Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Steinthal, Heymann: Grammatik, Logik und Psychologie. Ihre Principien und ihr Verhältniss zu einander. Berlin, 1855.

Bild:
<< vorherige Seite

nicht logisch: nämlich ihr Gegenstand mit seinen Verhältnissen
ist ihnen eigenthümlich; aber indem man diesen Gegenstand und
diese Verhältnisse denkt, bemerkt der Logiker, daß sowohl der
Sprachforscher nach logischen Gesetzen handelt, als auch, daß
bei dem Verfahren der Sprache, ihre Elemente zu bilden und
nach eigenthümlichen Gesetzen zusammenzufügen, logische Rück-
sichten und Gesetze unbewußt gewaltet haben. Diese logischen
Gesetze, welche die Sprache und der Sprachforscher, der Che-
miker und Physiker und die Natur befolgen, sind die gemeinen
logischen Gesetze, deren Darlegung der Sprach- und Natur-
forscher voraussetzt, die er nicht erforscht, die nicht sein beson-
derer Gegenstand sind.

Nach allem, was vorangegangen ist, kann die allgemeine
Scheidung der sprachlichen oder grammatischen Verhältnisse von
den Verhältnissen des Denkens und der Logik nicht mehr un-
gewiß, noch auch schwierig sein. Wir geben aber doch noch
ein neues Beispiel. Es tritt jemand an eine runde Tafel und
spricht: diese runde Tafel ist viereckig: so schweigt der Gram-
matiker, vollständig befriedigt; der Logiker aber ruft: Unsinn!
Jener spricht: dieser Tafel sind rund, oder hic tabulam sunt ro-
tundum
: der Logiker an sich versteht weder Deutsch, noch Latein
und schweigt, der Grammatiker tadelt. Giebt man aber dem
Logiker zu seinem allgemeinen logischen Maßstabe noch das
besondere grammatische Gesetz der Congruenz, so würde auch
er tadeln. Ein solcher Logiker, der zu den logischen Ge-
setzen noch ein grammatisches hinzubringt, ist eben der Gram-
matiker. Denn dieser ist, außerdem daß er Grammatiker
ist, noch überdies Logiker, d. h. nach logischen Gesetzen
denkend und beurtheilend; aber der Logiker ist nicht auch
Grammatiker. Würde nun der obige Satz corrigirt: hoc tabu-
lum est rotundum,
so wäre der Logiker selbst mit Kenntniß der
Congruenzregel befriedigt. Der Grammatiker aber hat eine fer-
nere Kenntniß der Sprache und verbessert: tabula. Dies ge-
nügt dem Logiker, um das Uebrige zu corrigiren; d. h. nun ist
der Grammatiker gezwungen, eine logische Anwendung der Re-
gel der Congruenz zu machen. Also die Congruenz-Regel und
das bestimmte Genus des Wortes tabula sind Verhältnisse, die
ausschließlich der Grammatik gehören, und sie mit ihresglei-
chen machen den Gegenstand der Grammatik, die Sprache aus.
In dem formalen Verfahren aber, in der Anwendung der sprach-

nicht logisch: nämlich ihr Gegenstand mit seinen Verhältnissen
ist ihnen eigenthümlich; aber indem man diesen Gegenstand und
diese Verhältnisse denkt, bemerkt der Logiker, daß sowohl der
Sprachforscher nach logischen Gesetzen handelt, als auch, daß
bei dem Verfahren der Sprache, ihre Elemente zu bilden und
nach eigenthümlichen Gesetzen zusammenzufügen, logische Rück-
sichten und Gesetze unbewußt gewaltet haben. Diese logischen
Gesetze, welche die Sprache und der Sprachforscher, der Che-
miker und Physiker und die Natur befolgen, sind die gemeinen
logischen Gesetze, deren Darlegung der Sprach- und Natur-
forscher voraussetzt, die er nicht erforscht, die nicht sein beson-
derer Gegenstand sind.

Nach allem, was vorangegangen ist, kann die allgemeine
Scheidung der sprachlichen oder grammatischen Verhältnisse von
den Verhältnissen des Denkens und der Logik nicht mehr un-
gewiß, noch auch schwierig sein. Wir geben aber doch noch
ein neues Beispiel. Es tritt jemand an eine runde Tafel und
spricht: diese runde Tafel ist viereckig: so schweigt der Gram-
matiker, vollständig befriedigt; der Logiker aber ruft: Unsinn!
Jener spricht: dieser Tafel sind rund, oder hic tabulam sunt ro-
tundum
: der Logiker an sich versteht weder Deutsch, noch Latein
und schweigt, der Grammatiker tadelt. Giebt man aber dem
Logiker zu seinem allgemeinen logischen Maßstabe noch das
besondere grammatische Gesetz der Congruenz, so würde auch
er tadeln. Ein solcher Logiker, der zu den logischen Ge-
setzen noch ein grammatisches hinzubringt, ist eben der Gram-
matiker. Denn dieser ist, außerdem daß er Grammatiker
ist, noch überdies Logiker, d. h. nach logischen Gesetzen
denkend und beurtheilend; aber der Logiker ist nicht auch
Grammatiker. Würde nun der obige Satz corrigirt: hoc tabu-
lum est rotundum,
so wäre der Logiker selbst mit Kenntniß der
Congruenzregel befriedigt. Der Grammatiker aber hat eine fer-
nere Kenntniß der Sprache und verbessert: tabula. Dies ge-
nügt dem Logiker, um das Uebrige zu corrigiren; d. h. nun ist
der Grammatiker gezwungen, eine logische Anwendung der Re-
gel der Congruenz zu machen. Also die Congruenz-Regel und
das bestimmte Genus des Wortes tabula sind Verhältnisse, die
ausschließlich der Grammatik gehören, und sie mit ihresglei-
chen machen den Gegenstand der Grammatik, die Sprache aus.
In dem formalen Verfahren aber, in der Anwendung der sprach-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <div n="4">
              <p><pb facs="#f0258" n="220"/>
nicht logisch: nämlich ihr Gegenstand mit seinen Verhältnissen<lb/>
ist ihnen eigenthümlich; aber indem man diesen Gegenstand und<lb/>
diese Verhältnisse denkt, bemerkt der Logiker, daß sowohl der<lb/>
Sprachforscher nach logischen Gesetzen handelt, als auch, daß<lb/>
bei dem Verfahren der Sprache, ihre Elemente zu bilden und<lb/>
nach eigenthümlichen Gesetzen zusammenzufügen, logische Rück-<lb/>
sichten und Gesetze unbewußt gewaltet haben. Diese logischen<lb/>
Gesetze, welche die Sprache und der Sprachforscher, der Che-<lb/>
miker und Physiker und die Natur befolgen, sind die gemeinen<lb/>
logischen Gesetze, deren Darlegung der Sprach- und Natur-<lb/>
forscher voraussetzt, die er nicht erforscht, die nicht sein beson-<lb/>
derer Gegenstand sind.</p><lb/>
              <p>Nach allem, was vorangegangen ist, kann die allgemeine<lb/>
Scheidung der sprachlichen oder grammatischen Verhältnisse von<lb/>
den Verhältnissen des Denkens und der Logik nicht mehr un-<lb/>
gewiß, noch auch schwierig sein. Wir geben aber doch noch<lb/>
ein neues Beispiel. Es tritt jemand an eine runde Tafel und<lb/>
spricht: <hi rendition="#i">diese runde Tafel ist viereckig:</hi> so schweigt der Gram-<lb/>
matiker, vollständig befriedigt; der Logiker aber ruft: Unsinn!<lb/>
Jener spricht: <hi rendition="#i">dieser Tafel sind rund</hi>, oder <hi rendition="#i">hic tabulam sunt ro-<lb/>
tundum</hi>: der Logiker an sich versteht weder Deutsch, noch Latein<lb/>
und schweigt, der Grammatiker tadelt. Giebt man aber dem<lb/>
Logiker zu seinem allgemeinen logischen Maßstabe noch das<lb/>
besondere grammatische Gesetz der Congruenz, so würde auch<lb/>
er tadeln. Ein solcher Logiker, der zu den logischen Ge-<lb/>
setzen noch ein grammatisches hinzubringt, ist eben der Gram-<lb/>
matiker. Denn dieser ist, außerdem daß er Grammatiker<lb/>
ist, noch überdies Logiker, d. h. nach logischen Gesetzen<lb/>
denkend und beurtheilend; aber der Logiker ist nicht auch<lb/>
Grammatiker. Würde nun der obige Satz corrigirt: <hi rendition="#i">hoc tabu-<lb/>
lum est rotundum,</hi> so wäre der Logiker selbst mit Kenntniß der<lb/>
Congruenzregel befriedigt. Der Grammatiker aber hat eine fer-<lb/>
nere Kenntniß der Sprache und verbessert: <hi rendition="#i">tabula</hi>. Dies ge-<lb/>
nügt dem Logiker, um das Uebrige zu corrigiren; d. h. nun ist<lb/>
der Grammatiker gezwungen, eine logische Anwendung der Re-<lb/>
gel der Congruenz zu machen. Also die Congruenz-Regel und<lb/>
das bestimmte Genus des Wortes <hi rendition="#i">tabula</hi> sind Verhältnisse, die<lb/>
ausschließlich der Grammatik gehören, und sie mit ihresglei-<lb/>
chen machen den Gegenstand der Grammatik, die Sprache aus.<lb/>
In dem formalen Verfahren aber, in der Anwendung der sprach-<lb/></p>
            </div>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[220/0258] nicht logisch: nämlich ihr Gegenstand mit seinen Verhältnissen ist ihnen eigenthümlich; aber indem man diesen Gegenstand und diese Verhältnisse denkt, bemerkt der Logiker, daß sowohl der Sprachforscher nach logischen Gesetzen handelt, als auch, daß bei dem Verfahren der Sprache, ihre Elemente zu bilden und nach eigenthümlichen Gesetzen zusammenzufügen, logische Rück- sichten und Gesetze unbewußt gewaltet haben. Diese logischen Gesetze, welche die Sprache und der Sprachforscher, der Che- miker und Physiker und die Natur befolgen, sind die gemeinen logischen Gesetze, deren Darlegung der Sprach- und Natur- forscher voraussetzt, die er nicht erforscht, die nicht sein beson- derer Gegenstand sind. Nach allem, was vorangegangen ist, kann die allgemeine Scheidung der sprachlichen oder grammatischen Verhältnisse von den Verhältnissen des Denkens und der Logik nicht mehr un- gewiß, noch auch schwierig sein. Wir geben aber doch noch ein neues Beispiel. Es tritt jemand an eine runde Tafel und spricht: diese runde Tafel ist viereckig: so schweigt der Gram- matiker, vollständig befriedigt; der Logiker aber ruft: Unsinn! Jener spricht: dieser Tafel sind rund, oder hic tabulam sunt ro- tundum: der Logiker an sich versteht weder Deutsch, noch Latein und schweigt, der Grammatiker tadelt. Giebt man aber dem Logiker zu seinem allgemeinen logischen Maßstabe noch das besondere grammatische Gesetz der Congruenz, so würde auch er tadeln. Ein solcher Logiker, der zu den logischen Ge- setzen noch ein grammatisches hinzubringt, ist eben der Gram- matiker. Denn dieser ist, außerdem daß er Grammatiker ist, noch überdies Logiker, d. h. nach logischen Gesetzen denkend und beurtheilend; aber der Logiker ist nicht auch Grammatiker. Würde nun der obige Satz corrigirt: hoc tabu- lum est rotundum, so wäre der Logiker selbst mit Kenntniß der Congruenzregel befriedigt. Der Grammatiker aber hat eine fer- nere Kenntniß der Sprache und verbessert: tabula. Dies ge- nügt dem Logiker, um das Uebrige zu corrigiren; d. h. nun ist der Grammatiker gezwungen, eine logische Anwendung der Re- gel der Congruenz zu machen. Also die Congruenz-Regel und das bestimmte Genus des Wortes tabula sind Verhältnisse, die ausschließlich der Grammatik gehören, und sie mit ihresglei- chen machen den Gegenstand der Grammatik, die Sprache aus. In dem formalen Verfahren aber, in der Anwendung der sprach-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/steinthal_grammatik_1855
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/steinthal_grammatik_1855/258
Zitationshilfe: Steinthal, Heymann: Grammatik, Logik und Psychologie. Ihre Principien und ihr Verhältniss zu einander. Berlin, 1855, S. 220. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinthal_grammatik_1855/258>, abgerufen am 21.11.2024.