man nennt es Schöpfung. Das Erlernen der Sprache durch die Kinder sah man wie neue Anfertigungen desselben schon erfun- denen Dinges an. Die erste Schöpfung der Sprache kennen zu lernen, darauf gingen die Untersuchungen über den Ursprung der Sprache. Wie Adam und Eva im Paradiese mit einander gekost haben, das hätte man gar zu gern wissen mögen. Was man aber nicht wußte und gern wissen möchte, das träumte man.
Es werde zugestanden, daß die Erfindung der Dampfma- schine wichtiger ist, als ihre heutige Vervielfältigung; und die Geschichte der Anfertigung der ersten Maschine mag anzie- hender sein, als die Beschreibung des Verfahrens, welches man heute beim Baue derselben anwendet. Nichtsdestoweniger giebt es doch etwas Wichtigeres und Anziehenderes sowohl als dieses, wie als jenes, nämlich die Naturgesetze zu erforschen, welche sowohl bei der ersten, als bei jeder heute gebauten Ma- schine die bezweckte Wirkung hervorbringen. Denn während uns die Erzählung der Erfindung und allmählichen Verbesserung eines Dinges doch nur Zeitliches und mehr oder weniger Zufäl- liges bietet: so lehren uns jene Gesetze das diesem Zeitlichen zu Grunde liegende Ewige. Und so schließen wir auch für die Sprache, daß es wichtiger und anziehender ist, die Gesetze zu erforschen, nach denen sie sowohl ursprünglich geschaffen wurde, als auch heute noch geschaffen wird, und daß weniger daran liegt, die Besonderheiten zu kennen, unter denen die erste Schöpfung und jede folgende von Statten gegangen sein mag.
So gestaltet sich also die Frage nach dem Ursprunge der Sprache schon ganz anders, selbst wenn wir die rohe Anschau- ungsweise gelten lassen, welche die Sprache als ein Ding ansieht, und welche der obigen Analogie zu Grunde liegt. Und sie zu- nächst noch nicht abändernd, fahren wir fort, indem wir darauf hinweisen, daß es doch nicht gleichgültig ist, in welchem Zeit- alter diese Erfindung gemacht ist. Jede Erfindung setzt die Anlage dazu im Geiste der Menschheit voraus, nicht bloß eine angeborne Fähigkeit, sondern eine gewisse vorläufige Bildung und Bekanntschaft mit andern Erfindungen. Ohne diese Vor- bereitung des erfinderischen Geistes würden ihm die günstigsten Zufälle ungenutzt vorübergehen. Gewisse Erfindungen sind un- möglich, wenn nicht schon gewisse andere gemacht sind, oder wenn nicht gewisse Ansichten, Erkenntnisse und Bestrebungen vorhanden sind; sie werden überflüssig gemacht durch spätere,
man nennt es Schöpfung. Das Erlernen der Sprache durch die Kinder sah man wie neue Anfertigungen desselben schon erfun- denen Dinges an. Die erste Schöpfung der Sprache kennen zu lernen, darauf gingen die Untersuchungen über den Ursprung der Sprache. Wie Adam und Eva im Paradiese mit einander gekost haben, das hätte man gar zu gern wissen mögen. Was man aber nicht wußte und gern wissen möchte, das träumte man.
Es werde zugestanden, daß die Erfindung der Dampfma- schine wichtiger ist, als ihre heutige Vervielfältigung; und die Geschichte der Anfertigung der ersten Maschine mag anzie- hender sein, als die Beschreibung des Verfahrens, welches man heute beim Baue derselben anwendet. Nichtsdestoweniger giebt es doch etwas Wichtigeres und Anziehenderes sowohl als dieses, wie als jenes, nämlich die Naturgesetze zu erforschen, welche sowohl bei der ersten, als bei jeder heute gebauten Ma- schine die bezweckte Wirkung hervorbringen. Denn während uns die Erzählung der Erfindung und allmählichen Verbesserung eines Dinges doch nur Zeitliches und mehr oder weniger Zufäl- liges bietet: so lehren uns jene Gesetze das diesem Zeitlichen zu Grunde liegende Ewige. Und so schließen wir auch für die Sprache, daß es wichtiger und anziehender ist, die Gesetze zu erforschen, nach denen sie sowohl ursprünglich geschaffen wurde, als auch heute noch geschaffen wird, und daß weniger daran liegt, die Besonderheiten zu kennen, unter denen die erste Schöpfung und jede folgende von Statten gegangen sein mag.
So gestaltet sich also die Frage nach dem Ursprunge der Sprache schon ganz anders, selbst wenn wir die rohe Anschau- ungsweise gelten lassen, welche die Sprache als ein Ding ansieht, und welche der obigen Analogie zu Grunde liegt. Und sie zu- nächst noch nicht abändernd, fahren wir fort, indem wir darauf hinweisen, daß es doch nicht gleichgültig ist, in welchem Zeit- alter diese Erfindung gemacht ist. Jede Erfindung setzt die Anlage dazu im Geiste der Menschheit voraus, nicht bloß eine angeborne Fähigkeit, sondern eine gewisse vorläufige Bildung und Bekanntschaft mit andern Erfindungen. Ohne diese Vor- bereitung des erfinderischen Geistes würden ihm die günstigsten Zufälle ungenutzt vorübergehen. Gewisse Erfindungen sind un- möglich, wenn nicht schon gewisse andere gemacht sind, oder wenn nicht gewisse Ansichten, Erkenntnisse und Bestrebungen vorhanden sind; sie werden überflüssig gemacht durch spätere,
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man nennt es Schöpfung. Das Erlernen der Sprache durch die
Kinder sah man wie neue Anfertigungen desselben schon erfun-
denen Dinges an. Die erste Schöpfung der Sprache kennen zu
lernen, darauf gingen die Untersuchungen über den Ursprung
der Sprache. Wie Adam und Eva im Paradiese mit einander
gekost haben, das hätte man gar zu gern wissen mögen. Was
man aber nicht wußte und gern wissen möchte, das träumte man.
Es werde zugestanden, daß die Erfindung der Dampfma-
schine wichtiger ist, als ihre heutige Vervielfältigung; und die
Geschichte der Anfertigung der ersten Maschine mag anzie-
hender sein, als die Beschreibung des Verfahrens, welches
man heute beim Baue derselben anwendet. Nichtsdestoweniger
giebt es doch etwas Wichtigeres und Anziehenderes sowohl als
dieses, wie als jenes, nämlich die Naturgesetze zu erforschen,
welche sowohl bei der ersten, als bei jeder heute gebauten Ma-
schine die bezweckte Wirkung hervorbringen. Denn während
uns die Erzählung der Erfindung und allmählichen Verbesserung
eines Dinges doch nur Zeitliches und mehr oder weniger Zufäl-
liges bietet: so lehren uns jene Gesetze das diesem Zeitlichen
zu Grunde liegende Ewige. Und so schließen wir auch für die
Sprache, daß es wichtiger und anziehender ist, die Gesetze zu
erforschen, nach denen sie sowohl ursprünglich geschaffen wurde,
als auch heute noch geschaffen wird, und daß weniger daran
liegt, die Besonderheiten zu kennen, unter denen die erste
Schöpfung und jede folgende von Statten gegangen sein mag.
So gestaltet sich also die Frage nach dem Ursprunge der
Sprache schon ganz anders, selbst wenn wir die rohe Anschau-
ungsweise gelten lassen, welche die Sprache als ein Ding ansieht,
und welche der obigen Analogie zu Grunde liegt. Und sie zu-
nächst noch nicht abändernd, fahren wir fort, indem wir darauf
hinweisen, daß es doch nicht gleichgültig ist, in welchem Zeit-
alter diese Erfindung gemacht ist. Jede Erfindung setzt die
Anlage dazu im Geiste der Menschheit voraus, nicht bloß eine
angeborne Fähigkeit, sondern eine gewisse vorläufige Bildung
und Bekanntschaft mit andern Erfindungen. Ohne diese Vor-
bereitung des erfinderischen Geistes würden ihm die günstigsten
Zufälle ungenutzt vorübergehen. Gewisse Erfindungen sind un-
möglich, wenn nicht schon gewisse andere gemacht sind, oder
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Steinthal, Heymann: Grammatik, Logik und Psychologie. Ihre Principien und ihr Verhältniss zu einander. Berlin, 1855, S. 228. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinthal_grammatik_1855/266>, abgerufen am 22.11.2024.
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