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Steinthal, Heymann: Grammatik, Logik und Psychologie. Ihre Principien und ihr Verhältniss zu einander. Berlin, 1855.

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son identisch sind: so sind auch Grammatik und Logik eben so
wenig identisch, als Physiologie und Psychologie, Chemie und
Physik, Aesthetik und Historie identisch sind. Dies Ergebniß
steht also schon fest; wir haben es nur weiter aus einander zu
legen. Wir haben auch schon oben bei der Kritik Beckers auf
die Thatsache hingewiesen, daß eine Grammatik außer und ne-
ben der Logik existirt, und haben daraus geschlossen, daß sie
folglich doch verschieden an Wesen und Inhalt sein müßten.
Wir haben aber jetzt diese Thatsache, die wir in so fern be-
greifen gelernt haben, als sie nothwendig aus der Verschieden-
heit von Sprechen und Denken erfolgt, des Weitern darzulegen.
Wir können der Reihe nach alle Kategorien der Grammatik
durchgehen und ihre unlogische Natur darthun.

§. 64. Wort und Begriff verschieden.

Das Wort ist nicht das Aequivalent des wirklichen Din-
ges: das hat der Sophist Gorgias schon gewußt. Allerdings,
sagt Becker, aber das Wort ist das Aequivalent des Begriffs,
der lautgewordene Begriff selbst. Dann wäre aber, entgegnen
wir, die Synonymie unmöglich, d. h. es könnten nicht zur Be-
zeichnung desselben Begriffs mehrere durchaus verschiedene Wör-
ter vorhanden sein, deren jedes denselben Begriff eben so gut
bezeichnet wie das andere -- der alte Einwand des Demokrit
gegen die Herakliteer. Denn es ist ja ganz einerlei, ob man
mit diesen behauptet, die Wörter seien Abbilder der Dinge,
oder ob man mit Becker das Wort für den verlautlichten Begriff
nimmt: jener Einwand bleibt unumstößlich; denn jedem Dinge
entspricht nur ein Begriff davon, und dem einen Begriffe nur
eine lautliche Erscheinung desselben. Es ist unbegreiflich, wie
derselbe Begriff in organischer Weise in zwei verschiedenen
Lautformen soll erscheinen können -- wenn man nicht auch
hier den deus ex machina, die organische Freiheit, zur Hülfe
rufen will, wobei man aber eben den Widerspruch anerkennt.

Das Wort ist nun aber eben so wenig der Begriff selbst,
wie es das Ding selbst ist. Wenn Cicero virtus sprach, so
drückte dies Wort bloß Mannheit aus; aber war das sein Be-
griff, den er mit dem Worte virtus bezeichnete? Verstehen un-
sere Tugendlehrer unter dem Begriffe Tugend das, was das Wort
Tugend ausdrückt: Tauglichkeit? Wozu die Beispiele häufen,
da es sich hier um die längst bekannte Thatsache handelt, daß
die Etymologie der Wörter nicht vollständig und genau das

son identisch sind: so sind auch Grammatik und Logik eben so
wenig identisch, als Physiologie und Psychologie, Chemie und
Physik, Aesthetik und Historie identisch sind. Dies Ergebniß
steht also schon fest; wir haben es nur weiter aus einander zu
legen. Wir haben auch schon oben bei der Kritik Beckers auf
die Thatsache hingewiesen, daß eine Grammatik außer und ne-
ben der Logik existirt, und haben daraus geschlossen, daß sie
folglich doch verschieden an Wesen und Inhalt sein müßten.
Wir haben aber jetzt diese Thatsache, die wir in so fern be-
greifen gelernt haben, als sie nothwendig aus der Verschieden-
heit von Sprechen und Denken erfolgt, des Weitern darzulegen.
Wir können der Reihe nach alle Kategorien der Grammatik
durchgehen und ihre unlogische Natur darthun.

§. 64. Wort und Begriff verschieden.

Das Wort ist nicht das Aequivalent des wirklichen Din-
ges: das hat der Sophist Gorgias schon gewußt. Allerdings,
sagt Becker, aber das Wort ist das Aequivalent des Begriffs,
der lautgewordene Begriff selbst. Dann wäre aber, entgegnen
wir, die Synonymie unmöglich, d. h. es könnten nicht zur Be-
zeichnung desselben Begriffs mehrere durchaus verschiedene Wör-
ter vorhanden sein, deren jedes denselben Begriff eben so gut
bezeichnet wie das andere — der alte Einwand des Demokrit
gegen die Herakliteer. Denn es ist ja ganz einerlei, ob man
mit diesen behauptet, die Wörter seien Abbilder der Dinge,
oder ob man mit Becker das Wort für den verlautlichten Begriff
nimmt: jener Einwand bleibt unumstößlich; denn jedem Dinge
entspricht nur ein Begriff davon, und dem einen Begriffe nur
eine lautliche Erscheinung desselben. Es ist unbegreiflich, wie
derselbe Begriff in organischer Weise in zwei verschiedenen
Lautformen soll erscheinen können — wenn man nicht auch
hier den deus ex machina, die organische Freiheit, zur Hülfe
rufen will, wobei man aber eben den Widerspruch anerkennt.

Das Wort ist nun aber eben so wenig der Begriff selbst,
wie es das Ding selbst ist. Wenn Cicero virtus sprach, so
drückte dies Wort bloß Mannheit aus; aber war das sein Be-
griff, den er mit dem Worte virtus bezeichnete? Verstehen un-
sere Tugendlehrer unter dem Begriffe Tugend das, was das Wort
Tugend ausdrückt: Tauglichkeit? Wozu die Beispiele häufen,
da es sich hier um die längst bekannte Thatsache handelt, daß
die Etymologie der Wörter nicht vollständig und genau das

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[164/0202] son identisch sind: so sind auch Grammatik und Logik eben so wenig identisch, als Physiologie und Psychologie, Chemie und Physik, Aesthetik und Historie identisch sind. Dies Ergebniß steht also schon fest; wir haben es nur weiter aus einander zu legen. Wir haben auch schon oben bei der Kritik Beckers auf die Thatsache hingewiesen, daß eine Grammatik außer und ne- ben der Logik existirt, und haben daraus geschlossen, daß sie folglich doch verschieden an Wesen und Inhalt sein müßten. Wir haben aber jetzt diese Thatsache, die wir in so fern be- greifen gelernt haben, als sie nothwendig aus der Verschieden- heit von Sprechen und Denken erfolgt, des Weitern darzulegen. Wir können der Reihe nach alle Kategorien der Grammatik durchgehen und ihre unlogische Natur darthun. §. 64. Wort und Begriff verschieden. Das Wort ist nicht das Aequivalent des wirklichen Din- ges: das hat der Sophist Gorgias schon gewußt. Allerdings, sagt Becker, aber das Wort ist das Aequivalent des Begriffs, der lautgewordene Begriff selbst. Dann wäre aber, entgegnen wir, die Synonymie unmöglich, d. h. es könnten nicht zur Be- zeichnung desselben Begriffs mehrere durchaus verschiedene Wör- ter vorhanden sein, deren jedes denselben Begriff eben so gut bezeichnet wie das andere — der alte Einwand des Demokrit gegen die Herakliteer. Denn es ist ja ganz einerlei, ob man mit diesen behauptet, die Wörter seien Abbilder der Dinge, oder ob man mit Becker das Wort für den verlautlichten Begriff nimmt: jener Einwand bleibt unumstößlich; denn jedem Dinge entspricht nur ein Begriff davon, und dem einen Begriffe nur eine lautliche Erscheinung desselben. Es ist unbegreiflich, wie derselbe Begriff in organischer Weise in zwei verschiedenen Lautformen soll erscheinen können — wenn man nicht auch hier den deus ex machina, die organische Freiheit, zur Hülfe rufen will, wobei man aber eben den Widerspruch anerkennt. Das Wort ist nun aber eben so wenig der Begriff selbst, wie es das Ding selbst ist. Wenn Cicero virtus sprach, so drückte dies Wort bloß Mannheit aus; aber war das sein Be- griff, den er mit dem Worte virtus bezeichnete? Verstehen un- sere Tugendlehrer unter dem Begriffe Tugend das, was das Wort Tugend ausdrückt: Tauglichkeit? Wozu die Beispiele häufen, da es sich hier um die längst bekannte Thatsache handelt, daß die Etymologie der Wörter nicht vollständig und genau das

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Zitationshilfe: Steinthal, Heymann: Grammatik, Logik und Psychologie. Ihre Principien und ihr Verhältniss zu einander. Berlin, 1855, S. 164. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinthal_grammatik_1855/202>, abgerufen am 23.11.2024.