugenden Anstoßes zu ihnen,
sondern nur die eventuelle Verhinderung ihres Entstehens
der Seele überließ" (also nicht die Erfindung der Sprache, son-
dern das Schweigen), "so daß im Allgemeinen der Naturzustand
darin besteht, daß die Bewegungen unwillkürlich dem Laufe der
innern Zustände folgen, während die Bildung die allzugroße
Leichtigkeit dieses Ueberganges hemmt." -- Nun noch Folgen-
des zum Schlusse dieses Auszuges: "In den Reflexbewegungen
war eine Mitwirkung der Seele überhaupt nicht nothwendig, ob-
gleich sie nebenbei häufig stattfand, indem nicht nur der veran-
lassende Reiz wahrgenommen, sondern auch die von selbst ent-
stehende Bewegung noch außerdem gewollt werden konnte. In
den physiognomischen oder mimischen Bewegungen sehen
wir andere Beispiele eines solchen Mechanismus, in welchen je-
doch der Anfangspunkt des ganzen Processes ein innerer See-
lenzustand,
die bestimmte Art und Größe der Gemüthser-
regung ist. Doch hängen diese Bewegungen weder von unserer
Intelligenz, noch von unserm Willen ab; denn weder wüßten
wir einen Grund, warum Lachen mit Lust, Weinen mit Schmerz
verbunden sein müßte, und nicht umgekehrt, noch vermögen
wir ohne Uebung und gewaltsame Anstrengung die unwillkürli-
che Entstehung der Gebärden zu unterdrücken. Auch sie sind
deshalb Erfolge, welche ein Zug der physischen Organisation
unsern innern Zuständen mit mechanischer Nothwendigkeit zu-
gesellt hat, und ihnen schließt sich die Sprache an, die so

entfernen: er wird vielleicht eher auf Tracheotomie rathen, als
auf Husten“ (welches eine mechanische, unwillkürliche und un-
umgängliche Reflexbewegung ist, veranlaßt durch das Gefühl,
den Reiz des fremden Körpers); „und wie würde das Neugebo-
rene zur Nahrungsaufnahme gelangen, wenn es Saug- und Schling-
bewegungen erst zu erfinden hätte?“ (Sobald die hintere Zunge
gereizt wird, entsteht durch dieses Gefühl die Reflexbewegung
des Schlingens; daher muß man einen Bissen oder einen harten
Kern, der zufällig etwas zu weit in den hintern Theil des Mun-
des gerathen ist, gegen den Willen hinunterschlucken). „Miß-
trauisch gegen den Erfindungsgeist der Seele hat vielmehr die
Natur dem Körper diese Bewegungen, als mechanisch vollkom-
men bedingte Wirkungen der Reize mitgegeben. Und auch wo
Bewegungen nach innern Zuständen der Seele erfolgen sollen“
(wie bei der Sprache), „war es zweckmäßig, daß die Natur
nicht die Erfindung des erzeugenden Anstoßes zu ihnen,
sondern nur die eventuelle Verhinderung ihres Entstehens
der Seele überließ“ (also nicht die Erfindung der Sprache, son-
dern das Schweigen), „so daß im Allgemeinen der Naturzustand
darin besteht, daß die Bewegungen unwillkürlich dem Laufe der
innern Zustände folgen, während die Bildung die allzugroße
Leichtigkeit dieses Ueberganges hemmt.“ — Nun noch Folgen-
des zum Schlusse dieses Auszuges: „In den Reflexbewegungen
war eine Mitwirkung der Seele überhaupt nicht nothwendig, ob-
gleich sie nebenbei häufig stattfand, indem nicht nur der veran-
lassende Reiz wahrgenommen, sondern auch die von selbst ent-
stehende Bewegung noch außerdem gewollt werden konnte. In
den physiognomischen oder mimischen Bewegungen sehen
wir andere Beispiele eines solchen Mechanismus, in welchen je-
doch der Anfangspunkt des ganzen Processes ein innerer See-
lenzustand,
die bestimmte Art und Größe der Gemüthser-
regung ist. Doch hängen diese Bewegungen weder von unserer
Intelligenz, noch von unserm Willen ab; denn weder wüßten
wir einen Grund, warum Lachen mit Lust, Weinen mit Schmerz
verbunden sein müßte, und nicht umgekehrt, noch vermögen
wir ohne Uebung und gewaltsame Anstrengung die unwillkürli-
che Entstehung der Gebärden zu unterdrücken. Auch sie sind
deshalb Erfolge, welche ein Zug der physischen Organisation
unsern innern Zuständen mit mechanischer Nothwendigkeit zu-
gesellt hat, und ihnen schließt sich die Sprache an, die so

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[256/0294] entfernen: er wird vielleicht eher auf Tracheotomie rathen, als auf Husten“ (welches eine mechanische, unwillkürliche und un- umgängliche Reflexbewegung ist, veranlaßt durch das Gefühl, den Reiz des fremden Körpers); „und wie würde das Neugebo- rene zur Nahrungsaufnahme gelangen, wenn es Saug- und Schling- bewegungen erst zu erfinden hätte?“ (Sobald die hintere Zunge gereizt wird, entsteht durch dieses Gefühl die Reflexbewegung des Schlingens; daher muß man einen Bissen oder einen harten Kern, der zufällig etwas zu weit in den hintern Theil des Mun- des gerathen ist, gegen den Willen hinunterschlucken). „Miß- trauisch gegen den Erfindungsgeist der Seele hat vielmehr die Natur dem Körper diese Bewegungen, als mechanisch vollkom- men bedingte Wirkungen der Reize mitgegeben. Und auch wo Bewegungen nach innern Zuständen der Seele erfolgen sollen“ (wie bei der Sprache), „war es zweckmäßig, daß die Natur nicht die Erfindung des erzeugenden Anstoßes zu ihnen, sondern nur die eventuelle Verhinderung ihres Entstehens der Seele überließ“ (also nicht die Erfindung der Sprache, son- dern das Schweigen), „so daß im Allgemeinen der Naturzustand darin besteht, daß die Bewegungen unwillkürlich dem Laufe der innern Zustände folgen, während die Bildung die allzugroße Leichtigkeit dieses Ueberganges hemmt.“ — Nun noch Folgen- des zum Schlusse dieses Auszuges: „In den Reflexbewegungen war eine Mitwirkung der Seele überhaupt nicht nothwendig, ob- gleich sie nebenbei häufig stattfand, indem nicht nur der veran- lassende Reiz wahrgenommen, sondern auch die von selbst ent- stehende Bewegung noch außerdem gewollt werden konnte. In den physiognomischen oder mimischen Bewegungen sehen wir andere Beispiele eines solchen Mechanismus, in welchen je- doch der Anfangspunkt des ganzen Processes ein innerer See- lenzustand, die bestimmte Art und Größe der Gemüthser- regung ist. Doch hängen diese Bewegungen weder von unserer Intelligenz, noch von unserm Willen ab; denn weder wüßten wir einen Grund, warum Lachen mit Lust, Weinen mit Schmerz verbunden sein müßte, und nicht umgekehrt, noch vermögen wir ohne Uebung und gewaltsame Anstrengung die unwillkürli- che Entstehung der Gebärden zu unterdrücken. Auch sie sind deshalb Erfolge, welche ein Zug der physischen Organisation unsern innern Zuständen mit mechanischer Nothwendigkeit zu- gesellt hat, und ihnen schließt sich die Sprache an, die so

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Zitationshilfe: Steinthal, Heymann: Grammatik, Logik und Psychologie. Ihre Principien und ihr Verhältniss zu einander. Berlin, 1855, S. 256. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinthal_grammatik_1855/294>, abgerufen am 25.11.2024.