che darstellt; so umfaßt es zwei in ihrer Richtung einander entgegengesetzte Vorgänge, nämlich die Aufnahme des Indivi- duellen in ein Allgemeines und die Zurückführung des Allge- meinen auf das Individuelle ... Die Aufnahme des Individuellen in ein Allgemeines ist der eigentlich schöpferische Akt des Gei- stes, durch den die realen Dinge zu geistigen Dingen, zu Be- griffen und Gedanken, werden. Man kann diesen schöpferischen Akt des Geistes, den man unter dem Denken in der engeren Bedeutung des Wortes begreift, in einem näher bestimmten Aus- drucke als das Erkennen bezeichnen. Die realen Dinge wer- den als Individuelles angeschauet, aber nicht erkannt: das Individuelle wird erst, wenn es in ein Allgemeines aufgenommen, und so das Reale ein Geistiges wird, erkannt in dem Allgemei- nen, in der Art. Man sagt, man erkenne ein Ding, wenn man weiß, von welcher Art es ist, ob es z. B. ein Thier oder eine Pflanze oder ein Stein ist. Durch dieses Erkennen wird das Reale zu einem Eigenthume des Geistes; und der Mensch ver- kündet die durch das Erkennen vollzogene Besitzergreifung da- durch, daß er dem Dinge einen Namen giebt. Der Name be- zeichnet die Art des Dinges. So lange man ein Ding nicht erkannt, unter einen Artbegriff aufgenommen, hat, weiß man dem Dinge keinen Namen zu geben. Nur das Sein ist an sich ein Individuelles; daher kann eigentlich nur ein Sein erkannt (in ein Allgemeines aufgenommen) werden. Die Thätigkei- ten sind an sich schon ein Allgemeines" (wenn es doch Becker beliebt hätte, nur einmal zu sagen, was er unter allgemein ver- steht, warum "Hund" ein Individuelles, "bellt" ein Allgemeines sein soll!); "sie werden daher nicht eigentlich erkannt, son- dern nur verstanden, d. h. die Art der Thätigkeit wird auf Individuelles zurückgeführt."
(S. 156): "Nun ist aber alles Erkennen ein Erkennen des individuellen Geistes, und die durch das Erkennen gewonnene Weltanschauung daher nur eine Weltanschauung des Individuums. Das Denken ist aber eine Verrichtung der ganzen Gattung; und die durch das Denken gebildete Weltanschauung soll die der ganzen Gattung werden. Hierauf gründet sich die organische Nothwendigkeit der Gedankenmittheilung, und die Sprache ist nicht nur der organische Ausdruck des Gedankens in der Er- scheinung, sondern sie ist zugleich das Organ der Gedan- kenmittheilung unter den Individuen. Diese Gedankenmit-
che darstellt; so umfaßt es zwei in ihrer Richtung einander entgegengesetzte Vorgänge, nämlich die Aufnahme des Indivi- duellen in ein Allgemeines und die Zurückführung des Allge- meinen auf das Individuelle … Die Aufnahme des Individuellen in ein Allgemeines ist der eigentlich schöpferische Akt des Gei- stes, durch den die realen Dinge zu geistigen Dingen, zu Be- griffen und Gedanken, werden. Man kann diesen schöpferischen Akt des Geistes, den man unter dem Denken in der engeren Bedeutung des Wortes begreift, in einem näher bestimmten Aus- drucke als das Erkennen bezeichnen. Die realen Dinge wer- den als Individuelles angeschauet, aber nicht erkannt: das Individuelle wird erst, wenn es in ein Allgemeines aufgenommen, und so das Reale ein Geistiges wird, erkannt in dem Allgemei- nen, in der Art. Man sagt, man erkenne ein Ding, wenn man weiß, von welcher Art es ist, ob es z. B. ein Thier oder eine Pflanze oder ein Stein ist. Durch dieses Erkennen wird das Reale zu einem Eigenthume des Geistes; und der Mensch ver- kündet die durch das Erkennen vollzogene Besitzergreifung da- durch, daß er dem Dinge einen Namen giebt. Der Name be- zeichnet die Art des Dinges. So lange man ein Ding nicht erkannt, unter einen Artbegriff aufgenommen, hat, weiß man dem Dinge keinen Namen zu geben. Nur das Sein ist an sich ein Individuelles; daher kann eigentlich nur ein Sein erkannt (in ein Allgemeines aufgenommen) werden. Die Thätigkei- ten sind an sich schon ein Allgemeines“ (wenn es doch Becker beliebt hätte, nur einmal zu sagen, was er unter allgemein ver- steht, warum „Hund“ ein Individuelles, „bellt“ ein Allgemeines sein soll!); „sie werden daher nicht eigentlich erkannt, son- dern nur verstanden, d. h. die Art der Thätigkeit wird auf Individuelles zurückgeführt.“
(S. 156): „Nun ist aber alles Erkennen ein Erkennen des individuellen Geistes, und die durch das Erkennen gewonnene Weltanschauung daher nur eine Weltanschauung des Individuums. Das Denken ist aber eine Verrichtung der ganzen Gattung; und die durch das Denken gebildete Weltanschauung soll die der ganzen Gattung werden. Hierauf gründet sich die organische Nothwendigkeit der Gedankenmittheilung, und die Sprache ist nicht nur der organische Ausdruck des Gedankens in der Er- scheinung, sondern sie ist zugleich das Organ der Gedan- kenmittheilung unter den Individuen. Diese Gedankenmit-
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><p><pbfacs="#f0140"n="102"/>
che darstellt; so umfaßt es zwei in ihrer Richtung einander<lb/>
entgegengesetzte Vorgänge, nämlich die Aufnahme des Indivi-<lb/>
duellen in ein Allgemeines und die Zurückführung des Allge-<lb/>
meinen auf das Individuelle … Die Aufnahme des Individuellen<lb/>
in ein Allgemeines ist der eigentlich schöpferische Akt des Gei-<lb/>
stes, durch den die realen Dinge zu geistigen Dingen, zu Be-<lb/>
griffen und Gedanken, werden. Man kann diesen schöpferischen<lb/>
Akt des Geistes, den man unter dem <hirendition="#g">Denken</hi> in der engeren<lb/>
Bedeutung des Wortes begreift, in einem näher bestimmten Aus-<lb/>
drucke als das <hirendition="#g">Erkennen</hi> bezeichnen. Die realen Dinge wer-<lb/>
den als Individuelles <hirendition="#g">angeschauet,</hi> aber nicht <hirendition="#g">erkannt:</hi> das<lb/>
Individuelle wird erst, wenn es in ein Allgemeines aufgenommen,<lb/>
und so das Reale ein Geistiges wird, erkannt in dem Allgemei-<lb/>
nen, in der <hirendition="#g">Art</hi>. Man sagt, man <hirendition="#g">erkenne</hi> ein Ding, wenn man<lb/>
weiß, von welcher Art es ist, ob es z. B. ein Thier oder eine<lb/>
Pflanze oder ein Stein ist. Durch dieses Erkennen wird das<lb/>
Reale zu einem Eigenthume des Geistes; und der Mensch ver-<lb/>
kündet die durch das Erkennen vollzogene Besitzergreifung da-<lb/>
durch, daß er dem Dinge einen Namen giebt. Der Name be-<lb/>
zeichnet die Art des Dinges. So lange man ein Ding nicht<lb/>
erkannt, unter einen <hirendition="#g">Artbegriff</hi> aufgenommen, hat, weiß man<lb/>
dem Dinge keinen Namen zu geben. Nur das <hirendition="#g">Sein</hi> ist an sich<lb/>
ein Individuelles; daher kann eigentlich nur ein Sein erkannt<lb/>
(in ein Allgemeines aufgenommen) werden. Die <hirendition="#g">Thätigkei-<lb/>
ten</hi> sind an sich schon ein Allgemeines“ (wenn es doch Becker<lb/>
beliebt hätte, nur einmal zu sagen, was er unter allgemein ver-<lb/>
steht, warum „Hund“ ein Individuelles, „bellt“ ein Allgemeines<lb/>
sein soll!); „sie werden daher nicht eigentlich <hirendition="#g">erkannt,</hi> son-<lb/>
dern nur <hirendition="#g">verstanden,</hi> d. h. die Art der Thätigkeit wird auf<lb/>
Individuelles zurückgeführt.“</p><lb/><p>(S. 156): „Nun ist aber alles Erkennen ein Erkennen des<lb/>
individuellen Geistes, und die durch das Erkennen gewonnene<lb/>
Weltanschauung daher nur eine Weltanschauung des Individuums.<lb/>
Das Denken ist aber eine Verrichtung der ganzen Gattung; und<lb/>
die durch das Denken gebildete Weltanschauung soll die der<lb/>
ganzen Gattung werden. Hierauf gründet sich die organische<lb/>
Nothwendigkeit der Gedankenmittheilung, und die Sprache ist<lb/>
nicht nur der organische Ausdruck des Gedankens in der Er-<lb/>
scheinung, sondern sie ist zugleich das <hirendition="#g">Organ der Gedan-<lb/>
kenmittheilung</hi> unter den Individuen. Diese Gedankenmit-<lb/></p></div></div></div></div></body></text></TEI>
[102/0140]
che darstellt; so umfaßt es zwei in ihrer Richtung einander
entgegengesetzte Vorgänge, nämlich die Aufnahme des Indivi-
duellen in ein Allgemeines und die Zurückführung des Allge-
meinen auf das Individuelle … Die Aufnahme des Individuellen
in ein Allgemeines ist der eigentlich schöpferische Akt des Gei-
stes, durch den die realen Dinge zu geistigen Dingen, zu Be-
griffen und Gedanken, werden. Man kann diesen schöpferischen
Akt des Geistes, den man unter dem Denken in der engeren
Bedeutung des Wortes begreift, in einem näher bestimmten Aus-
drucke als das Erkennen bezeichnen. Die realen Dinge wer-
den als Individuelles angeschauet, aber nicht erkannt: das
Individuelle wird erst, wenn es in ein Allgemeines aufgenommen,
und so das Reale ein Geistiges wird, erkannt in dem Allgemei-
nen, in der Art. Man sagt, man erkenne ein Ding, wenn man
weiß, von welcher Art es ist, ob es z. B. ein Thier oder eine
Pflanze oder ein Stein ist. Durch dieses Erkennen wird das
Reale zu einem Eigenthume des Geistes; und der Mensch ver-
kündet die durch das Erkennen vollzogene Besitzergreifung da-
durch, daß er dem Dinge einen Namen giebt. Der Name be-
zeichnet die Art des Dinges. So lange man ein Ding nicht
erkannt, unter einen Artbegriff aufgenommen, hat, weiß man
dem Dinge keinen Namen zu geben. Nur das Sein ist an sich
ein Individuelles; daher kann eigentlich nur ein Sein erkannt
(in ein Allgemeines aufgenommen) werden. Die Thätigkei-
ten sind an sich schon ein Allgemeines“ (wenn es doch Becker
beliebt hätte, nur einmal zu sagen, was er unter allgemein ver-
steht, warum „Hund“ ein Individuelles, „bellt“ ein Allgemeines
sein soll!); „sie werden daher nicht eigentlich erkannt, son-
dern nur verstanden, d. h. die Art der Thätigkeit wird auf
Individuelles zurückgeführt.“
(S. 156): „Nun ist aber alles Erkennen ein Erkennen des
individuellen Geistes, und die durch das Erkennen gewonnene
Weltanschauung daher nur eine Weltanschauung des Individuums.
Das Denken ist aber eine Verrichtung der ganzen Gattung; und
die durch das Denken gebildete Weltanschauung soll die der
ganzen Gattung werden. Hierauf gründet sich die organische
Nothwendigkeit der Gedankenmittheilung, und die Sprache ist
nicht nur der organische Ausdruck des Gedankens in der Er-
scheinung, sondern sie ist zugleich das Organ der Gedan-
kenmittheilung unter den Individuen. Diese Gedankenmit-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Steinthal, Heymann: Grammatik, Logik und Psychologie. Ihre Principien und ihr Verhältniss zu einander. Berlin, 1855, S. 102. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinthal_grammatik_1855/140>, abgerufen am 03.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.