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Steinthal, Heymann: Grammatik, Logik und Psychologie. Ihre Principien und ihr Verhältniss zu einander. Berlin, 1855.

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kann. Hier heben wir aber diese Punkte stark hervor, um dar-
auf hinzuweisen: wenn die Sprache die Macht hat, sich der
Logik entgegenzustellen, etwas anderes als Logisches zu geben,
sogar der Logik Widersprechendes, so kann sie dies doch wohl
nur -- wie wenigstens zu vermuthen steht --, weil in ihr ein
eigenthümliches Leben webt, eine selbständige Kraft herrscht,
die keinen Herrn anerkennt. Wäre die Sprache der organisch
verleiblichte Gedanke, im Sinne der logischen Grammatik, wäre
die Grammatik die in Lautformen organisch ausgeprägte Logik,
so wäre unbegreiflich, wie beide sich nicht vollständig decken.
Die Sprache zeigt aber, an der Logik gemessen, bald Lücken,
bald Ueberfluß, bald Verschiedenes, bald Widerspruch. Also
-- ich kann nicht anders schließen -- muß das vorausgesetzte
Verhältniß zwischen Grammatik und Logik falsch sein.

Becker versichert uns in der Vorrede (S. XIV), daß, wenn
er "von der Logik der Sprache redet, nicht das logische System
irgend einer Schule gemeint ist. Er ist nirgends davon ausge-
gangen, Anschauungs- und Denkformen in der Sprache auffin-
den zu wollen, sondern hat die vorgefundenen Sprachformen zu-
nächst immer nach ihrer nächsten Bedeutung aufgefaßt und zu-
sammengestellt; und wenn sich die größeren Gruppen, die auf
diese Weise entstanden waren, zuletzt als von wenigen Gesetzen
der Gedankenentwickelung beherrscht zeigten, so war das ein
Resultat, das ihn selbst oft wunderbar überraschte." Das wol-
len wir ihm alles gern zugestehen. Nur finden wir in seiner
"wunderbaren Ueberraschung" das Geständniß, daß er ein schlech-
ter Psycholog ist, der nicht begreift, wie der Mensch findet, was
er will, ohne zu wissen, daß er bloß findet, weil er will; -- wir
sehen hierin ferner, daß er ein schlechter Kritiker ist, der nicht
weiß, daß auch Fehler eine Uebereinstimmung zeigen, beson-
ders wenn man nicht genau, dialektisch scharf hinsieht; -- wir
sehen auch seinen Mangel an Kritik offen eingestanden in dem
Geständniß, daß er "die vorgefundenen Sprachformen zunächst
immer nach ihrer nächsten Bedeutung aufgefaßt hat"; denn wer
sagt ihm, daß die nächste Bedeutung die wahre sei? -- end-
lich aber ist es sehr gleichgültig, welche Logik man in der
Sprache findet, ob die Logik dieser oder jener Schule oder
überhaupt die Logik einer Schule; und ohne zu fragen, ob es
eine Logik giebt, die nicht einer Schule angehörte, und wär's auch

kann. Hier heben wir aber diese Punkte stark hervor, um dar-
auf hinzuweisen: wenn die Sprache die Macht hat, sich der
Logik entgegenzustellen, etwas anderes als Logisches zu geben,
sogar der Logik Widersprechendes, so kann sie dies doch wohl
nur — wie wenigstens zu vermuthen steht —, weil in ihr ein
eigenthümliches Leben webt, eine selbständige Kraft herrscht,
die keinen Herrn anerkennt. Wäre die Sprache der organisch
verleiblichte Gedanke, im Sinne der logischen Grammatik, wäre
die Grammatik die in Lautformen organisch ausgeprägte Logik,
so wäre unbegreiflich, wie beide sich nicht vollständig decken.
Die Sprache zeigt aber, an der Logik gemessen, bald Lücken,
bald Ueberfluß, bald Verschiedenes, bald Widerspruch. Also
— ich kann nicht anders schließen — muß das vorausgesetzte
Verhältniß zwischen Grammatik und Logik falsch sein.

Becker versichert uns in der Vorrede (S. XIV), daß, wenn
er „von der Logik der Sprache redet, nicht das logische System
irgend einer Schule gemeint ist. Er ist nirgends davon ausge-
gangen, Anschauungs- und Denkformen in der Sprache auffin-
den zu wollen, sondern hat die vorgefundenen Sprachformen zu-
nächst immer nach ihrer nächsten Bedeutung aufgefaßt und zu-
sammengestellt; und wenn sich die größeren Gruppen, die auf
diese Weise entstanden waren, zuletzt als von wenigen Gesetzen
der Gedankenentwickelung beherrscht zeigten, so war das ein
Resultat, das ihn selbst oft wunderbar überraschte.“ Das wol-
len wir ihm alles gern zugestehen. Nur finden wir in seiner
„wunderbaren Ueberraschung“ das Geständniß, daß er ein schlech-
ter Psycholog ist, der nicht begreift, wie der Mensch findet, was
er will, ohne zu wissen, daß er bloß findet, weil er will; — wir
sehen hierin ferner, daß er ein schlechter Kritiker ist, der nicht
weiß, daß auch Fehler eine Uebereinstimmung zeigen, beson-
ders wenn man nicht genau, dialektisch scharf hinsieht; — wir
sehen auch seinen Mangel an Kritik offen eingestanden in dem
Geständniß, daß er „die vorgefundenen Sprachformen zunächst
immer nach ihrer nächsten Bedeutung aufgefaßt hat“; denn wer
sagt ihm, daß die nächste Bedeutung die wahre sei? — end-
lich aber ist es sehr gleichgültig, welche Logik man in der
Sprache findet, ob die Logik dieser oder jener Schule oder
überhaupt die Logik einer Schule; und ohne zu fragen, ob es
eine Logik giebt, die nicht einer Schule angehörte, und wär’s auch

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[112/0150] kann. Hier heben wir aber diese Punkte stark hervor, um dar- auf hinzuweisen: wenn die Sprache die Macht hat, sich der Logik entgegenzustellen, etwas anderes als Logisches zu geben, sogar der Logik Widersprechendes, so kann sie dies doch wohl nur — wie wenigstens zu vermuthen steht —, weil in ihr ein eigenthümliches Leben webt, eine selbständige Kraft herrscht, die keinen Herrn anerkennt. Wäre die Sprache der organisch verleiblichte Gedanke, im Sinne der logischen Grammatik, wäre die Grammatik die in Lautformen organisch ausgeprägte Logik, so wäre unbegreiflich, wie beide sich nicht vollständig decken. Die Sprache zeigt aber, an der Logik gemessen, bald Lücken, bald Ueberfluß, bald Verschiedenes, bald Widerspruch. Also — ich kann nicht anders schließen — muß das vorausgesetzte Verhältniß zwischen Grammatik und Logik falsch sein. Becker versichert uns in der Vorrede (S. XIV), daß, wenn er „von der Logik der Sprache redet, nicht das logische System irgend einer Schule gemeint ist. Er ist nirgends davon ausge- gangen, Anschauungs- und Denkformen in der Sprache auffin- den zu wollen, sondern hat die vorgefundenen Sprachformen zu- nächst immer nach ihrer nächsten Bedeutung aufgefaßt und zu- sammengestellt; und wenn sich die größeren Gruppen, die auf diese Weise entstanden waren, zuletzt als von wenigen Gesetzen der Gedankenentwickelung beherrscht zeigten, so war das ein Resultat, das ihn selbst oft wunderbar überraschte.“ Das wol- len wir ihm alles gern zugestehen. Nur finden wir in seiner „wunderbaren Ueberraschung“ das Geständniß, daß er ein schlech- ter Psycholog ist, der nicht begreift, wie der Mensch findet, was er will, ohne zu wissen, daß er bloß findet, weil er will; — wir sehen hierin ferner, daß er ein schlechter Kritiker ist, der nicht weiß, daß auch Fehler eine Uebereinstimmung zeigen, beson- ders wenn man nicht genau, dialektisch scharf hinsieht; — wir sehen auch seinen Mangel an Kritik offen eingestanden in dem Geständniß, daß er „die vorgefundenen Sprachformen zunächst immer nach ihrer nächsten Bedeutung aufgefaßt hat“; denn wer sagt ihm, daß die nächste Bedeutung die wahre sei? — end- lich aber ist es sehr gleichgültig, welche Logik man in der Sprache findet, ob die Logik dieser oder jener Schule oder überhaupt die Logik einer Schule; und ohne zu fragen, ob es eine Logik giebt, die nicht einer Schule angehörte, und wär’s auch

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Zitationshilfe: Steinthal, Heymann: Grammatik, Logik und Psychologie. Ihre Principien und ihr Verhältniss zu einander. Berlin, 1855, S. 112. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinthal_grammatik_1855/150>, abgerufen am 23.11.2024.