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Steinen, Karl von den: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens. Berlin, 1894.

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einige sehr schöne, mit künstlerischen schwarzgelben Flechtmustern ausgestattete
Sieb- und Korbschalen dem "Capitao grande" oder vielmehr der Donna Carmina
verehrt hatten. Wie schon erwähnt, bilden die Siebe, die "peneiras", die Haupt-
spezialität der Paressi für den Tauschhandel mit den Brasiliern. Die Muster sind
ähnlich denen der sprachverwandten Aruak in den Guyanas durch Reichhaltigkeit
der Erfindung ausgezeichnet. Wir erhielten ausser den Stücken der Tracht eine
Kiepe, koho, beutelförmig, aus Bambusstreifen geflochten und an einem über die
Stirn verlaufenden Baststreifen getragen, ein gewebtes Umhängetäschchen, eine
Hängematte, ein paar aus fünf Rohren (grösstes 40, kleinstes 28 cm) zusammen-
gesetzte Pansflötchen, eine mit Rohr umwickelte Rolle festgepressten Tabaks, wie
man sie am Amazonas herrichtet, endlich einen Kinderbogen mit Kinderpfeilen.
Die Hängematte war aus Baumwolle, nach Art der Bakairi-Hängematte gewebt,
aber aus dünnen Fäden und deshalb ausserordentlich leicht. Bogen und Pfeile,
sagten die Indianer, würden in ihrem Dorf fast nur noch von Kindern gebraucht.
Die Pfeile waren aus sehr dünnem Kambayuva-Rohr (grösste 1,1 m), die Bogen,
nicht ganz 1,5 m lang, auf dem Rücken konvex und flach auf der Sehnenseite.

Die Häuser scheinen die Bauart des brasilischen Rancho zu haben, mit
langem Giebeldach. Die Kanus sind aus Jatoba-Rinde (misa) oder Holz. Hänge-
matten, Webstoffe, Töpfe werden von den Frauen, Siebe und Körbe von den
Männern gemacht. Letztere roden den Wald, die Frauen pflanzen.

Die Unterhaltung mit den Indianern hatte grosse Schwierigkeiten, da sie
zwar sehr bereitwillig und gutmütig waren, aber, von Cuyabaner Bürgern be-
wirtet, stark angezecht zu uns kamen, für ihre Dienste neuen Schnaps bean-
spruchten, diesen wie Limonade hinuntergossen und nun in einen andauernden
Duselzustand gerieten. Auch Maria Kalara und Maria Theresa stolperten be-
trunken durch das Haus und sanken mit verklärt stupiden Gesichtern in einen
unserer Lehnsessel. Glücklicher Weise waren sie auch durch andere Reizmittel
zu gewinnen; Perlen liebten sie am meisten und leere Flaschen, die sie in grosser
Anzahl mitnahmen.

Die berauschenden Getränke, die sie zu Hause verwenden und die den
"Weinen" des Antonio Pires entsprechen, sind Mandioka oder Mais- "Kaschiri";
man stellt durch Kochen einen Absud von den Früchten her und regt die Gährung
an, indem man gekaute Beijus oder Maiskörner zusetzt. Diese Getränke -- sie
machen schlechte Zähne, klagten die Paressi -- werden in grossen Massen ver-
tilgt. Die Hauptfeste sollen im Oktober und im April stattfinden. Es gebe Tänze
für die Männer allein und solche mit Beteiligung der Frauen. Bei ihrer angeregten
Stimmung machte es unsern Gästen viel Vergnügen, uns etwas vorzutanzen. Sie
gingen zu dreien Arm in Arm, zwei bliesen auf der Pansflöte melodiös hingezogene
Töne, indem sie leicht über die Flöte wegzublasen schienen, der dritte stampfte
den Takt. Abwechselnd machten sie wenige Schritte vorwärts und zurück.

Die Tänze kommandieren die Häuptlinge, für die sie ausser den beiden
Bezeichnungen hariti und amure bei dieser Gelegenheit noch eine dritte kakuaritihe

v. d. Steinen, Zentral-Brasilien. 28

einige sehr schöne, mit künstlerischen schwarzgelben Flechtmustern ausgestattete
Sieb- und Korbschalen dem »Capitão grande« oder vielmehr der Donna Carmina
verehrt hatten. Wie schon erwähnt, bilden die Siebe, die »peneiras«, die Haupt-
spezialität der Paressí für den Tauschhandel mit den Brasiliern. Die Muster sind
ähnlich denen der sprachverwandten Aruak in den Guyanas durch Reichhaltigkeit
der Erfindung ausgezeichnet. Wir erhielten ausser den Stücken der Tracht eine
Kiepe, kohó, beutelförmig, aus Bambusstreifen geflochten und an einem über die
Stirn verlaufenden Baststreifen getragen, ein gewebtes Umhängetäschchen, eine
Hängematte, ein paar aus fünf Rohren (grösstes 40, kleinstes 28 cm) zusammen-
gesetzte Pansflötchen, eine mit Rohr umwickelte Rolle festgepressten Tabaks, wie
man sie am Amazonas herrichtet, endlich einen Kinderbogen mit Kinderpfeilen.
Die Hängematte war aus Baumwolle, nach Art der Bakaïrí-Hängematte gewebt,
aber aus dünnen Fäden und deshalb ausserordentlich leicht. Bogen und Pfeile,
sagten die Indianer, würden in ihrem Dorf fast nur noch von Kindern gebraucht.
Die Pfeile waren aus sehr dünnem Kambayuva-Rohr (grösste 1,1 m), die Bogen,
nicht ganz 1,5 m lang, auf dem Rücken konvex und flach auf der Sehnenseite.

Die Häuser scheinen die Bauart des brasilischen Rancho zu haben, mit
langem Giebeldach. Die Kanus sind aus Jatobá-Rinde (misá) oder Holz. Hänge-
matten, Webstoffe, Töpfe werden von den Frauen, Siebe und Körbe von den
Männern gemacht. Letztere roden den Wald, die Frauen pflanzen.

Die Unterhaltung mit den Indianern hatte grosse Schwierigkeiten, da sie
zwar sehr bereitwillig und gutmütig waren, aber, von Cuyabaner Bürgern be-
wirtet, stark angezecht zu uns kamen, für ihre Dienste neuen Schnaps bean-
spruchten, diesen wie Limonade hinuntergossen und nun in einen andauernden
Duselzustand gerieten. Auch Maria Kalara und Maria Theresa stolperten be-
trunken durch das Haus und sanken mit verklärt stupiden Gesichtern in einen
unserer Lehnsessel. Glücklicher Weise waren sie auch durch andere Reizmittel
zu gewinnen; Perlen liebten sie am meisten und leere Flaschen, die sie in grosser
Anzahl mitnahmen.

Die berauschenden Getränke, die sie zu Hause verwenden und die den
»Weinen« des Antonio Pires entsprechen, sind Mandioka oder Mais- »Kaschirí«;
man stellt durch Kochen einen Absud von den Früchten her und regt die Gährung
an, indem man gekaute Beijús oder Maiskörner zusetzt. Diese Getränke — sie
machen schlechte Zähne, klagten die Paressí — werden in grossen Massen ver-
tilgt. Die Hauptfeste sollen im Oktober und im April stattfinden. Es gebe Tänze
für die Männer allein und solche mit Beteiligung der Frauen. Bei ihrer angeregten
Stimmung machte es unsern Gästen viel Vergnügen, uns etwas vorzutanzen. Sie
gingen zu dreien Arm in Arm, zwei bliesen auf der Pansflöte melodiös hingezogene
Töne, indem sie leicht über die Flöte wegzublasen schienen, der dritte stampfte
den Takt. Abwechselnd machten sie wenige Schritte vorwärts und zurück.

Die Tänze kommandieren die Häuptlinge, für die sie ausser den beiden
Bezeichnungen harití und amuré bei dieser Gelegenheit noch eine dritte kakuáritihé

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[433/0497] einige sehr schöne, mit künstlerischen schwarzgelben Flechtmustern ausgestattete Sieb- und Korbschalen dem »Capitão grande« oder vielmehr der Donna Carmina verehrt hatten. Wie schon erwähnt, bilden die Siebe, die »peneiras«, die Haupt- spezialität der Paressí für den Tauschhandel mit den Brasiliern. Die Muster sind ähnlich denen der sprachverwandten Aruak in den Guyanas durch Reichhaltigkeit der Erfindung ausgezeichnet. Wir erhielten ausser den Stücken der Tracht eine Kiepe, kohó, beutelförmig, aus Bambusstreifen geflochten und an einem über die Stirn verlaufenden Baststreifen getragen, ein gewebtes Umhängetäschchen, eine Hängematte, ein paar aus fünf Rohren (grösstes 40, kleinstes 28 cm) zusammen- gesetzte Pansflötchen, eine mit Rohr umwickelte Rolle festgepressten Tabaks, wie man sie am Amazonas herrichtet, endlich einen Kinderbogen mit Kinderpfeilen. Die Hängematte war aus Baumwolle, nach Art der Bakaïrí-Hängematte gewebt, aber aus dünnen Fäden und deshalb ausserordentlich leicht. Bogen und Pfeile, sagten die Indianer, würden in ihrem Dorf fast nur noch von Kindern gebraucht. Die Pfeile waren aus sehr dünnem Kambayuva-Rohr (grösste 1,1 m), die Bogen, nicht ganz 1,5 m lang, auf dem Rücken konvex und flach auf der Sehnenseite. Die Häuser scheinen die Bauart des brasilischen Rancho zu haben, mit langem Giebeldach. Die Kanus sind aus Jatobá-Rinde (misá) oder Holz. Hänge- matten, Webstoffe, Töpfe werden von den Frauen, Siebe und Körbe von den Männern gemacht. Letztere roden den Wald, die Frauen pflanzen. Die Unterhaltung mit den Indianern hatte grosse Schwierigkeiten, da sie zwar sehr bereitwillig und gutmütig waren, aber, von Cuyabaner Bürgern be- wirtet, stark angezecht zu uns kamen, für ihre Dienste neuen Schnaps bean- spruchten, diesen wie Limonade hinuntergossen und nun in einen andauernden Duselzustand gerieten. Auch Maria Kalara und Maria Theresa stolperten be- trunken durch das Haus und sanken mit verklärt stupiden Gesichtern in einen unserer Lehnsessel. Glücklicher Weise waren sie auch durch andere Reizmittel zu gewinnen; Perlen liebten sie am meisten und leere Flaschen, die sie in grosser Anzahl mitnahmen. Die berauschenden Getränke, die sie zu Hause verwenden und die den »Weinen« des Antonio Pires entsprechen, sind Mandioka oder Mais- »Kaschirí«; man stellt durch Kochen einen Absud von den Früchten her und regt die Gährung an, indem man gekaute Beijús oder Maiskörner zusetzt. Diese Getränke — sie machen schlechte Zähne, klagten die Paressí — werden in grossen Massen ver- tilgt. Die Hauptfeste sollen im Oktober und im April stattfinden. Es gebe Tänze für die Männer allein und solche mit Beteiligung der Frauen. Bei ihrer angeregten Stimmung machte es unsern Gästen viel Vergnügen, uns etwas vorzutanzen. Sie gingen zu dreien Arm in Arm, zwei bliesen auf der Pansflöte melodiös hingezogene Töne, indem sie leicht über die Flöte wegzublasen schienen, der dritte stampfte den Takt. Abwechselnd machten sie wenige Schritte vorwärts und zurück. Die Tänze kommandieren die Häuptlinge, für die sie ausser den beiden Bezeichnungen harití und amuré bei dieser Gelegenheit noch eine dritte kakuáritihé v. d. Steinen, Zentral-Brasilien. 28

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Zitationshilfe: Steinen, Karl von den: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens. Berlin, 1894, S. 433. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinen_naturvoelker_1894/497>, abgerufen am 25.11.2024.