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Steinthal, Heymann: Grammatik, Logik und Psychologie. Ihre Principien und ihr Verhältniss zu einander. Berlin, 1855.

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unbewußt, gehört also nicht der Hand; sondern kommt der
Hand von etwas Aeußerm zu, das sie nun wieder erfaßt, wo-
durch sie die gehabte Empfindung erneuert. In der Empfindung
also experimentirt die Seele, nach Zufall, absichtslos und unbe-
wußt; aber das Ergebniß ist das erwachende Bewußtsein von
einer Außenwelt*), oder genauer eine gewußte Außenwelt. Denn
noch weiß die Seele nichts von sich, nichts von einem Gegen-
satze ihrer selbst zur Außenwelt; sie weiß nur Aeußeres. Im
Gefühl aber wußte sie gar nichts. Die Empfindung ist also
das erste Wissen oder Erkennen, und dieses ist ein Wissen von
Aeußerm; d. h. thatsächlich ist es ein solches Wissen eines
Aeußern, obwohl die Seele noch nicht weiß, daß sie dem Aeu-
ßern als Inneres gegenübersteht. So viel über Gefühl und Em-
pfindung. Verfolgen wir jetzt die Bildung der Seele weiter.

Es ist eine wahre Schöpfungsgeschichte, durch welche wir
die Seele zu begleiten hätten. Das Erwachen der Empfindung
aus dem Gefühl ist ein wahres: und es ward Licht.

Das Gefühl ist gegeben; empfinden aber muß man lernen.
Hieran knüpfen sich sehr schwierige psychologische Aufgaben.
Es ist bekannt z. B., daß man eigentlich nur Flächen sieht;
Körper sehen nach ihren drei Ausdehnungen, Raumverhältnisse
erkennen, sich an seinem eigenen Leibe zurechtfinden, das muß
erst gelernt werden.

Denken wir uns nun den empfindenden Menschen. Von
allen Seiten strömen die Empfindungen gleichzeitig durch alle
Sinne auf ihn ein; er wird von ihnen überfluthet; und so findet
er sich jetzt erst recht in einem Chaos, worin nichts unterschie-
den ist. Die Empfindungen, obwohl sie durch besondere Pfor-
ten in die Seele treten, schmelzen in der Seele, diesem einheit-
lichen Wesen, zusammen; und noch ist keine Vorstellung von
einem besondern Dinge da. Wie der Fortschritt der Empfin-
dung gegen das Gefühl in der Scheidung bestand, so muß nun
auch weiter in dem Meere der Empfindungen unterschieden wer-
den, damit abgesonderte Gebilde und Gestaltungen hervortreten.
Dies geschieht nun hier abermals zunächst durch körperliche
Sonderung und Bewegung.

Die ganze Umgebung des Empfindenden schmilzt zu einer

*) Vergl. Lotze, medicinische Psychologie S. 422, wo Webers schöne
Abhandlung über den Tastsinn vervollständigt wird.

unbewußt, gehört also nicht der Hand; sondern kommt der
Hand von etwas Aeußerm zu, das sie nun wieder erfaßt, wo-
durch sie die gehabte Empfindung erneuert. In der Empfindung
also experimentirt die Seele, nach Zufall, absichtslos und unbe-
wußt; aber das Ergebniß ist das erwachende Bewußtsein von
einer Außenwelt*), oder genauer eine gewußte Außenwelt. Denn
noch weiß die Seele nichts von sich, nichts von einem Gegen-
satze ihrer selbst zur Außenwelt; sie weiß nur Aeußeres. Im
Gefühl aber wußte sie gar nichts. Die Empfindung ist also
das erste Wissen oder Erkennen, und dieses ist ein Wissen von
Aeußerm; d. h. thatsächlich ist es ein solches Wissen eines
Aeußern, obwohl die Seele noch nicht weiß, daß sie dem Aeu-
ßern als Inneres gegenübersteht. So viel über Gefühl und Em-
pfindung. Verfolgen wir jetzt die Bildung der Seele weiter.

Es ist eine wahre Schöpfungsgeschichte, durch welche wir
die Seele zu begleiten hätten. Das Erwachen der Empfindung
aus dem Gefühl ist ein wahres: und es ward Licht.

Das Gefühl ist gegeben; empfinden aber muß man lernen.
Hieran knüpfen sich sehr schwierige psychologische Aufgaben.
Es ist bekannt z. B., daß man eigentlich nur Flächen sieht;
Körper sehen nach ihren drei Ausdehnungen, Raumverhältnisse
erkennen, sich an seinem eigenen Leibe zurechtfinden, das muß
erst gelernt werden.

Denken wir uns nun den empfindenden Menschen. Von
allen Seiten strömen die Empfindungen gleichzeitig durch alle
Sinne auf ihn ein; er wird von ihnen überfluthet; und so findet
er sich jetzt erst recht in einem Chaos, worin nichts unterschie-
den ist. Die Empfindungen, obwohl sie durch besondere Pfor-
ten in die Seele treten, schmelzen in der Seele, diesem einheit-
lichen Wesen, zusammen; und noch ist keine Vorstellung von
einem besondern Dinge da. Wie der Fortschritt der Empfin-
dung gegen das Gefühl in der Scheidung bestand, so muß nun
auch weiter in dem Meere der Empfindungen unterschieden wer-
den, damit abgesonderte Gebilde und Gestaltungen hervortreten.
Dies geschieht nun hier abermals zunächst durch körperliche
Sonderung und Bewegung.

Die ganze Umgebung des Empfindenden schmilzt zu einer

*) Vergl. Lotze, medicinische Psychologie S. 422, wo Webers schöne
Abhandlung über den Tastsinn vervollständigt wird.
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[245/0283] unbewußt, gehört also nicht der Hand; sondern kommt der Hand von etwas Aeußerm zu, das sie nun wieder erfaßt, wo- durch sie die gehabte Empfindung erneuert. In der Empfindung also experimentirt die Seele, nach Zufall, absichtslos und unbe- wußt; aber das Ergebniß ist das erwachende Bewußtsein von einer Außenwelt *), oder genauer eine gewußte Außenwelt. Denn noch weiß die Seele nichts von sich, nichts von einem Gegen- satze ihrer selbst zur Außenwelt; sie weiß nur Aeußeres. Im Gefühl aber wußte sie gar nichts. Die Empfindung ist also das erste Wissen oder Erkennen, und dieses ist ein Wissen von Aeußerm; d. h. thatsächlich ist es ein solches Wissen eines Aeußern, obwohl die Seele noch nicht weiß, daß sie dem Aeu- ßern als Inneres gegenübersteht. So viel über Gefühl und Em- pfindung. Verfolgen wir jetzt die Bildung der Seele weiter. Es ist eine wahre Schöpfungsgeschichte, durch welche wir die Seele zu begleiten hätten. Das Erwachen der Empfindung aus dem Gefühl ist ein wahres: und es ward Licht. Das Gefühl ist gegeben; empfinden aber muß man lernen. Hieran knüpfen sich sehr schwierige psychologische Aufgaben. Es ist bekannt z. B., daß man eigentlich nur Flächen sieht; Körper sehen nach ihren drei Ausdehnungen, Raumverhältnisse erkennen, sich an seinem eigenen Leibe zurechtfinden, das muß erst gelernt werden. Denken wir uns nun den empfindenden Menschen. Von allen Seiten strömen die Empfindungen gleichzeitig durch alle Sinne auf ihn ein; er wird von ihnen überfluthet; und so findet er sich jetzt erst recht in einem Chaos, worin nichts unterschie- den ist. Die Empfindungen, obwohl sie durch besondere Pfor- ten in die Seele treten, schmelzen in der Seele, diesem einheit- lichen Wesen, zusammen; und noch ist keine Vorstellung von einem besondern Dinge da. Wie der Fortschritt der Empfin- dung gegen das Gefühl in der Scheidung bestand, so muß nun auch weiter in dem Meere der Empfindungen unterschieden wer- den, damit abgesonderte Gebilde und Gestaltungen hervortreten. Dies geschieht nun hier abermals zunächst durch körperliche Sonderung und Bewegung. Die ganze Umgebung des Empfindenden schmilzt zu einer *) Vergl. Lotze, medicinische Psychologie S. 422, wo Webers schöne Abhandlung über den Tastsinn vervollständigt wird.

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Zitationshilfe: Steinthal, Heymann: Grammatik, Logik und Psychologie. Ihre Principien und ihr Verhältniss zu einander. Berlin, 1855, S. 245. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinthal_grammatik_1855/283>, abgerufen am 23.11.2024.