Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Steinthal, Heymann: Grammatik, Logik und Psychologie. Ihre Principien und ihr Verhältniss zu einander. Berlin, 1855.

Bild:
<< vorherige Seite

haltlose Stelle, wie die in jener Abhandlung ist, zu berufen, da
Humboldt so viel gethan hat, um sie näher zu bestimmen, sogar
zu verbessern.

Was bedeutet nun in der Einleitung organisch? Zunächst:
was die Sprachorgane betrifft. So wird z. B. S. LXXXIX. ein
Gesetz organisch genannt und erklärt als: "aus den Sprach-
werkzeugen und ihrem Zusammenwirken entstehend, von der
Leichtigkeit und Schwierigkeit der Aussprache abhängend, und
daher der natürlichen Verwandtschaft der Laute folgend", und
wird somit dem geistigen Principe der Sprache entgegenge-
setzt. Dieser Gegensatz ist aber so groß, "daß, wenn das gei-
stige Princip in der Kraft seiner Einwirkung nachläßt, das
organische das Uebergewicht gewinnt, so wie im thierischen
Körper beim Erlöschen des Lebensprincips die chemischen Affi-
nitäten die Herrschaft erhalten." Organisch bedeutet also hier
geradezu das Unorganische der Sprache, oder vielmehr nur über-
haupt das eigentliche Stoffelement derselben, welches je nach
der Combination der Atome organisch oder unorganisch ist. So
wenig in den möglichen Verbindungen des Sauerstoffs, abstract
oder an sich genommen, schon etwas Organisches oder Unorga-
nisches liegt, ebenso wenig in den möglichen Uebergängen und
Verwandlungen eines Lautes. Erst wenn ein organisches Princip
die Verbindung des Sauerstoffs mit anderen Elementen leitet,
entsteht ein organisches Erzeugniß; und eben so in der Sprache.

Es ist nur ein geringer Fortschritt, wenn organisch aus die-
ser Gleichgültigkeit gegen das Princip herausgehoben wird, und
nicht mehr bloß überhaupt das Stoffelement der Sprache, son-
dern die im Dienste der Sprache zweckmäßig geschaffene Verbin-
dung der Sprachelemente, der Laute, bezeichnet. Dies ist die häu-
figste, geradezu gewöhnliche Bedeutung des Wortes bei Humboldt.
So spricht er von organischem Sprachbau, organischer Structur,
organischem Sprachgebäude (S. CVI.) und versteht darunter "die
Sprache an sich" im Gegensatz zum ausgesprochenen Gedanken,
Wortvorrath und grammatische Formen. Ebenso bedeutet "or-
ganisiren" bauen, ordnen, formen, mit welchen Wörtern es wech-
selt; und da hierbei immer die Voraussetzung gemacht wird,
daß dies Bauen und Formen den Zwecken der Sprache gemäß
geschehe, so bedeutet organisch auch wohl so viel wie: gut, dem
wahren, idealen Wesen der Sprache angemessen, und man fin-
det die Ausdrücke: organisch richtig, und im Gegentheil: nicht

haltlose Stelle, wie die in jener Abhandlung ist, zu berufen, da
Humboldt so viel gethan hat, um sie näher zu bestimmen, sogar
zu verbessern.

Was bedeutet nun in der Einleitung organisch? Zunächst:
was die Sprachorgane betrifft. So wird z. B. S. LXXXIX. ein
Gesetz organisch genannt und erklärt als: „aus den Sprach-
werkzeugen und ihrem Zusammenwirken entstehend, von der
Leichtigkeit und Schwierigkeit der Aussprache abhängend, und
daher der natürlichen Verwandtschaft der Laute folgend“, und
wird somit dem geistigen Principe der Sprache entgegenge-
setzt. Dieser Gegensatz ist aber so groß, „daß, wenn das gei-
stige Princip in der Kraft seiner Einwirkung nachläßt, das
organische das Uebergewicht gewinnt, so wie im thierischen
Körper beim Erlöschen des Lebensprincips die chemischen Affi-
nitäten die Herrschaft erhalten.“ Organisch bedeutet also hier
geradezu das Unorganische der Sprache, oder vielmehr nur über-
haupt das eigentliche Stoffelement derselben, welches je nach
der Combination der Atome organisch oder unorganisch ist. So
wenig in den möglichen Verbindungen des Sauerstoffs, abstract
oder an sich genommen, schon etwas Organisches oder Unorga-
nisches liegt, ebenso wenig in den möglichen Uebergängen und
Verwandlungen eines Lautes. Erst wenn ein organisches Princip
die Verbindung des Sauerstoffs mit anderen Elementen leitet,
entsteht ein organisches Erzeugniß; und eben so in der Sprache.

Es ist nur ein geringer Fortschritt, wenn organisch aus die-
ser Gleichgültigkeit gegen das Princip herausgehoben wird, und
nicht mehr bloß überhaupt das Stoffelement der Sprache, son-
dern die im Dienste der Sprache zweckmäßig geschaffene Verbin-
dung der Sprachelemente, der Laute, bezeichnet. Dies ist die häu-
figste, geradezu gewöhnliche Bedeutung des Wortes bei Humboldt.
So spricht er von organischem Sprachbau, organischer Structur,
organischem Sprachgebäude (S. CVI.) und versteht darunter „die
Sprache an sich“ im Gegensatz zum ausgesprochenen Gedanken,
Wortvorrath und grammatische Formen. Ebenso bedeutet „or-
ganisiren“ bauen, ordnen, formen, mit welchen Wörtern es wech-
selt; und da hierbei immer die Voraussetzung gemacht wird,
daß dies Bauen und Formen den Zwecken der Sprache gemäß
geschehe, so bedeutet organisch auch wohl so viel wie: gut, dem
wahren, idealen Wesen der Sprache angemessen, und man fin-
det die Ausdrücke: organisch richtig, und im Gegentheil: nicht

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0166" n="128"/>
haltlose Stelle, wie die in jener Abhandlung ist, zu berufen, da<lb/>
Humboldt so viel gethan hat, um sie näher zu bestimmen, sogar<lb/>
zu verbessern.</p><lb/>
            <p>Was bedeutet nun in der Einleitung <hi rendition="#g">organisch?</hi> Zunächst:<lb/>
was die Sprachorgane betrifft. So wird z. B. S. LXXXIX. ein<lb/>
Gesetz <hi rendition="#g">organisch</hi> genannt und erklärt als: &#x201E;aus den Sprach-<lb/>
werkzeugen und ihrem Zusammenwirken entstehend, von der<lb/>
Leichtigkeit und Schwierigkeit der Aussprache abhängend, und<lb/>
daher der natürlichen Verwandtschaft der Laute folgend&#x201C;, und<lb/>
wird somit dem <hi rendition="#g">geistigen</hi> Principe der Sprache entgegenge-<lb/>
setzt. Dieser Gegensatz ist aber so groß, &#x201E;daß, wenn das gei-<lb/>
stige Princip in der Kraft seiner Einwirkung nachläßt, das<lb/>
organische das Uebergewicht gewinnt, so wie im thierischen<lb/>
Körper beim Erlöschen des Lebensprincips die chemischen Affi-<lb/>
nitäten die Herrschaft erhalten.&#x201C; Organisch bedeutet also hier<lb/>
geradezu das Unorganische der Sprache, oder vielmehr nur über-<lb/>
haupt das eigentliche Stoffelement derselben, welches je nach<lb/>
der Combination der Atome organisch oder unorganisch ist. So<lb/>
wenig in den möglichen Verbindungen des Sauerstoffs, abstract<lb/>
oder an sich genommen, schon etwas Organisches oder Unorga-<lb/>
nisches liegt, ebenso wenig in den möglichen Uebergängen und<lb/>
Verwandlungen eines Lautes. Erst wenn ein organisches Princip<lb/>
die Verbindung des Sauerstoffs mit anderen Elementen leitet,<lb/>
entsteht ein organisches Erzeugniß; und eben so in der Sprache.</p><lb/>
            <p>Es ist nur ein geringer Fortschritt, wenn <hi rendition="#g">organisch</hi> aus die-<lb/>
ser Gleichgültigkeit gegen das Princip herausgehoben wird, und<lb/>
nicht mehr bloß überhaupt das Stoffelement der Sprache, son-<lb/>
dern die im Dienste der Sprache zweckmäßig geschaffene Verbin-<lb/>
dung der Sprachelemente, der Laute, bezeichnet. Dies ist die häu-<lb/>
figste, geradezu gewöhnliche Bedeutung des Wortes bei Humboldt.<lb/>
So spricht er von organischem Sprachbau, organischer Structur,<lb/>
organischem Sprachgebäude (S. CVI.) und versteht darunter &#x201E;die<lb/>
Sprache an sich&#x201C; im Gegensatz zum ausgesprochenen Gedanken,<lb/>
Wortvorrath und grammatische Formen. Ebenso bedeutet &#x201E;or-<lb/>
ganisiren&#x201C; bauen, ordnen, formen, mit welchen Wörtern es wech-<lb/>
selt; und da hierbei immer die Voraussetzung gemacht wird,<lb/>
daß dies Bauen und Formen den Zwecken der Sprache gemäß<lb/>
geschehe, so bedeutet organisch auch wohl so viel wie: gut, dem<lb/>
wahren, idealen Wesen der Sprache angemessen, und man fin-<lb/>
det die Ausdrücke: organisch richtig, und im Gegentheil: nicht<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[128/0166] haltlose Stelle, wie die in jener Abhandlung ist, zu berufen, da Humboldt so viel gethan hat, um sie näher zu bestimmen, sogar zu verbessern. Was bedeutet nun in der Einleitung organisch? Zunächst: was die Sprachorgane betrifft. So wird z. B. S. LXXXIX. ein Gesetz organisch genannt und erklärt als: „aus den Sprach- werkzeugen und ihrem Zusammenwirken entstehend, von der Leichtigkeit und Schwierigkeit der Aussprache abhängend, und daher der natürlichen Verwandtschaft der Laute folgend“, und wird somit dem geistigen Principe der Sprache entgegenge- setzt. Dieser Gegensatz ist aber so groß, „daß, wenn das gei- stige Princip in der Kraft seiner Einwirkung nachläßt, das organische das Uebergewicht gewinnt, so wie im thierischen Körper beim Erlöschen des Lebensprincips die chemischen Affi- nitäten die Herrschaft erhalten.“ Organisch bedeutet also hier geradezu das Unorganische der Sprache, oder vielmehr nur über- haupt das eigentliche Stoffelement derselben, welches je nach der Combination der Atome organisch oder unorganisch ist. So wenig in den möglichen Verbindungen des Sauerstoffs, abstract oder an sich genommen, schon etwas Organisches oder Unorga- nisches liegt, ebenso wenig in den möglichen Uebergängen und Verwandlungen eines Lautes. Erst wenn ein organisches Princip die Verbindung des Sauerstoffs mit anderen Elementen leitet, entsteht ein organisches Erzeugniß; und eben so in der Sprache. Es ist nur ein geringer Fortschritt, wenn organisch aus die- ser Gleichgültigkeit gegen das Princip herausgehoben wird, und nicht mehr bloß überhaupt das Stoffelement der Sprache, son- dern die im Dienste der Sprache zweckmäßig geschaffene Verbin- dung der Sprachelemente, der Laute, bezeichnet. Dies ist die häu- figste, geradezu gewöhnliche Bedeutung des Wortes bei Humboldt. So spricht er von organischem Sprachbau, organischer Structur, organischem Sprachgebäude (S. CVI.) und versteht darunter „die Sprache an sich“ im Gegensatz zum ausgesprochenen Gedanken, Wortvorrath und grammatische Formen. Ebenso bedeutet „or- ganisiren“ bauen, ordnen, formen, mit welchen Wörtern es wech- selt; und da hierbei immer die Voraussetzung gemacht wird, daß dies Bauen und Formen den Zwecken der Sprache gemäß geschehe, so bedeutet organisch auch wohl so viel wie: gut, dem wahren, idealen Wesen der Sprache angemessen, und man fin- det die Ausdrücke: organisch richtig, und im Gegentheil: nicht

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/steinthal_grammatik_1855
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/steinthal_grammatik_1855/166
Zitationshilfe: Steinthal, Heymann: Grammatik, Logik und Psychologie. Ihre Principien und ihr Verhältniss zu einander. Berlin, 1855, S. 128. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinthal_grammatik_1855/166>, abgerufen am 23.11.2024.