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Steinthal, Heymann: Grammatik, Logik und Psychologie. Ihre Principien und ihr Verhältniss zu einander. Berlin, 1855.

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Sterbliche sind Menschen, einige Wesen sind Menschen, -- end-
lich: es sind Menschen (sunt homines), oder wie wir zu sa-
gen pflegen: es giebt Menschen. Hier ist die Bedeutung der
Copula verändert; aber offenbar darum, weil sie nichts mehr
findet, woran sie das Prädicat knüpfen, unter dessen Voraus-
setzung sie es aufstellen könnte. Eben hiedurch wird sie das
Zeichen der unbedingten Aufstellung". Die Copula bleibt Co-
pula, und kommt sie in den Fall, kein Subject für ein Prädicat
zu finden, so würde sie eins andeuten, das der Logiker und
Grammatiker zu suchen haben. Die logische Copula bleibt
bloßes Zeichen der Verbindung, die grammatische ist dies und
Zeichen der Existenz. In obigen Beispielen wird aber auch
Herbarts Fehler klar. "Die Europäer sind Menschen" soll nach
Herbart kein Existentialurtheil sein, die Existenz der Euro-
päer ist hypothetisch. "Einige Wesen sind Menschen" ist aber
unzweifelhaft ein Existentialurtheil, wiewohl ein verstecktes. Die
Aussage der Existenz liegt im Subjecte Wesen. Dieser Satz
jedoch bleibt darum nicht minder hypothetisch; und das ganz
gleichbedeutende es sind Menschen sollte auf einmal aufhören
hypothetisch zu sein? die Copula sollte plötzlich ihre Natur
ändern?

Wir machen hier Herbart drei Vorwürfe: er hat erstlich
das Wesen und die Bedeutung des Wortes sind verkannt; er
hat ferner mit dem Satze: einige Wesen sind Menschen die
Natur des Satzes: die Europäer sind Menschen verdreht und
daraus ein Existentialurtheil gebildet, hat also schon hier den
Begriff des Seins einschleichen lassen, welcher nicht erst im
Satze: es sind Menschen auftritt, und hat folglich, drittens, das
Verhältniß dieser beiden Sätze zu einander verkannt. Dies
wollen wir beweisen.

Was bedeutet doch: es sind Menschen? Gesetzt ein schlecht
sehender Mann frage: was ist das dort für ein Busch? und sein
besser sehender Begleiter antworte: es sind Menschen! hierin
wird doch niemand ein Existentialurtheil sehen; sondern ein
ganz bestimmtes, aber noch unerkanntes, also ein Es, das was
du da siehst, ist das Subject. Nicht daß dieses Subject ist,
wird gesagt, sondern was es sei, d. h. es wird dem Subject,
das zunächst unbekannt ist, ein dasselbe erklärendes Prädicat
beigefügt. In diesem Falle ist sind reine Copula.

Jemand sieht wunderbare Gestalten und sagt sich: es sind

Sterbliche sind Menschen, einige Wesen sind Menschen, — end-
lich: es sind Menschen (sunt homines), oder wie wir zu sa-
gen pflegen: es giebt Menschen. Hier ist die Bedeutung der
Copula verändert; aber offenbar darum, weil sie nichts mehr
findet, woran sie das Prädicat knüpfen, unter dessen Voraus-
setzung sie es aufstellen könnte. Eben hiedurch wird sie das
Zeichen der unbedingten Aufstellung“. Die Copula bleibt Co-
pula, und kommt sie in den Fall, kein Subject für ein Prädicat
zu finden, so würde sie eins andeuten, das der Logiker und
Grammatiker zu suchen haben. Die logische Copula bleibt
bloßes Zeichen der Verbindung, die grammatische ist dies und
Zeichen der Existenz. In obigen Beispielen wird aber auch
Herbarts Fehler klar. „Die Europäer sind Menschen“ soll nach
Herbart kein Existentialurtheil sein, die Existenz der Euro-
päer ist hypothetisch. „Einige Wesen sind Menschen“ ist aber
unzweifelhaft ein Existentialurtheil, wiewohl ein verstecktes. Die
Aussage der Existenz liegt im Subjecte Wesen. Dieser Satz
jedoch bleibt darum nicht minder hypothetisch; und das ganz
gleichbedeutende es sind Menschen sollte auf einmal aufhören
hypothetisch zu sein? die Copula sollte plötzlich ihre Natur
ändern?

Wir machen hier Herbart drei Vorwürfe: er hat erstlich
das Wesen und die Bedeutung des Wortes sind verkannt; er
hat ferner mit dem Satze: einige Wesen sind Menschen die
Natur des Satzes: die Europäer sind Menschen verdreht und
daraus ein Existentialurtheil gebildet, hat also schon hier den
Begriff des Seins einschleichen lassen, welcher nicht erst im
Satze: es sind Menschen auftritt, und hat folglich, drittens, das
Verhältniß dieser beiden Sätze zu einander verkannt. Dies
wollen wir beweisen.

Was bedeutet doch: es sind Menschen? Gesetzt ein schlecht
sehender Mann frage: was ist das dort für ein Busch? und sein
besser sehender Begleiter antworte: es sind Menschen! hierin
wird doch niemand ein Existentialurtheil sehen; sondern ein
ganz bestimmtes, aber noch unerkanntes, also ein Es, das was
du da siehst, ist das Subject. Nicht daß dieses Subject ist,
wird gesagt, sondern was es sei, d. h. es wird dem Subject,
das zunächst unbekannt ist, ein dasselbe erklärendes Prädicat
beigefügt. In diesem Falle ist sind reine Copula.

Jemand sieht wunderbare Gestalten und sagt sich: es sind

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[207/0245] Sterbliche sind Menschen, einige Wesen sind Menschen, — end- lich: es sind Menschen (sunt homines), oder wie wir zu sa- gen pflegen: es giebt Menschen. Hier ist die Bedeutung der Copula verändert; aber offenbar darum, weil sie nichts mehr findet, woran sie das Prädicat knüpfen, unter dessen Voraus- setzung sie es aufstellen könnte. Eben hiedurch wird sie das Zeichen der unbedingten Aufstellung“. Die Copula bleibt Co- pula, und kommt sie in den Fall, kein Subject für ein Prädicat zu finden, so würde sie eins andeuten, das der Logiker und Grammatiker zu suchen haben. Die logische Copula bleibt bloßes Zeichen der Verbindung, die grammatische ist dies und Zeichen der Existenz. In obigen Beispielen wird aber auch Herbarts Fehler klar. „Die Europäer sind Menschen“ soll nach Herbart kein Existentialurtheil sein, die Existenz der Euro- päer ist hypothetisch. „Einige Wesen sind Menschen“ ist aber unzweifelhaft ein Existentialurtheil, wiewohl ein verstecktes. Die Aussage der Existenz liegt im Subjecte Wesen. Dieser Satz jedoch bleibt darum nicht minder hypothetisch; und das ganz gleichbedeutende es sind Menschen sollte auf einmal aufhören hypothetisch zu sein? die Copula sollte plötzlich ihre Natur ändern? Wir machen hier Herbart drei Vorwürfe: er hat erstlich das Wesen und die Bedeutung des Wortes sind verkannt; er hat ferner mit dem Satze: einige Wesen sind Menschen die Natur des Satzes: die Europäer sind Menschen verdreht und daraus ein Existentialurtheil gebildet, hat also schon hier den Begriff des Seins einschleichen lassen, welcher nicht erst im Satze: es sind Menschen auftritt, und hat folglich, drittens, das Verhältniß dieser beiden Sätze zu einander verkannt. Dies wollen wir beweisen. Was bedeutet doch: es sind Menschen? Gesetzt ein schlecht sehender Mann frage: was ist das dort für ein Busch? und sein besser sehender Begleiter antworte: es sind Menschen! hierin wird doch niemand ein Existentialurtheil sehen; sondern ein ganz bestimmtes, aber noch unerkanntes, also ein Es, das was du da siehst, ist das Subject. Nicht daß dieses Subject ist, wird gesagt, sondern was es sei, d. h. es wird dem Subject, das zunächst unbekannt ist, ein dasselbe erklärendes Prädicat beigefügt. In diesem Falle ist sind reine Copula. Jemand sieht wunderbare Gestalten und sagt sich: es sind

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Zitationshilfe: Steinthal, Heymann: Grammatik, Logik und Psychologie. Ihre Principien und ihr Verhältniss zu einander. Berlin, 1855, S. 207. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinthal_grammatik_1855/245>, abgerufen am 03.05.2024.