Flut wie er und nur ein wenig schmaler. Er wurde uns später als Ponekuru bezeichnet. Die vorwiegende Richtung der vereinigten Gewässer war N bis NO, dieselbe, die auch unsere frühere Fahrt trotz der zahlreichen Windungen einzu- halten bestrebt gewesen. Unsere ganze Aufmerksamkeit aber hielt schon eine Weile vor dem Erscheinen des Zuflusses ein uns von 1884 her nur zu wohlbe- kanntes, mehr und mehr anschwellendes Brausen gefesselt: wir näherten uns einer grossen "Cachoeira". Wir passierten etliche Steininseln, die aus Sandsteinblöcken bestanden und mit niederm Gebüsch und dünnen Sträuchern bewachsen waren, das Tosen und Rauschen nahm mächtig zu und plötzlich blickten wir hinab auf das verbreiterte, mit gewaltigen Steinlagern gefüllte Strombett, in dem der Schwall der Wassermassen über eine weite Strecke schäumend und strudelnd thalwärts stürzte. Unser späterer Salto Taunay.
Wir hatten eine Stunde Aufenthalt. Das Kanu wurde die Stufen hinab- geschoben, das Gepäck den Uferrand entlang auf den Schultern getragen. Ich hätte mich selbst sehen mögen: Strohhut mit Ararafedern, Hemd, Unterhose, Ledergürtel, Umhängetasche, grauleinene Baskenschuhe, über dem linken Arm das gefaltene Ochsenfell und in der rechten Hand unsere vier Zinnteller, deren oberster mit einem Rest gekochter Bohnen gefüllt war; dabei eifrig Umschau haltend und nach Verdächtigem ausspähend. An einer Cachoeira, wie dieser, giebt es reichliche Gelegenheit für Fischfang; und richtig, wir fanden deutliche Fussspuren und auf den Steinen halbverbrannte Palmfackeln, deren graue, feine Asche noch erhalten war. Das Alter der Schutzhütte in dem Independencia-Lager hatten wir auf ein Jahr geschätzt, das Alter der abgerissenen Zweige an dem Ort, wo das Kapivara zerteilt worden war, auf einen Monat, und mehr als eine Woche konnte es kaum her sein, dass diese Fackeln gebrannt hatten; die Sache wurde jetzt also sengerich und brenzelig in des Wortes verwegenster Bedeutung.
Die schöne Cachoeira hatte im Gegensatz zu den ärmlicheren Katarakten des Batovy in gleicher geographischer Breite bereits durchaus den grossartigeren Charakter der echten Schingukatarakte, auch war das Wasser unterhalb, wo der Fluss wieder ruhig und klar dahinströmte, prächtig dunkel und flaschengrün. Doch schon nach einer Viertelstunde kam eine neue, ansehnliche Cachoeira, niedriger als die erste, wo ich wieder auszusteigen und über Land zu pilgern hatte. Auch hier wurde Fischfang getrieben. Wir zählten jenseit der Cachoeira 13 sogenannte "Currals", Ringe von Steinblöcken an seichteren Stellen des Flussbettes; durch eine Lücke in dem Ring können die Fische eintreten, die von den Indianern alsdann zusammengetrieben und geschossen werden. Nicht wenig überrascht war ich, als Antonio weiter abwärts im ruhigen Wasser plötzlich erklärte, dass hier gestern oder vorgestern ein Kanu gewesen sei; ich bemerkte nur eine Menge weisser Bläschen dem Ufer zu. Der Schaum des Ruderschlages erhält sich auf stiller Flut in einer Strasse; durch keinen Wellenschlag zertrümmert, bleiben die Luftblasen auf dem Wasser stehen und werden vom Winde allmählich an's Ufer getrieben.
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Flut wie er und nur ein wenig schmaler. Er wurde uns später als Ponekuru bezeichnet. Die vorwiegende Richtung der vereinigten Gewässer war N bis NO, dieselbe, die auch unsere frühere Fahrt trotz der zahlreichen Windungen einzu- halten bestrebt gewesen. Unsere ganze Aufmerksamkeit aber hielt schon eine Weile vor dem Erscheinen des Zuflusses ein uns von 1884 her nur zu wohlbe- kanntes, mehr und mehr anschwellendes Brausen gefesselt: wir näherten uns einer grossen »Cachoeira«. Wir passierten etliche Steininseln, die aus Sandsteinblöcken bestanden und mit niederm Gebüsch und dünnen Sträuchern bewachsen waren, das Tosen und Rauschen nahm mächtig zu und plötzlich blickten wir hinab auf das verbreiterte, mit gewaltigen Steinlagern gefüllte Strombett, in dem der Schwall der Wassermassen über eine weite Strecke schäumend und strudelnd thalwärts stürzte. Unser späterer Salto Taunay.
Wir hatten eine Stunde Aufenthalt. Das Kanu wurde die Stufen hinab- geschoben, das Gepäck den Uferrand entlang auf den Schultern getragen. Ich hätte mich selbst sehen mögen: Strohhut mit Ararafedern, Hemd, Unterhose, Ledergürtel, Umhängetasche, grauleinene Baskenschuhe, über dem linken Arm das gefaltene Ochsenfell und in der rechten Hand unsere vier Zinnteller, deren oberster mit einem Rest gekochter Bohnen gefüllt war; dabei eifrig Umschau haltend und nach Verdächtigem ausspähend. An einer Cachoeira, wie dieser, giebt es reichliche Gelegenheit für Fischfang; und richtig, wir fanden deutliche Fussspuren und auf den Steinen halbverbrannte Palmfackeln, deren graue, feine Asche noch erhalten war. Das Alter der Schutzhütte in dem Independencia-Lager hatten wir auf ein Jahr geschätzt, das Alter der abgerissenen Zweige an dem Ort, wo das Kapivara zerteilt worden war, auf einen Monat, und mehr als eine Woche konnte es kaum her sein, dass diese Fackeln gebrannt hatten; die Sache wurde jetzt also sengerich und brenzelig in des Wortes verwegenster Bedeutung.
Die schöne Cachoeira hatte im Gegensatz zu den ärmlicheren Katarakten des Batovy in gleicher geographischer Breite bereits durchaus den grossartigeren Charakter der echten Schingúkatarakte, auch war das Wasser unterhalb, wo der Fluss wieder ruhig und klar dahinströmte, prächtig dunkel und flaschengrün. Doch schon nach einer Viertelstunde kam eine neue, ansehnliche Cachoeira, niedriger als die erste, wo ich wieder auszusteigen und über Land zu pilgern hatte. Auch hier wurde Fischfang getrieben. Wir zählten jenseit der Cachoeira 13 sogenannte »Currals«, Ringe von Steinblöcken an seichteren Stellen des Flussbettes; durch eine Lücke in dem Ring können die Fische eintreten, die von den Indianern alsdann zusammengetrieben und geschossen werden. Nicht wenig überrascht war ich, als Antonio weiter abwärts im ruhigen Wasser plötzlich erklärte, dass hier gestern oder vorgestern ein Kanu gewesen sei; ich bemerkte nur eine Menge weisser Bläschen dem Ufer zu. Der Schaum des Ruderschlages erhält sich auf stiller Flut in einer Strasse; durch keinen Wellenschlag zertrümmert, bleiben die Luftblasen auf dem Wasser stehen und werden vom Winde allmählich an’s Ufer getrieben.
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halten bestrebt gewesen. Unsere ganze Aufmerksamkeit aber hielt schon eine
Weile vor dem Erscheinen des Zuflusses ein uns von 1884 her nur zu wohlbe-
kanntes, mehr und mehr anschwellendes Brausen gefesselt: wir näherten uns einer
grossen »Cachoeira«. Wir passierten etliche Steininseln, die aus Sandsteinblöcken
bestanden und mit niederm Gebüsch und dünnen Sträuchern bewachsen waren,
das Tosen und Rauschen nahm mächtig zu und plötzlich blickten wir hinab auf
das verbreiterte, mit gewaltigen Steinlagern gefüllte Strombett, in dem der
Schwall der Wassermassen über eine weite Strecke schäumend und strudelnd
thalwärts stürzte. Unser späterer Salto Taunay.
Wir hatten eine Stunde Aufenthalt. Das Kanu wurde die Stufen hinab-
geschoben, das Gepäck den Uferrand entlang auf den Schultern getragen. Ich
hätte mich selbst sehen mögen: Strohhut mit Ararafedern, Hemd, Unterhose,
Ledergürtel, Umhängetasche, grauleinene Baskenschuhe, über dem linken Arm
das gefaltene Ochsenfell und in der rechten Hand unsere vier Zinnteller, deren
oberster mit einem Rest gekochter Bohnen gefüllt war; dabei eifrig Umschau
haltend und nach Verdächtigem ausspähend. An einer Cachoeira, wie dieser,
giebt es reichliche Gelegenheit für Fischfang; und richtig, wir fanden deutliche
Fussspuren und auf den Steinen halbverbrannte Palmfackeln, deren graue, feine
Asche noch erhalten war. Das Alter der Schutzhütte in dem Independencia-Lager
hatten wir auf ein Jahr geschätzt, das Alter der abgerissenen Zweige an dem Ort,
wo das Kapivara zerteilt worden war, auf einen Monat, und mehr als eine Woche
konnte es kaum her sein, dass diese Fackeln gebrannt hatten; die Sache wurde
jetzt also sengerich und brenzelig in des Wortes verwegenster Bedeutung.
Die schöne Cachoeira hatte im Gegensatz zu den ärmlicheren Katarakten
des Batovy in gleicher geographischer Breite bereits durchaus den grossartigeren
Charakter der echten Schingúkatarakte, auch war das Wasser unterhalb, wo der
Fluss wieder ruhig und klar dahinströmte, prächtig dunkel und flaschengrün. Doch
schon nach einer Viertelstunde kam eine neue, ansehnliche Cachoeira, niedriger
als die erste, wo ich wieder auszusteigen und über Land zu pilgern hatte. Auch
hier wurde Fischfang getrieben. Wir zählten jenseit der Cachoeira 13 sogenannte
»Currals«, Ringe von Steinblöcken an seichteren Stellen des Flussbettes; durch
eine Lücke in dem Ring können die Fische eintreten, die von den Indianern
alsdann zusammengetrieben und geschossen werden. Nicht wenig überrascht war
ich, als Antonio weiter abwärts im ruhigen Wasser plötzlich erklärte, dass hier
gestern oder vorgestern ein Kanu gewesen sei; ich bemerkte nur eine Menge
weisser Bläschen dem Ufer zu. Der Schaum des Ruderschlages erhält sich auf
stiller Flut in einer Strasse; durch keinen Wellenschlag zertrümmert, bleiben die
Luftblasen auf dem Wasser stehen und werden vom Winde allmählich an’s Ufer
getrieben.
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Steinen, Karl von den: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens. Berlin, 1894, S. 51. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinen_naturvoelker_1894/79>, abgerufen am 25.11.2024.
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