Seele lediglich als ein unbestimmtes Dasein auf, welches sich als daseiend erweist, indem es gegen den erfahrenen Druck von außen einen seinem Wesen angemessenen Gegendruck ausübt -- und dieser Gegendruck ist eben der Inhalt des Gefühls --; sondern auch die Außenwelt wirkt hier eben so bloß als ein unbestimmtes, ununterschiedenes Etwas. Es ist hierbei noch nicht einmal ein Unterschied vorhanden zwischen der Außen- welt und dem Leibe der Seele; der eigene Leib ist hier auch noch das Aeußere. Denn es ist für das Gefühl ganz gleich- gültig, ob ein Brand im Leibe durch ein nahes Feuer von au- ßen, oder durch einen rein innerhalb des Leibes beschränkten Vorgang entstanden ist. Auch existirt ja hier selbst der Un- terschied zwischen Seele und Aeußerm nur für uns, die Betrach- tenden, aber noch nicht für die Seele selbst. Der Charakter des Gefühls ist also ungeschiedene Einheit, Bestim- mungs- und Formlosigkeit. Die Factoren im Gefühl, Seele und Aeußeres, sind in einander vermischt, und jeder Factor in sich einheitliches, unterschiedsloses, ungeformtes Wesen. Dies zeigt sich auch so, daß der ganze Leib in allen seinen Theilen ohne Unterschied der Seele dieselben Gefühle giebt.
In der Empfindung tritt nun zuerst Unterscheidung, Be- grenzung auf, und zwar zunächst als räumliche Begrenzung, Lo- calisirung. Die Empfindung also, möchten wir zuerst definiren, ist ein localisirtes Gefühl. Die Sinnesnerven sind wahr- scheinlich gar nicht specifisch von einander verschieden; ihre specifisch verschiedene Thätigkeit, daß sie nicht Schmerz- oder Lustgefühl geben, sondern dieser eine Gesichtsempfindung, der andere eine Geschmacksempfindung, hängt vermuthlich bloß von der bestimmten Stelle ab, welche sie im Leibe einnehmen, von den Bedingungen der Umgebung, der Einfassung, der nahe her- umliegenden leiblichen Gebilde. Der Tast- oder Gefühlssinn scheint zwar wenig localisirt, im Verhältniß zu den andern Sinnen. Man sieht nur an dem einen Orte, wo der Gesichts- nerv ist; man hört nur an dem einen Orte, wo der Gehörnerv liegt; aber man hat Tastempfindungen, Gefühlsempfindungen, an der ganzen Oberfläche des Leibes, überall an der Haut, mit größerer oder geringerer Feinheit, je nach dem Orte. Aber eben ein Sinn, der in der Haut sitzt, ist schon localisirt gegen das Gefühl, das überall im ganzen Leibe ist; und selbst in der Haut ist der Gefühlssinn doch nur an einigen Punkten
Seele lediglich als ein unbestimmtes Dasein auf, welches sich als daseiend erweist, indem es gegen den erfahrenen Druck von außen einen seinem Wesen angemessenen Gegendruck ausübt — und dieser Gegendruck ist eben der Inhalt des Gefühls —; sondern auch die Außenwelt wirkt hier eben so bloß als ein unbestimmtes, ununterschiedenes Etwas. Es ist hierbei noch nicht einmal ein Unterschied vorhanden zwischen der Außen- welt und dem Leibe der Seele; der eigene Leib ist hier auch noch das Aeußere. Denn es ist für das Gefühl ganz gleich- gültig, ob ein Brand im Leibe durch ein nahes Feuer von au- ßen, oder durch einen rein innerhalb des Leibes beschränkten Vorgang entstanden ist. Auch existirt ja hier selbst der Un- terschied zwischen Seele und Aeußerm nur für uns, die Betrach- tenden, aber noch nicht für die Seele selbst. Der Charakter des Gefühls ist also ungeschiedene Einheit, Bestim- mungs- und Formlosigkeit. Die Factoren im Gefühl, Seele und Aeußeres, sind in einander vermischt, und jeder Factor in sich einheitliches, unterschiedsloses, ungeformtes Wesen. Dies zeigt sich auch so, daß der ganze Leib in allen seinen Theilen ohne Unterschied der Seele dieselben Gefühle giebt.
In der Empfindung tritt nun zuerst Unterscheidung, Be- grenzung auf, und zwar zunächst als räumliche Begrenzung, Lo- calisirung. Die Empfindung also, möchten wir zuerst definiren, ist ein localisirtes Gefühl. Die Sinnesnerven sind wahr- scheinlich gar nicht specifisch von einander verschieden; ihre specifisch verschiedene Thätigkeit, daß sie nicht Schmerz- oder Lustgefühl geben, sondern dieser eine Gesichtsempfindung, der andere eine Geschmacksempfindung, hängt vermuthlich bloß von der bestimmten Stelle ab, welche sie im Leibe einnehmen, von den Bedingungen der Umgebung, der Einfassung, der nahe her- umliegenden leiblichen Gebilde. Der Tast- oder Gefühlssinn scheint zwar wenig localisirt, im Verhältniß zu den andern Sinnen. Man sieht nur an dem einen Orte, wo der Gesichts- nerv ist; man hört nur an dem einen Orte, wo der Gehörnerv liegt; aber man hat Tastempfindungen, Gefühlsempfindungen, an der ganzen Oberfläche des Leibes, überall an der Haut, mit größerer oder geringerer Feinheit, je nach dem Orte. Aber eben ein Sinn, der in der Haut sitzt, ist schon localisirt gegen das Gefühl, das überall im ganzen Leibe ist; und selbst in der Haut ist der Gefühlssinn doch nur an einigen Punkten
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Seele lediglich als ein unbestimmtes Dasein auf, welches sich
als daseiend erweist, indem es gegen den erfahrenen Druck von
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— und dieser Gegendruck ist eben der Inhalt des Gefühls —;
sondern auch die Außenwelt wirkt hier eben so bloß als ein
unbestimmtes, ununterschiedenes Etwas. Es ist hierbei noch
nicht einmal ein Unterschied vorhanden zwischen der Außen-
welt und dem Leibe der Seele; der eigene Leib ist hier auch
noch das Aeußere. Denn es ist für das Gefühl ganz gleich-
gültig, ob ein Brand im Leibe durch ein nahes Feuer von au-
ßen, oder durch einen rein innerhalb des Leibes beschränkten
Vorgang entstanden ist. Auch existirt ja hier selbst der Un-
terschied zwischen Seele und Aeußerm nur für uns, die Betrach-
tenden, aber noch nicht für die Seele selbst. Der Charakter
des Gefühls ist also ungeschiedene Einheit, Bestim-
mungs- und Formlosigkeit. Die Factoren im Gefühl, Seele
und Aeußeres, sind in einander vermischt, und jeder Factor in
sich einheitliches, unterschiedsloses, ungeformtes Wesen. Dies
zeigt sich auch so, daß der ganze Leib in allen seinen Theilen
ohne Unterschied der Seele dieselben Gefühle giebt.
In der Empfindung tritt nun zuerst Unterscheidung, Be-
grenzung auf, und zwar zunächst als räumliche Begrenzung, Lo-
calisirung. Die Empfindung also, möchten wir zuerst definiren,
ist ein localisirtes Gefühl. Die Sinnesnerven sind wahr-
scheinlich gar nicht specifisch von einander verschieden; ihre
specifisch verschiedene Thätigkeit, daß sie nicht Schmerz- oder
Lustgefühl geben, sondern dieser eine Gesichtsempfindung, der
andere eine Geschmacksempfindung, hängt vermuthlich bloß von
der bestimmten Stelle ab, welche sie im Leibe einnehmen, von
den Bedingungen der Umgebung, der Einfassung, der nahe her-
umliegenden leiblichen Gebilde. Der Tast- oder Gefühlssinn
scheint zwar wenig localisirt, im Verhältniß zu den andern
Sinnen. Man sieht nur an dem einen Orte, wo der Gesichts-
nerv ist; man hört nur an dem einen Orte, wo der Gehörnerv
liegt; aber man hat Tastempfindungen, Gefühlsempfindungen, an
der ganzen Oberfläche des Leibes, überall an der Haut, mit
größerer oder geringerer Feinheit, je nach dem Orte. Aber
eben ein Sinn, der in der Haut sitzt, ist schon localisirt gegen
das Gefühl, das überall im ganzen Leibe ist; und selbst in
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Steinthal, Heymann: Grammatik, Logik und Psychologie. Ihre Principien und ihr Verhältniss zu einander. Berlin, 1855, S. 240. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinthal_grammatik_1855/278>, abgerufen am 22.11.2024.
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