und wird nur von Begriffen erfaßt, die mehr Inhalt und gerin- gern Umfang haben. Bewegung existirt noch weniger als Thä- tigkeit, existirt eigentlich gar nicht. Was wirklich ist, ist nur der Wurf, der Fall des Steins, das Fließen des Wassers, das Ausdehnen der Luft, das Anziehen des Magneten u. s. w. Nicht wir bloß sagen das; wir lehren hier Becker nichts, was er nicht wüßte; sondern wir kritisiren ihn, indem wir ihn mit sich selbst vergleichen. Er selbst aber sagt (S. 72): "Der Begriff der Be- wegung wird in der sinnlichen Anschauung nie in seiner ab- stracten Allgemeinheit, sondern immer in einer concreten Beson- derheit, z. B. als Bewegung eines Vogels, eines Steines, eines Flusses aufgefaßt"; folglich, sagt die Kritik, hatte Becker nicht das Recht, die Bewegung als den Urbegriff, die Einheit und den Erzeuger aller Begriffe der Sprache hinzustellen. Und wenn nun Becker selbst zugesteht: "eben darum kann sich dieser eine Urbegriff nicht in der Sprache auch in einem Urworte darstellen, son- dern muß uranfänglich schon in mannigfaltigen Wörtern her- vortreten, in denen mannigfaltige concrete Besonderheiten der Bewegung geschieden sind," so gesteht er damit auch zu, daß seine Construction der Begriffe aus der Einheit nicht die in der Sprache vorliegende Entwickelung der Begriffe darstellt, sondern eine subjective, logische Anordnung der Begriffe ist; und die Kritik hat weiter nichts zu thun, als dies Geständniß zu Protokoll zu bringen.
Wenn also sowohl Thätigkeit als Sein eben so sehr als all- gemein wie als besonders aufgefaßt werden können, die Bezie- hungen aber, nach denen dieses oder jenes geschehen kann, von Becker sophistisch unbeachtet gelassen werden: welch ein Spiel- raum für Gegensätze, Trugschlüsse, Systeme aller Art! Nur noch einer Schwierigkeit werde hier gedacht. Wir haben oben schon das Bedenken geltend gemacht, daß nach Beckers Vor- aussetzung nicht einzusehen ist, warum einerseits nicht auch der Stein erkenne, da auch er Thätigkeit ist, und wie andererseits der Geist zu erkennen vermöge, da auch er durchaus individuell, also auch in ihm das Sein das vorwaltende Moment ist. Wir stoßen aber hier auf einen neuen Punkt. Wenn die allgemeine Thätigkeit als solche nirgends existirt, sondern überall nur be- sondere Thätigkeit, so fragt sich: wie vermag der Geist vermöge seiner besonderen Thätigkeit die besonderen Thätigkeiten aller andern individuellen Dinge in sich aufzunehmen?
und wird nur von Begriffen erfaßt, die mehr Inhalt und gerin- gern Umfang haben. Bewegung existirt noch weniger als Thä- tigkeit, existirt eigentlich gar nicht. Was wirklich ist, ist nur der Wurf, der Fall des Steins, das Fließen des Wassers, das Ausdehnen der Luft, das Anziehen des Magneten u. s. w. Nicht wir bloß sagen das; wir lehren hier Becker nichts, was er nicht wüßte; sondern wir kritisiren ihn, indem wir ihn mit sich selbst vergleichen. Er selbst aber sagt (S. 72): „Der Begriff der Be- wegung wird in der sinnlichen Anschauung nie in seiner ab- stracten Allgemeinheit, sondern immer in einer concreten Beson- derheit, z. B. als Bewegung eines Vogels, eines Steines, eines Flusses aufgefaßt“; folglich, sagt die Kritik, hatte Becker nicht das Recht, die Bewegung als den Urbegriff, die Einheit und den Erzeuger aller Begriffe der Sprache hinzustellen. Und wenn nun Becker selbst zugesteht: „eben darum kann sich dieser eine Urbegriff nicht in der Sprache auch in einem Urworte darstellen, son- dern muß uranfänglich schon in mannigfaltigen Wörtern her- vortreten, in denen mannigfaltige concrete Besonderheiten der Bewegung geschieden sind,“ so gesteht er damit auch zu, daß seine Construction der Begriffe aus der Einheit nicht die in der Sprache vorliegende Entwickelung der Begriffe darstellt, sondern eine subjective, logische Anordnung der Begriffe ist; und die Kritik hat weiter nichts zu thun, als dies Geständniß zu Protokoll zu bringen.
Wenn also sowohl Thätigkeit als Sein eben so sehr als all- gemein wie als besonders aufgefaßt werden können, die Bezie- hungen aber, nach denen dieses oder jenes geschehen kann, von Becker sophistisch unbeachtet gelassen werden: welch ein Spiel- raum für Gegensätze, Trugschlüsse, Systeme aller Art! Nur noch einer Schwierigkeit werde hier gedacht. Wir haben oben schon das Bedenken geltend gemacht, daß nach Beckers Vor- aussetzung nicht einzusehen ist, warum einerseits nicht auch der Stein erkenne, da auch er Thätigkeit ist, und wie andererseits der Geist zu erkennen vermöge, da auch er durchaus individuell, also auch in ihm das Sein das vorwaltende Moment ist. Wir stoßen aber hier auf einen neuen Punkt. Wenn die allgemeine Thätigkeit als solche nirgends existirt, sondern überall nur be- sondere Thätigkeit, so fragt sich: wie vermag der Geist vermöge seiner besonderen Thätigkeit die besonderen Thätigkeiten aller andern individuellen Dinge in sich aufzunehmen?
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und wird nur von Begriffen erfaßt, die mehr Inhalt und gerin-
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der Wurf, der Fall des Steins, das Fließen des Wassers, das
Ausdehnen der Luft, das Anziehen des Magneten u. s. w. Nicht
wir bloß sagen das; wir lehren hier Becker nichts, was er nicht
wüßte; sondern wir kritisiren ihn, indem wir ihn mit sich selbst
vergleichen. Er selbst aber sagt (S. 72): „Der Begriff der Be-
wegung wird in der sinnlichen Anschauung nie in seiner ab-
stracten Allgemeinheit, sondern immer in einer concreten Beson-
derheit, z. B. als Bewegung eines Vogels, eines Steines, eines Flusses
aufgefaßt“; folglich, sagt die Kritik, hatte Becker nicht das Recht,
die Bewegung als den Urbegriff, die Einheit und den Erzeuger
aller Begriffe der Sprache hinzustellen. Und wenn nun Becker
selbst zugesteht: „eben darum kann sich dieser eine Urbegriff
nicht in der Sprache auch in einem Urworte darstellen, son-
dern muß uranfänglich schon in mannigfaltigen Wörtern her-
vortreten, in denen mannigfaltige concrete Besonderheiten der
Bewegung geschieden sind,“ so gesteht er damit auch zu, daß
seine Construction der Begriffe aus der Einheit nicht die in
der Sprache vorliegende Entwickelung der Begriffe darstellt,
sondern eine subjective, logische Anordnung der Begriffe ist; und
die Kritik hat weiter nichts zu thun, als dies Geständniß zu
Protokoll zu bringen.
Wenn also sowohl Thätigkeit als Sein eben so sehr als all-
gemein wie als besonders aufgefaßt werden können, die Bezie-
hungen aber, nach denen dieses oder jenes geschehen kann, von
Becker sophistisch unbeachtet gelassen werden: welch ein Spiel-
raum für Gegensätze, Trugschlüsse, Systeme aller Art! Nur
noch einer Schwierigkeit werde hier gedacht. Wir haben oben
schon das Bedenken geltend gemacht, daß nach Beckers Vor-
aussetzung nicht einzusehen ist, warum einerseits nicht auch der
Stein erkenne, da auch er Thätigkeit ist, und wie andererseits
der Geist zu erkennen vermöge, da auch er durchaus individuell,
also auch in ihm das Sein das vorwaltende Moment ist. Wir
stoßen aber hier auf einen neuen Punkt. Wenn die allgemeine
Thätigkeit als solche nirgends existirt, sondern überall nur be-
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Steinthal, Heymann: Grammatik, Logik und Psychologie. Ihre Principien und ihr Verhältniss zu einander. Berlin, 1855, S. 88. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinthal_grammatik_1855/126>, abgerufen am 23.11.2024.
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