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Steinthal, Heymann: Grammatik, Logik und Psychologie. Ihre Principien und ihr Verhältniss zu einander. Berlin, 1855.

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Ist also das Urtheil das Abbild der realen Thätig-
keit, so ist der Satz
-- gar nicht das Abbild des Urtheils,
sondern -- das Abbild des psychologischen Processes,
in welchem das Urtheil sich bildete.

Wie eng sich bei Trendelenburg der Begriff und das Ur-
theil an die Realität schließen, wie ernstlich er ihre Einheit faßt,
mag aus folgender Stelle hervorgehen (S. 144): "Jede Substanz
empfängt das Maß und die Gewähr ihrer Selbständigkeit und
ihrer Bedeutung in dem Grunde des Begriffs, jeder Begriff das
Reich seiner Macht in der Substanz. Jede Substanz sucht ihren
Geist im Begriff, jeder Begriff seinen Leib in der Substanz."
Man sehe bei diesem Satze von der Methode ab, nach welcher
er gewonnen ist -- denn Trendelenburgs Methode ist allerdings
fern von der Hegelschen Dialektik --; man setze statt des Aus-
drucks Substanz das Hegelsche Wort Object: und Hegel
wird diesen Satz Trendelenburgs unterschreiben*); d. h. die Ein-
heit des Hegelschen Begriffs und Objects ist gerade dieselbe, wie
die der Substanz und des Begriffs bei Trendelenburg. Er fährt
nun fort: "Auf ähnliche Weise bezieht sich das logische Urtheil
immer auf eine reale Thätigkeit oder auf die Thätigkeit einer
Substanz, und es kann ohne dies Gegenbild im Wirklichen nicht
begriffen werden. Man hat öfter versucht, das Urtheil rein lo-
gisch zu definiren, indem man sich innerhalb der Welt der Be-
griffe hält; aber eine solche Erklärung genügt nicht. Man nennt
etwa das Urtheil eine Verbindung von Begriffen. Die Bestim-
mung umfaßt jedoch zu viel. Begriffe können -- nach dem
grammatischen Ausdrucke -- prädicativ (der Baum blüht), attri-
butiv (der blühende Baum) und objectiv (blüht herrlich) ver-
bunden sein. Das Urtheil als Urtheil zeigt sich nur in der er-
sten Weise. Daher hat man weiter das Resultat der Verbin-
dung (der blühende Baum) und den Act selbst (der Baum blüht)
unterschieden, und das Urtheil den Act dieser Verknüpfung ge-
nannt. Aber auch diese Aushülfe reicht nicht zu. Denn der
Act, in welchem das Denken Begriffe verknüpft, ist
momentan; der im Urtheil ausgedrückte Act der

*) Mit der Vertauschung des Ausdrucks Substanz gegen Object würde
Hegel den Vorwurf aussprechen, daß Trendelenburgs Substanz nicht die des
Spinoza, sondern das Hegelsche Object; die Substanz Spinozas aber der un-
vollkommen erkannte Begriff Hegels sei. Daß aber Hegel so sprechen würde,
weiß Trendelenburg.
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Ist also das Urtheil das Abbild der realen Thätig-
keit, so ist der Satz
— gar nicht das Abbild des Urtheils,
sondern — das Abbild des psychologischen Processes,
in welchem das Urtheil sich bildete.

Wie eng sich bei Trendelenburg der Begriff und das Ur-
theil an die Realität schließen, wie ernstlich er ihre Einheit faßt,
mag aus folgender Stelle hervorgehen (S. 144): „Jede Substanz
empfängt das Maß und die Gewähr ihrer Selbständigkeit und
ihrer Bedeutung in dem Grunde des Begriffs, jeder Begriff das
Reich seiner Macht in der Substanz. Jede Substanz sucht ihren
Geist im Begriff, jeder Begriff seinen Leib in der Substanz.“
Man sehe bei diesem Satze von der Methode ab, nach welcher
er gewonnen ist — denn Trendelenburgs Methode ist allerdings
fern von der Hegelschen Dialektik —; man setze statt des Aus-
drucks Substanz das Hegelsche Wort Object: und Hegel
wird diesen Satz Trendelenburgs unterschreiben*); d. h. die Ein-
heit des Hegelschen Begriffs und Objects ist gerade dieselbe, wie
die der Substanz und des Begriffs bei Trendelenburg. Er fährt
nun fort: „Auf ähnliche Weise bezieht sich das logische Urtheil
immer auf eine reale Thätigkeit oder auf die Thätigkeit einer
Substanz, und es kann ohne dies Gegenbild im Wirklichen nicht
begriffen werden. Man hat öfter versucht, das Urtheil rein lo-
gisch zu definiren, indem man sich innerhalb der Welt der Be-
griffe hält; aber eine solche Erklärung genügt nicht. Man nennt
etwa das Urtheil eine Verbindung von Begriffen. Die Bestim-
mung umfaßt jedoch zu viel. Begriffe können — nach dem
grammatischen Ausdrucke — prädicativ (der Baum blüht), attri-
butiv (der blühende Baum) und objectiv (blüht herrlich) ver-
bunden sein. Das Urtheil als Urtheil zeigt sich nur in der er-
sten Weise. Daher hat man weiter das Resultat der Verbin-
dung (der blühende Baum) und den Act selbst (der Baum blüht)
unterschieden, und das Urtheil den Act dieser Verknüpfung ge-
nannt. Aber auch diese Aushülfe reicht nicht zu. Denn der
Act, in welchem das Denken Begriffe verknüpft, ist
momentan; der im Urtheil ausgedrückte Act der

*) Mit der Vertauschung des Ausdrucks Substanz gegen Object würde
Hegel den Vorwurf aussprechen, daß Trendelenburgs Substanz nicht die des
Spinoza, sondern das Hegelsche Object; die Substanz Spinozas aber der un-
vollkommen erkannte Begriff Hegels sei. Daß aber Hegel so sprechen würde,
weiß Trendelenburg.
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[195/0233] Ist also das Urtheil das Abbild der realen Thätig- keit, so ist der Satz — gar nicht das Abbild des Urtheils, sondern — das Abbild des psychologischen Processes, in welchem das Urtheil sich bildete. Wie eng sich bei Trendelenburg der Begriff und das Ur- theil an die Realität schließen, wie ernstlich er ihre Einheit faßt, mag aus folgender Stelle hervorgehen (S. 144): „Jede Substanz empfängt das Maß und die Gewähr ihrer Selbständigkeit und ihrer Bedeutung in dem Grunde des Begriffs, jeder Begriff das Reich seiner Macht in der Substanz. Jede Substanz sucht ihren Geist im Begriff, jeder Begriff seinen Leib in der Substanz.“ Man sehe bei diesem Satze von der Methode ab, nach welcher er gewonnen ist — denn Trendelenburgs Methode ist allerdings fern von der Hegelschen Dialektik —; man setze statt des Aus- drucks Substanz das Hegelsche Wort Object: und Hegel wird diesen Satz Trendelenburgs unterschreiben *); d. h. die Ein- heit des Hegelschen Begriffs und Objects ist gerade dieselbe, wie die der Substanz und des Begriffs bei Trendelenburg. Er fährt nun fort: „Auf ähnliche Weise bezieht sich das logische Urtheil immer auf eine reale Thätigkeit oder auf die Thätigkeit einer Substanz, und es kann ohne dies Gegenbild im Wirklichen nicht begriffen werden. Man hat öfter versucht, das Urtheil rein lo- gisch zu definiren, indem man sich innerhalb der Welt der Be- griffe hält; aber eine solche Erklärung genügt nicht. Man nennt etwa das Urtheil eine Verbindung von Begriffen. Die Bestim- mung umfaßt jedoch zu viel. Begriffe können — nach dem grammatischen Ausdrucke — prädicativ (der Baum blüht), attri- butiv (der blühende Baum) und objectiv (blüht herrlich) ver- bunden sein. Das Urtheil als Urtheil zeigt sich nur in der er- sten Weise. Daher hat man weiter das Resultat der Verbin- dung (der blühende Baum) und den Act selbst (der Baum blüht) unterschieden, und das Urtheil den Act dieser Verknüpfung ge- nannt. Aber auch diese Aushülfe reicht nicht zu. Denn der Act, in welchem das Denken Begriffe verknüpft, ist momentan; der im Urtheil ausgedrückte Act der *) Mit der Vertauschung des Ausdrucks Substanz gegen Object würde Hegel den Vorwurf aussprechen, daß Trendelenburgs Substanz nicht die des Spinoza, sondern das Hegelsche Object; die Substanz Spinozas aber der un- vollkommen erkannte Begriff Hegels sei. Daß aber Hegel so sprechen würde, weiß Trendelenburg. 13*

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Zitationshilfe: Steinthal, Heymann: Grammatik, Logik und Psychologie. Ihre Principien und ihr Verhältniss zu einander. Berlin, 1855, S. 195. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinthal_grammatik_1855/233>, abgerufen am 21.11.2024.