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Steinen, Karl von den: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens. Berlin, 1894.

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mässig schwirrt das ununterbrochene Zirpen der Zikaden, zuweilen mischt sich
das ferne Geklingel der Madrinha hinein.

Finster ist es nur im Gebüsch und unter den Bäumen, wo als formlos un-
deutliche Masse der Wall der Gepäckstücke und Sättel liegt; das Feuer ist bis
auf einen glimmenden Holzkloben erloschen. Durch die schwarzen Aeste über
unserer Hängematte blickt der funkelnde Sternenhimmel, wie körperliche Schatten-
arme recken sie sich in die Luft, und unter ihnen weg schweift das Auge über
die dunkle Hochebene, auf der fernhin die roten Glutlinien des fortschreitenden
Grasbrandes leuchten; zuweilen flackert es empor in wabernder Lohe, kriecht über
einen Hügel und dehnt sich wieder lang zu einer dünnen Schlange aus, deutlich
erkennt man Hochöfen, Bahnhöfe, verfolgt die Signallaternen der Schienenwege
und bemerkt gar hier und da festlich illuminierte Gartenlokale. O Traum des
Matogrosso, wann wirst du die Wirklichkeit gewinnen, die länger anhält als ein
nächtliches Phantasma? Der Dr. Carlos, hofften die Cuyabaner, werde den Schingu
entlang das beste Terrain für die Eisenbahn nach Para finden. Er fand mehr,
er hat in mancher Nacht die Bahn schon fertig und im schönsten Betrieb den
Sertao durchziehen sehen, aber er ist zum Unglück, wenn er so weit war, immer
rasch eingeschlafen.

Und dann in seinem wirklichen Traum, löste er mit sicherer Eleganz ein
Problem, das viel wichtiger ist als die Eisenbahn im Matogrosso. Er flog. Er
flog mehrere Stockwerke die Treppe hinunter, ohne den Boden zu berühren und
lenkte scharf um die Ecken, ohne anzustossen, er flog draussen zu den Dächern
empor und über sie hinweg, ja er war sich dabei immer auf das Bestimmteste
bewusst, nicht etwa zu träumen, und liess sich einmal sogar von dem Direktor Renz
engagiren, um die neue herrliche Kunst im Zirkus zu zeigen, wo sie freilich im
entscheidenden Augenblick versagte, und die Menschenmenge den armen Erfinder
mit brausendem Gelächter verhöhnte. Der Traum des Fliegens war für mich in
der Hängematte geradezu ein Gewohnheitstraum und immer mit der lebendigsten
Ueberzeugung des Wachseins verknüpft. Ich gebrauchte selten etwas, was als
Kopfkissen hätte gelten können, ein Tuch, eine Mütze oder dergleichen, denn
dieses Ersatzstück verlor sich doch von seinem Platz. So war der Hals und der
Ansatz des Kopfes im Nacken nicht unterstützt, die durch das Körpergewicht
straff angezogene Hängematte ging frei weggespannt über diese Stelle, und oben
oder zur Seite lag der Kopf schwer auf, gleichsam wie ein besonderer Körper
für sich. Wahrscheinlich ist in dieser unbequemen Lage die Erklärung enthalten.

Ich hatte einen leisen Schlaf und stand als guter Hausvater auch zuerst
auf, um Manoel zu wecken, dass er den Mate aufsetze. Schlaftrunken blies der
Junge die Asche an und hatte bald sein kochendes Wasser. Dann erschallte
mein Trompetchen in gellenden Tönen und Fazendinha, der Spitz, sang zur Be-
gleitung sein Morgenlied. Die geübtesten Fährtensucher brachen auf, die Maul-
tiere zu holen, wir banden die Hängematten los, packten die Decken ein, wuschen
uns im Bach mit Seife und, um zu sparen, auch mit Sand, vielleicht kostbarem

mässig schwirrt das ununterbrochene Zirpen der Zikaden, zuweilen mischt sich
das ferne Geklingel der Madrinha hinein.

Finster ist es nur im Gebüsch und unter den Bäumen, wo als formlos un-
deutliche Masse der Wall der Gepäckstücke und Sättel liegt; das Feuer ist bis
auf einen glimmenden Holzkloben erloschen. Durch die schwarzen Aeste über
unserer Hängematte blickt der funkelnde Sternenhimmel, wie körperliche Schatten-
arme recken sie sich in die Luft, und unter ihnen weg schweift das Auge über
die dunkle Hochebene, auf der fernhin die roten Glutlinien des fortschreitenden
Grasbrandes leuchten; zuweilen flackert es empor in wabernder Lohe, kriecht über
einen Hügel und dehnt sich wieder lang zu einer dünnen Schlange aus, deutlich
erkennt man Hochöfen, Bahnhöfe, verfolgt die Signallaternen der Schienenwege
und bemerkt gar hier und da festlich illuminierte Gartenlokale. O Traum des
Matogrosso, wann wirst du die Wirklichkeit gewinnen, die länger anhält als ein
nächtliches Phantasma? Der Dr. Carlos, hofften die Cuyabaner, werde den Schingú
entlang das beste Terrain für die Eisenbahn nach Pará finden. Er fand mehr,
er hat in mancher Nacht die Bahn schon fertig und im schönsten Betrieb den
Sertão durchziehen sehen, aber er ist zum Unglück, wenn er so weit war, immer
rasch eingeschlafen.

Und dann in seinem wirklichen Traum, löste er mit sicherer Eleganz ein
Problem, das viel wichtiger ist als die Eisenbahn im Matogrosso. Er flog. Er
flog mehrere Stockwerke die Treppe hinunter, ohne den Boden zu berühren und
lenkte scharf um die Ecken, ohne anzustossen, er flog draussen zu den Dächern
empor und über sie hinweg, ja er war sich dabei immer auf das Bestimmteste
bewusst, nicht etwa zu träumen, und liess sich einmal sogar von dem Direktor Renz
engagiren, um die neue herrliche Kunst im Zirkus zu zeigen, wo sie freilich im
entscheidenden Augenblick versagte, und die Menschenmenge den armen Erfinder
mit brausendem Gelächter verhöhnte. Der Traum des Fliegens war für mich in
der Hängematte geradezu ein Gewohnheitstraum und immer mit der lebendigsten
Ueberzeugung des Wachseins verknüpft. Ich gebrauchte selten etwas, was als
Kopfkissen hätte gelten können, ein Tuch, eine Mütze oder dergleichen, denn
dieses Ersatzstück verlor sich doch von seinem Platz. So war der Hals und der
Ansatz des Kopfes im Nacken nicht unterstützt, die durch das Körpergewicht
straff angezogene Hängematte ging frei weggespannt über diese Stelle, und oben
oder zur Seite lag der Kopf schwer auf, gleichsam wie ein besonderer Körper
für sich. Wahrscheinlich ist in dieser unbequemen Lage die Erklärung enthalten.

Ich hatte einen leisen Schlaf und stand als guter Hausvater auch zuerst
auf, um Manoel zu wecken, dass er den Mate aufsetze. Schlaftrunken blies der
Junge die Asche an und hatte bald sein kochendes Wasser. Dann erschallte
mein Trompetchen in gellenden Tönen und Fazendinha, der Spitz, sang zur Be-
gleitung sein Morgenlied. Die geübtesten Fährtensucher brachen auf, die Maul-
tiere zu holen, wir banden die Hängematten los, packten die Decken ein, wuschen
uns im Bach mit Seife und, um zu sparen, auch mit Sand, vielleicht kostbarem

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[40/0066] mässig schwirrt das ununterbrochene Zirpen der Zikaden, zuweilen mischt sich das ferne Geklingel der Madrinha hinein. Finster ist es nur im Gebüsch und unter den Bäumen, wo als formlos un- deutliche Masse der Wall der Gepäckstücke und Sättel liegt; das Feuer ist bis auf einen glimmenden Holzkloben erloschen. Durch die schwarzen Aeste über unserer Hängematte blickt der funkelnde Sternenhimmel, wie körperliche Schatten- arme recken sie sich in die Luft, und unter ihnen weg schweift das Auge über die dunkle Hochebene, auf der fernhin die roten Glutlinien des fortschreitenden Grasbrandes leuchten; zuweilen flackert es empor in wabernder Lohe, kriecht über einen Hügel und dehnt sich wieder lang zu einer dünnen Schlange aus, deutlich erkennt man Hochöfen, Bahnhöfe, verfolgt die Signallaternen der Schienenwege und bemerkt gar hier und da festlich illuminierte Gartenlokale. O Traum des Matogrosso, wann wirst du die Wirklichkeit gewinnen, die länger anhält als ein nächtliches Phantasma? Der Dr. Carlos, hofften die Cuyabaner, werde den Schingú entlang das beste Terrain für die Eisenbahn nach Pará finden. Er fand mehr, er hat in mancher Nacht die Bahn schon fertig und im schönsten Betrieb den Sertão durchziehen sehen, aber er ist zum Unglück, wenn er so weit war, immer rasch eingeschlafen. Und dann in seinem wirklichen Traum, löste er mit sicherer Eleganz ein Problem, das viel wichtiger ist als die Eisenbahn im Matogrosso. Er flog. Er flog mehrere Stockwerke die Treppe hinunter, ohne den Boden zu berühren und lenkte scharf um die Ecken, ohne anzustossen, er flog draussen zu den Dächern empor und über sie hinweg, ja er war sich dabei immer auf das Bestimmteste bewusst, nicht etwa zu träumen, und liess sich einmal sogar von dem Direktor Renz engagiren, um die neue herrliche Kunst im Zirkus zu zeigen, wo sie freilich im entscheidenden Augenblick versagte, und die Menschenmenge den armen Erfinder mit brausendem Gelächter verhöhnte. Der Traum des Fliegens war für mich in der Hängematte geradezu ein Gewohnheitstraum und immer mit der lebendigsten Ueberzeugung des Wachseins verknüpft. Ich gebrauchte selten etwas, was als Kopfkissen hätte gelten können, ein Tuch, eine Mütze oder dergleichen, denn dieses Ersatzstück verlor sich doch von seinem Platz. So war der Hals und der Ansatz des Kopfes im Nacken nicht unterstützt, die durch das Körpergewicht straff angezogene Hängematte ging frei weggespannt über diese Stelle, und oben oder zur Seite lag der Kopf schwer auf, gleichsam wie ein besonderer Körper für sich. Wahrscheinlich ist in dieser unbequemen Lage die Erklärung enthalten. Ich hatte einen leisen Schlaf und stand als guter Hausvater auch zuerst auf, um Manoel zu wecken, dass er den Mate aufsetze. Schlaftrunken blies der Junge die Asche an und hatte bald sein kochendes Wasser. Dann erschallte mein Trompetchen in gellenden Tönen und Fazendinha, der Spitz, sang zur Be- gleitung sein Morgenlied. Die geübtesten Fährtensucher brachen auf, die Maul- tiere zu holen, wir banden die Hängematten los, packten die Decken ein, wuschen uns im Bach mit Seife und, um zu sparen, auch mit Sand, vielleicht kostbarem

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Zitationshilfe: Steinen, Karl von den: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens. Berlin, 1894, S. 40. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinen_naturvoelker_1894/66>, abgerufen am 26.11.2024.