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Steinen, Karl von den: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens. Berlin, 1894.

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Wilhelm auf den Fingern, die Hunde stimmten gellend ein, ich besang den
Jubilar in einigen schon durch den Reim Brasilien: Familien gebotenen Versen,
und zu alledem gab es noch einen Schnaps, der den alten Januario zu einem
lauten, der Himmel weiss, wo aufgeschnappten "hip, hip, hurrah" begeisterte.
Das Geburtstagskind wurde auch mit einem Packetchen Zigaretten und einem
Stück amerikanischen Tabaks beschenkt und durfte in einer Tasse Kaffee einen
noch aufgesparten Rest Zucker trinken.

Ja, es war ein schönes und lustiges Dasein in unsern billigen Nachtquartieren.
Wenn das Essen abgetragen war, Jeder sein Besteck im Bach gespült, Manoel
die Teller gewaschen hatte -- der Schlingel gebrauchte für die Reinigung seines
Kochgeschirrs Seife wie wir bei dem rapiden Verbrauch dieses Artikels eines
Tages feststellten, ja er hatte die gerupften und ausgenommenen Vögel aussen
und innen mit Seife gewaschen -- wenn die Nacht sich tiefer und tiefer über
unser in der Einsamkeit verlorenes Lagerbildchen senkte, dann schaukelten wir
uns urbehaglich in unsern Hängematten und allerlei Wechselrede flog herüber
und hinüber. Jagdabenteuer -- besonders schön war es, wie Perrot von einem
über den Fluss überhängenden Baum herabfiel und sich auf einen Alligator
setzte -- und das Tierleben kamen in erster Reihe: als von allgemeinerem Interesse
möge die bestimmte Behauptung erwähnt sein, dass sich Jaguar und Puma häufig
kreuzen; auch zwischen der eingewanderten Ratte und Cavia Aperea sollen
Kreuzungen vorkommen. Perrot's Schilderungen ferner von den Schrecken des
Paraguaykrieges, von den Mordthaten des Tyrannen Lopez, den sein an den Rand
der Vernichtung getriebenes Volk noch heute als Heros verehrt und an dessen
Tod es nicht glauben will, Indianergeschichten, unsere Zukunftspläne, der Verlauf
der Flüsse und Chapadoes, la societe de Cuyaba, Reiseerlebnisse und natürlich
die Heimat -- alles das waren unerschöpfliche Themata, und ging einmal der
Plauderstoff aus, so brauchte man nur Ehrenreich's wohlassortirten Anekdoten-
kasten anzutippen und es quoll hervor ohn' Ende wie aus dem Hut eines Taschen-
spielers: Wippchen, Geheimrats-Jette, der urkomische Bendix, die Goldene 110 --
wehe wenn sie losgelassen, da gab es kein Einhalten.

Längst waren wir verstummt, dann war seitab, wo die Leute um das Feuer
sassen und die Bohnen zum Frühstück kochten, die Unterhaltung noch im vollen
Gange. Laut klang die Stimme eines Haupterzählers herüber, prächtig nach-
ahmend, alle Affekte durchlaufend und, wenn die Pointe kam, mit Triumph in
die höchste Fistel überspringend; kräftig setzte der Beifall der Andern ein, man
hörte sie lachen und ausspucken: "o que ladrao, oh, was für ein Spitzbube!"
"Nur die Neger und die Deutschen können lachen", behauptete Ehrenreich.

Allmählich wird es still. Im Walde flötet mit vollen, klaren und ganz
menschenähnlichen Tönen der Joho, Crypturus noctivagus; er setzt die ganze
Nacht nicht aus, und, wenn er Abends beginnt, hat sein immer gleichmässiger
Ruf die unfehlbare Wirkung, dass jedermann ihn nachpfeift. Kein Lüftchen regt
sich, doch knattert es in den Fächern der Buritipalmen wie leiser Regen, maschinen-

Wilhelm auf den Fingern, die Hunde stimmten gellend ein, ich besang den
Jubilar in einigen schon durch den Reim Brasilien: Familien gebotenen Versen,
und zu alledem gab es noch einen Schnaps, der den alten Januario zu einem
lauten, der Himmel weiss, wo aufgeschnappten »hip, hip, hurrah« begeisterte.
Das Geburtstagskind wurde auch mit einem Packetchen Zigaretten und einem
Stück amerikanischen Tabaks beschenkt und durfte in einer Tasse Kaffee einen
noch aufgesparten Rest Zucker trinken.

Ja, es war ein schönes und lustiges Dasein in unsern billigen Nachtquartieren.
Wenn das Essen abgetragen war, Jeder sein Besteck im Bach gespült, Manoel
die Teller gewaschen hatte — der Schlingel gebrauchte für die Reinigung seines
Kochgeschirrs Seife wie wir bei dem rapiden Verbrauch dieses Artikels eines
Tages feststellten, ja er hatte die gerupften und ausgenommenen Vögel aussen
und innen mit Seife gewaschen — wenn die Nacht sich tiefer und tiefer über
unser in der Einsamkeit verlorenes Lagerbildchen senkte, dann schaukelten wir
uns urbehaglich in unsern Hängematten und allerlei Wechselrede flog herüber
und hinüber. Jagdabenteuer — besonders schön war es, wie Perrot von einem
über den Fluss überhängenden Baum herabfiel und sich auf einen Alligator
setzte — und das Tierleben kamen in erster Reihe: als von allgemeinerem Interesse
möge die bestimmte Behauptung erwähnt sein, dass sich Jaguar und Puma häufig
kreuzen; auch zwischen der eingewanderten Ratte und Cavia Aperea sollen
Kreuzungen vorkommen. Perrot’s Schilderungen ferner von den Schrecken des
Paraguaykrieges, von den Mordthaten des Tyrannen Lopez, den sein an den Rand
der Vernichtung getriebenes Volk noch heute als Heros verehrt und an dessen
Tod es nicht glauben will, Indianergeschichten, unsere Zukunftspläne, der Verlauf
der Flüsse und Chapadões, la société de Cuyabá, Reiseerlebnisse und natürlich
die Heimat — alles das waren unerschöpfliche Themata, und ging einmal der
Plauderstoff aus, so brauchte man nur Ehrenreich’s wohlassortirten Anekdoten-
kasten anzutippen und es quoll hervor ohn’ Ende wie aus dem Hut eines Taschen-
spielers: Wippchen, Geheimrats-Jette, der urkomische Bendix, die Goldene 110 —
wehe wenn sie losgelassen, da gab es kein Einhalten.

Längst waren wir verstummt, dann war seitab, wo die Leute um das Feuer
sassen und die Bohnen zum Frühstück kochten, die Unterhaltung noch im vollen
Gange. Laut klang die Stimme eines Haupterzählers herüber, prächtig nach-
ahmend, alle Affekte durchlaufend und, wenn die Pointe kam, mit Triumph in
die höchste Fistel überspringend; kräftig setzte der Beifall der Andern ein, man
hörte sie lachen und ausspucken: »o que ladrão, oh, was für ein Spitzbube!«
»Nur die Neger und die Deutschen können lachen«, behauptete Ehrenreich.

Allmählich wird es still. Im Walde flötet mit vollen, klaren und ganz
menschenähnlichen Tönen der Johó, Crypturus noctivagus; er setzt die ganze
Nacht nicht aus, und, wenn er Abends beginnt, hat sein immer gleichmässiger
Ruf die unfehlbare Wirkung, dass jedermann ihn nachpfeift. Kein Lüftchen regt
sich, doch knattert es in den Fächern der Buritípalmen wie leiser Regen, maschinen-

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Zitationshilfe: Steinen, Karl von den: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens. Berlin, 1894, S. 39. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinen_naturvoelker_1894/65>, abgerufen am 26.11.2024.