Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Steinthal, Heymann: Grammatik, Logik und Psychologie. Ihre Principien und ihr Verhältniss zu einander. Berlin, 1855.

Bild:
<< vorherige Seite

Durch meine Kritik Beckers habe ich also theils mich von wirk-
lichen Fehlern zu befreien, theils mich vor möglichen zu wah-
ren gesucht. Daher die lebendige Erregung meines Innern, die
sich in der Darstellung meiner Kritik offenbart. Wie könnte
ich meinen Gefühlen Schweigen gebieten, da sie so innig mit
meinen Gedanken verschlungen sind!

In meiner Kritik Humboldts sehe ich eine Art Tragödie, in
Humboldt einen Hamlet, der sich eine große Aufgabe gestellt
hat, an deren Ausführung ihn tausend Bedenklichkeiten hin-
dern. Und vorzüglich auch darin ist Humboldt dem Hamlet
ähnlich, daß, wie dieser endlich im Augenblicke seines Unter-
ganges, sterbend noch sich aufrafft und seine That vollführt: so
auch Humboldt, nachdem er seine gehaltvolle Anschauung schon
der Reflexion aufgeopfert hat, sich mit einem "dennoch" auf-
rafft und dieselbe hinstellt allem Vorangehenden zum Trotz. Eine
so strenge Tragödie bietet die Kritik Beckers nicht. Es ist das
Schauspiel eines Leichtsinnigen, der ohne alle Vor- und Um-
sicht handelt. Humboldt ringt fortwährend mit allen Schwierig-
keiten; Becker sieht deren nie und nirgends. Aber ein anziehendes
Seelengemälde bietet auch er dar. Wie er Schritt vor Schritt in
den Abgrund des Nichts fallen mußte, wie ein Irrthum den andern
herbeiführte, und jeder neu hinzugekommene die Rückkehr er-
schwerte, das Bewußtsein abstumpfte: das glaube ich klar gese-
hen und gezeigt zu haben. Auch hoffe ich, man werde finden,
daß ich meinen Gegner nicht leicht genommen habe. Ich habe
mir viel Mühe gegeben, ihn zu erklären und zu vertheidigen.
Ohne einen Mann im Innersten und Tiefsten zu erfassen, würde
man seine Fehler nicht begreifen.

Ich habe mit Lebhaftigkeit dargestellt, weil mich die Sache
lebhaft ergriffen hat. Ich hoffe aber, man werde nie finden, daß
ich mich so weit hätte hinreißen lassen, die positive Seite Bek-
kers zu übersehen; ich habe sie hervorgehoben. Ich habe Beckers
Verdienst anerkannt, das freilich nur in seinem Streben liegt.
Aber man höre doch auf von Unbescheidenheit zu reden, wo
es sich um Erforschung der Wahrheit handelt. Wissenschaft-
liche Darstellung verlangt erstlich Entschiedenheit und Bestimmt-
heit des Ausdruckes. Begriffe und Ideen müssen fest begrenzt

Durch meine Kritik Beckers habe ich also theils mich von wirk-
lichen Fehlern zu befreien, theils mich vor möglichen zu wah-
ren gesucht. Daher die lebendige Erregung meines Innern, die
sich in der Darstellung meiner Kritik offenbart. Wie könnte
ich meinen Gefühlen Schweigen gebieten, da sie so innig mit
meinen Gedanken verschlungen sind!

In meiner Kritik Humboldts sehe ich eine Art Tragödie, in
Humboldt einen Hamlet, der sich eine große Aufgabe gestellt
hat, an deren Ausführung ihn tausend Bedenklichkeiten hin-
dern. Und vorzüglich auch darin ist Humboldt dem Hamlet
ähnlich, daß, wie dieser endlich im Augenblicke seines Unter-
ganges, sterbend noch sich aufrafft und seine That vollführt: so
auch Humboldt, nachdem er seine gehaltvolle Anschauung schon
der Reflexion aufgeopfert hat, sich mit einem „dennoch“ auf-
rafft und dieselbe hinstellt allem Vorangehenden zum Trotz. Eine
so strenge Tragödie bietet die Kritik Beckers nicht. Es ist das
Schauspiel eines Leichtsinnigen, der ohne alle Vor- und Um-
sicht handelt. Humboldt ringt fortwährend mit allen Schwierig-
keiten; Becker sieht deren nie und nirgends. Aber ein anziehendes
Seelengemälde bietet auch er dar. Wie er Schritt vor Schritt in
den Abgrund des Nichts fallen mußte, wie ein Irrthum den andern
herbeiführte, und jeder neu hinzugekommene die Rückkehr er-
schwerte, das Bewußtsein abstumpfte: das glaube ich klar gese-
hen und gezeigt zu haben. Auch hoffe ich, man werde finden,
daß ich meinen Gegner nicht leicht genommen habe. Ich habe
mir viel Mühe gegeben, ihn zu erklären und zu vertheidigen.
Ohne einen Mann im Innersten und Tiefsten zu erfassen, würde
man seine Fehler nicht begreifen.

Ich habe mit Lebhaftigkeit dargestellt, weil mich die Sache
lebhaft ergriffen hat. Ich hoffe aber, man werde nie finden, daß
ich mich so weit hätte hinreißen lassen, die positive Seite Bek-
kers zu übersehen; ich habe sie hervorgehoben. Ich habe Beckers
Verdienst anerkannt, das freilich nur in seinem Streben liegt.
Aber man höre doch auf von Unbescheidenheit zu reden, wo
es sich um Erforschung der Wahrheit handelt. Wissenschaft-
liche Darstellung verlangt erstlich Entschiedenheit und Bestimmt-
heit des Ausdruckes. Begriffe und Ideen müssen fest begrenzt

<TEI>
  <text>
    <front>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0014" n="VIII"/>
Durch meine Kritik Beckers habe ich also theils mich von wirk-<lb/>
lichen Fehlern zu befreien, theils mich vor möglichen zu wah-<lb/>
ren gesucht. Daher die lebendige Erregung meines Innern, die<lb/>
sich in der Darstellung meiner Kritik offenbart. Wie könnte<lb/>
ich meinen Gefühlen Schweigen gebieten, da sie so innig mit<lb/>
meinen Gedanken verschlungen sind!</p><lb/>
        <p>In meiner Kritik Humboldts sehe ich eine Art Tragödie, in<lb/>
Humboldt einen Hamlet, der sich eine große Aufgabe gestellt<lb/>
hat, an deren Ausführung ihn tausend Bedenklichkeiten hin-<lb/>
dern. Und vorzüglich auch darin ist Humboldt dem Hamlet<lb/>
ähnlich, daß, wie dieser endlich im Augenblicke seines Unter-<lb/>
ganges, sterbend noch sich aufrafft und seine That vollführt: so<lb/>
auch Humboldt, nachdem er seine gehaltvolle Anschauung schon<lb/>
der Reflexion aufgeopfert hat, sich mit einem &#x201E;dennoch&#x201C; auf-<lb/>
rafft und dieselbe hinstellt allem Vorangehenden zum Trotz. Eine<lb/>
so strenge Tragödie bietet die Kritik Beckers nicht. Es ist das<lb/>
Schauspiel eines Leichtsinnigen, der ohne alle Vor- und Um-<lb/>
sicht handelt. Humboldt ringt fortwährend mit allen Schwierig-<lb/>
keiten; Becker sieht deren nie und nirgends. Aber ein anziehendes<lb/>
Seelengemälde bietet auch er dar. Wie er Schritt vor Schritt in<lb/>
den Abgrund des Nichts fallen mußte, wie ein Irrthum den andern<lb/>
herbeiführte, und jeder neu hinzugekommene die Rückkehr er-<lb/>
schwerte, das Bewußtsein abstumpfte: das glaube ich klar gese-<lb/>
hen und gezeigt zu haben. Auch hoffe ich, man werde finden,<lb/>
daß ich meinen Gegner nicht leicht genommen habe. Ich habe<lb/>
mir viel Mühe gegeben, ihn zu erklären und zu vertheidigen.<lb/>
Ohne einen Mann im Innersten und Tiefsten zu erfassen, würde<lb/>
man seine Fehler nicht begreifen.</p><lb/>
        <p>Ich habe mit Lebhaftigkeit dargestellt, weil mich die Sache<lb/>
lebhaft ergriffen hat. Ich hoffe aber, man werde nie finden, daß<lb/>
ich mich so weit hätte hinreißen lassen, die positive Seite Bek-<lb/>
kers zu übersehen; ich habe sie hervorgehoben. Ich habe Beckers<lb/>
Verdienst anerkannt, das freilich nur in seinem Streben liegt.<lb/>
Aber man höre doch auf von Unbescheidenheit zu reden, wo<lb/>
es sich um Erforschung der Wahrheit handelt. Wissenschaft-<lb/>
liche Darstellung verlangt erstlich Entschiedenheit und Bestimmt-<lb/>
heit des Ausdruckes. Begriffe und Ideen müssen fest begrenzt<lb/></p>
      </div>
    </front>
  </text>
</TEI>
[VIII/0014] Durch meine Kritik Beckers habe ich also theils mich von wirk- lichen Fehlern zu befreien, theils mich vor möglichen zu wah- ren gesucht. Daher die lebendige Erregung meines Innern, die sich in der Darstellung meiner Kritik offenbart. Wie könnte ich meinen Gefühlen Schweigen gebieten, da sie so innig mit meinen Gedanken verschlungen sind! In meiner Kritik Humboldts sehe ich eine Art Tragödie, in Humboldt einen Hamlet, der sich eine große Aufgabe gestellt hat, an deren Ausführung ihn tausend Bedenklichkeiten hin- dern. Und vorzüglich auch darin ist Humboldt dem Hamlet ähnlich, daß, wie dieser endlich im Augenblicke seines Unter- ganges, sterbend noch sich aufrafft und seine That vollführt: so auch Humboldt, nachdem er seine gehaltvolle Anschauung schon der Reflexion aufgeopfert hat, sich mit einem „dennoch“ auf- rafft und dieselbe hinstellt allem Vorangehenden zum Trotz. Eine so strenge Tragödie bietet die Kritik Beckers nicht. Es ist das Schauspiel eines Leichtsinnigen, der ohne alle Vor- und Um- sicht handelt. Humboldt ringt fortwährend mit allen Schwierig- keiten; Becker sieht deren nie und nirgends. Aber ein anziehendes Seelengemälde bietet auch er dar. Wie er Schritt vor Schritt in den Abgrund des Nichts fallen mußte, wie ein Irrthum den andern herbeiführte, und jeder neu hinzugekommene die Rückkehr er- schwerte, das Bewußtsein abstumpfte: das glaube ich klar gese- hen und gezeigt zu haben. Auch hoffe ich, man werde finden, daß ich meinen Gegner nicht leicht genommen habe. Ich habe mir viel Mühe gegeben, ihn zu erklären und zu vertheidigen. Ohne einen Mann im Innersten und Tiefsten zu erfassen, würde man seine Fehler nicht begreifen. Ich habe mit Lebhaftigkeit dargestellt, weil mich die Sache lebhaft ergriffen hat. Ich hoffe aber, man werde nie finden, daß ich mich so weit hätte hinreißen lassen, die positive Seite Bek- kers zu übersehen; ich habe sie hervorgehoben. Ich habe Beckers Verdienst anerkannt, das freilich nur in seinem Streben liegt. Aber man höre doch auf von Unbescheidenheit zu reden, wo es sich um Erforschung der Wahrheit handelt. Wissenschaft- liche Darstellung verlangt erstlich Entschiedenheit und Bestimmt- heit des Ausdruckes. Begriffe und Ideen müssen fest begrenzt

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/steinthal_grammatik_1855
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/steinthal_grammatik_1855/14
Zitationshilfe: Steinthal, Heymann: Grammatik, Logik und Psychologie. Ihre Principien und ihr Verhältniss zu einander. Berlin, 1855, S. VIII. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinthal_grammatik_1855/14>, abgerufen am 03.12.2024.