ten Allgemeinheit des Gefühls heraushebt. Die wundervolle Or- ganisation des Auges und des Ohres bewirkt, daß die zum Ge- sichts- und Gehörnerven dringenden Eindrücke nicht bloß als allgemeine dunkle Gefühle wahrgenommen werden, sondern als bestimmte Empfindungen eine Erkenntniß geben.
Geringere Stärke des sinnlichen Eindruckes und größerer Widerstand der Seele, und dann ferner eine gewisse Thätigkeit, weniger Leiden, schon ein Keim der Freiheit der Seele: diese beiden Punkte hatten wir als die unterscheidenden Merkmale der Empfindung im Gegensatze zum Gefühl kennen gelernt. So- eben haben wir nun Localisirung und Formung als die beiden physiologischen Hülfsmittel erkannt, welche der Seele zur Her- ausarbeitung der Empfindung aus dem Gefühle dienlich sind. Die Beziehung nämlich dieser Mittel zu jenen Unterschieden leuchtet wohl bald ein. Die Localisirung des Organs bedeutet eine Beschränkung des Angriffspunktes. In dem Gefühle tappt die Außenwelt geradezu nach dem Leibe und faßt ihn blind- lings, wie es kommt; in der Empfindung faßt sie ihn an einer bestimmten isolirten Stelle, die als besondere Handhabe dazu geformt ist; und sie faßt ihn hier nur mit einem ihrer Ele- mente, für welches gerade diese Handhabe geeignet ist. Der äußere Andrang ist folglich viel schwächer; der Leib ist in der Empfindung weniger ergriffen, als im Gefühl; er ist der Außen- welt gegenüber freier, selbständiger, weil diese keine Gelegen- heit hat, ihre volle Macht zu entfalten, und er derselben nur einen beschränkten Angriffspunkt darbietet.
Noch wichtiger aber ist das andere Moment, die Form. Diese bewirkt es, daß die Seele in der Empfindung thätig, ge- staltend ist, also bis auf einen gewissen Grad schon frei, die äußere Einwirkung überwindend und in ein ihrem Wesen ange- hörendes Gebilde umwandelnd. In der Form des Organs liegt das Mittel, wodurch die Herrschaft über den Andrang der Ele- mente gewonnen wird. Denn die Form bestimmt durch sich und sich gemäß das Element, welches eindringen soll, und den Eindruck des Elementes schon im voraus. Die Form des Au- ges, des Ohres, des Geruchs-Organes hält von dem empfinden- den Nerven alle fremdartigen, diesen Sinnen unangemessenen Eindrücke ab, und gestattet selbst den Elementen, für welche der Sinn organisirt ist, nur dergestalt den Zutritt, wie es für die Empfindung am vortheilhaftesten ist, die Berührung des Ner-
ten Allgemeinheit des Gefühls heraushebt. Die wundervolle Or- ganisation des Auges und des Ohres bewirkt, daß die zum Ge- sichts- und Gehörnerven dringenden Eindrücke nicht bloß als allgemeine dunkle Gefühle wahrgenommen werden, sondern als bestimmte Empfindungen eine Erkenntniß geben.
Geringere Stärke des sinnlichen Eindruckes und größerer Widerstand der Seele, und dann ferner eine gewisse Thätigkeit, weniger Leiden, schon ein Keim der Freiheit der Seele: diese beiden Punkte hatten wir als die unterscheidenden Merkmale der Empfindung im Gegensatze zum Gefühl kennen gelernt. So- eben haben wir nun Localisirung und Formung als die beiden physiologischen Hülfsmittel erkannt, welche der Seele zur Her- ausarbeitung der Empfindung aus dem Gefühle dienlich sind. Die Beziehung nämlich dieser Mittel zu jenen Unterschieden leuchtet wohl bald ein. Die Localisirung des Organs bedeutet eine Beschränkung des Angriffspunktes. In dem Gefühle tappt die Außenwelt geradezu nach dem Leibe und faßt ihn blind- lings, wie es kommt; in der Empfindung faßt sie ihn an einer bestimmten isolirten Stelle, die als besondere Handhabe dazu geformt ist; und sie faßt ihn hier nur mit einem ihrer Ele- mente, für welches gerade diese Handhabe geeignet ist. Der äußere Andrang ist folglich viel schwächer; der Leib ist in der Empfindung weniger ergriffen, als im Gefühl; er ist der Außen- welt gegenüber freier, selbständiger, weil diese keine Gelegen- heit hat, ihre volle Macht zu entfalten, und er derselben nur einen beschränkten Angriffspunkt darbietet.
Noch wichtiger aber ist das andere Moment, die Form. Diese bewirkt es, daß die Seele in der Empfindung thätig, ge- staltend ist, also bis auf einen gewissen Grad schon frei, die äußere Einwirkung überwindend und in ein ihrem Wesen ange- hörendes Gebilde umwandelnd. In der Form des Organs liegt das Mittel, wodurch die Herrschaft über den Andrang der Ele- mente gewonnen wird. Denn die Form bestimmt durch sich und sich gemäß das Element, welches eindringen soll, und den Eindruck des Elementes schon im voraus. Die Form des Au- ges, des Ohres, des Geruchs-Organes hält von dem empfinden- den Nerven alle fremdartigen, diesen Sinnen unangemessenen Eindrücke ab, und gestattet selbst den Elementen, für welche der Sinn organisirt ist, nur dergestalt den Zutritt, wie es für die Empfindung am vortheilhaftesten ist, die Berührung des Ner-
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ten Allgemeinheit des Gefühls heraushebt. Die wundervolle Or-
ganisation des Auges und des Ohres bewirkt, daß die zum Ge-
sichts- und Gehörnerven dringenden Eindrücke nicht bloß als
allgemeine dunkle Gefühle wahrgenommen werden, sondern als
bestimmte Empfindungen eine Erkenntniß geben.
Geringere Stärke des sinnlichen Eindruckes und größerer
Widerstand der Seele, und dann ferner eine gewisse Thätigkeit,
weniger Leiden, schon ein Keim der Freiheit der Seele: diese
beiden Punkte hatten wir als die unterscheidenden Merkmale
der Empfindung im Gegensatze zum Gefühl kennen gelernt. So-
eben haben wir nun Localisirung und Formung als die beiden
physiologischen Hülfsmittel erkannt, welche der Seele zur Her-
ausarbeitung der Empfindung aus dem Gefühle dienlich sind.
Die Beziehung nämlich dieser Mittel zu jenen Unterschieden
leuchtet wohl bald ein. Die Localisirung des Organs bedeutet
eine Beschränkung des Angriffspunktes. In dem Gefühle tappt
die Außenwelt geradezu nach dem Leibe und faßt ihn blind-
lings, wie es kommt; in der Empfindung faßt sie ihn an einer
bestimmten isolirten Stelle, die als besondere Handhabe dazu
geformt ist; und sie faßt ihn hier nur mit einem ihrer Ele-
mente, für welches gerade diese Handhabe geeignet ist. Der
äußere Andrang ist folglich viel schwächer; der Leib ist in der
Empfindung weniger ergriffen, als im Gefühl; er ist der Außen-
welt gegenüber freier, selbständiger, weil diese keine Gelegen-
heit hat, ihre volle Macht zu entfalten, und er derselben nur
einen beschränkten Angriffspunkt darbietet.
Noch wichtiger aber ist das andere Moment, die Form.
Diese bewirkt es, daß die Seele in der Empfindung thätig, ge-
staltend ist, also bis auf einen gewissen Grad schon frei, die
äußere Einwirkung überwindend und in ein ihrem Wesen ange-
hörendes Gebilde umwandelnd. In der Form des Organs liegt
das Mittel, wodurch die Herrschaft über den Andrang der Ele-
mente gewonnen wird. Denn die Form bestimmt durch sich
und sich gemäß das Element, welches eindringen soll, und den
Eindruck des Elementes schon im voraus. Die Form des Au-
ges, des Ohres, des Geruchs-Organes hält von dem empfinden-
den Nerven alle fremdartigen, diesen Sinnen unangemessenen
Eindrücke ab, und gestattet selbst den Elementen, für welche
der Sinn organisirt ist, nur dergestalt den Zutritt, wie es für
die Empfindung am vortheilhaftesten ist, die Berührung des Ner-
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Steinthal, Heymann: Grammatik, Logik und Psychologie. Ihre Principien und ihr Verhältniss zu einander. Berlin, 1855, S. 242. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinthal_grammatik_1855/280>, abgerufen am 22.11.2024.
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