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Steinen, Karl von den: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens. Berlin, 1894.

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Das Reh hatte Durst und suchte sich Wasser. Da fand es den Bagadu (in
einem Seitenarm des Flusses, wo er bei hohem Wasserstand hineingegangen war
und jetzt bei niedrigem nicht mehr herauskonnte). Der Bagadu lag auf dem
Trocknen und schnappte nach Luft. Da sagte er zum Reh: "Trag mich!
Flicht eine Bastschlinge, um mich zu tragen." Nachdem das Reh sie aus
Embira geflochten, packte es den Bagadu auf seinen Rücken und brachte ihn
zum Abhang des Beiju-Flusses. "Hier möchte ich gern ausruhen," sagte es.
(Das Reh fürchtete sich, auf den Grund des Flusses hinunterzugehen.) Der
Bagadu aber hatte keine Lust. So sprachen sie und schritten den Abhang hinab.
Unten stürzten sie sich in den Fluss. Das Reh fühlte sich wohl in den Wellen.
So nahm der Bagadu das Reh mit zu seiner Wohnung. Als sie angelangt
waren, trank das Reh Pogu. Auch ass es Beiju. (Beides waren ihm noch
unbekannte Genüsse.) Der Bagadu nahm das Reh mit auf die Mandioka-
pflanzung; es lief hinter ihm drein. Als sie die Mandioka sahen, brachen
sie Zweige ab und banden drei zusammen. Nun gingen sie nach Hause.
"Morgen will ich gehen," sagte das Reh und schlief die Nacht noch im Hause
des Bagadu. Am andern Morgen sagte der Bagadu "Nimm die Mandioka-
zweige mit. Fälle Holz, und dann pflanze sie." "Wenn sie gut gepflanzt sind,
hast Du bald die Mandioka", erklärte er. "Lebewohl!" sagte der Bagadu zum
Reh. Es stieg aus dem Wasser heraus. "Wohlan, so geh!" "Ich kehre heim",
sagte es. Doch legte es die Zweige auf einen Haufen zusammen am Ufer
nieder; es wurde allein damit nicht fertig und kam auch erst spät am Abend
nach seiner Wohnung. Bald kehrte es an den Ort zurück mit seinem Sohne
und beide trugen die Zweige nach Hause. Sie ruhten sich eine Weile aus,
dann fällten sie Holz im Kamp. (Eine grosse Dummheit in den Augen der
Bakairi, über die herzlich gelacht wurde.) Die Mandioka gedeiht aber nicht
im Kamp. Darum fällten sie nun Bäume im Wald. Sie machten Feuer, brannten
das Holz ab und pflanzten.

Jetzt war das Reh Herr der Mandioka. Keri begegnete ihm und wollte
davon haben. Denn der Beiju Keri's war bis dahin aus der roten Erde ge-
wesen, die es am Salto des Paranatinga giebt. Aber als die Beiden darüber
sprachen, gerieten sie in Streit. Das Reh wollte die Mandioka nicht hergeben.
Da wurde Keri böse, packte das Reh am Hals und blies: da hatte es auf ein-
mal sein Geweih. Keri aber lachte und rief: "So sieht der Herr der Mandioka
aus", nahm die Mandioka mit und schenkte sie den Frauen der Bakairi und
zeigte ihnen, wie er vom Reh gelernt hatte, was sie machen mussten, damit
sie nicht an dem Gift stürben. "Das Reh aber hat jetzt sein Geweih,
frisst Blätter und nagt Rinde von den Zweigen
."

Dem Reh hat man also, weil es Blätter und Rinde frisst, am ersten die
Fähigkeit zugetraut, das Gift aus der Mandioka zu entfernen. Antonio war fest
überzeugt, dass das Reh die Behandlung der Mandioka genau gekannt und Keri
gezeigt habe. Erst von Keri lernten es die Bakairifrauen.


Das Reh hatte Durst und suchte sich Wasser. Da fand es den Bagadú (in
einem Seitenarm des Flusses, wo er bei hohem Wasserstand hineingegangen war
und jetzt bei niedrigem nicht mehr herauskonnte). Der Bagadú lag auf dem
Trocknen und schnappte nach Luft. Da sagte er zum Reh: »Trag mich!
Flicht eine Bastschlinge, um mich zu tragen.« Nachdem das Reh sie aus
Embira geflochten, packte es den Bagadú auf seinen Rücken und brachte ihn
zum Abhang des Beijú-Flusses. »Hier möchte ich gern ausruhen,« sagte es.
(Das Reh fürchtete sich, auf den Grund des Flusses hinunterzugehen.) Der
Bagadú aber hatte keine Lust. So sprachen sie und schritten den Abhang hinab.
Unten stürzten sie sich in den Fluss. Das Reh fühlte sich wohl in den Wellen.
So nahm der Bagadú das Reh mit zu seiner Wohnung. Als sie angelangt
waren, trank das Reh Pogu. Auch ass es Beijú. (Beides waren ihm noch
unbekannte Genüsse.) Der Bagadú nahm das Reh mit auf die Mandioka-
pflanzung; es lief hinter ihm drein. Als sie die Mandioka sahen, brachen
sie Zweige ab und banden drei zusammen. Nun gingen sie nach Hause.
»Morgen will ich gehen,« sagte das Reh und schlief die Nacht noch im Hause
des Bagadú. Am andern Morgen sagte der Bagadú »Nimm die Mandioka-
zweige mit. Fälle Holz, und dann pflanze sie.« »Wenn sie gut gepflanzt sind,
hast Du bald die Mandioka«, erklärte er. »Lebewohl!« sagte der Bagadú zum
Reh. Es stieg aus dem Wasser heraus. »Wohlan, so geh!« »Ich kehre heim«,
sagte es. Doch legte es die Zweige auf einen Haufen zusammen am Ufer
nieder; es wurde allein damit nicht fertig und kam auch erst spät am Abend
nach seiner Wohnung. Bald kehrte es an den Ort zurück mit seinem Sohne
und beide trugen die Zweige nach Hause. Sie ruhten sich eine Weile aus,
dann fällten sie Holz im Kamp. (Eine grosse Dummheit in den Augen der
Bakaïrí, über die herzlich gelacht wurde.) Die Mandioka gedeiht aber nicht
im Kamp. Darum fällten sie nun Bäume im Wald. Sie machten Feuer, brannten
das Holz ab und pflanzten.

Jetzt war das Reh Herr der Mandioka. Keri begegnete ihm und wollte
davon haben. Denn der Beijú Keri’s war bis dahin aus der roten Erde ge-
wesen, die es am Salto des Paranatinga giebt. Aber als die Beiden darüber
sprachen, gerieten sie in Streit. Das Reh wollte die Mandioka nicht hergeben.
Da wurde Keri böse, packte das Reh am Hals und blies: da hatte es auf ein-
mal sein Geweih. Keri aber lachte und rief: »So sieht der Herr der Mandioka
aus«, nahm die Mandioka mit und schenkte sie den Frauen der Bakaïrí und
zeigte ihnen, wie er vom Reh gelernt hatte, was sie machen mussten, damit
sie nicht an dem Gift stürben. »Das Reh aber hat jetzt sein Geweih,
frisst Blätter und nagt Rinde von den Zweigen

Dem Reh hat man also, weil es Blätter und Rinde frisst, am ersten die
Fähigkeit zugetraut, das Gift aus der Mandioka zu entfernen. Antonio war fest
überzeugt, dass das Reh die Behandlung der Mandioka genau gekannt und Keri
gezeigt habe. Erst von Keri lernten es die Bakaïrífrauen.


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[382/0446] Das Reh hatte Durst und suchte sich Wasser. Da fand es den Bagadú (in einem Seitenarm des Flusses, wo er bei hohem Wasserstand hineingegangen war und jetzt bei niedrigem nicht mehr herauskonnte). Der Bagadú lag auf dem Trocknen und schnappte nach Luft. Da sagte er zum Reh: »Trag mich! Flicht eine Bastschlinge, um mich zu tragen.« Nachdem das Reh sie aus Embira geflochten, packte es den Bagadú auf seinen Rücken und brachte ihn zum Abhang des Beijú-Flusses. »Hier möchte ich gern ausruhen,« sagte es. (Das Reh fürchtete sich, auf den Grund des Flusses hinunterzugehen.) Der Bagadú aber hatte keine Lust. So sprachen sie und schritten den Abhang hinab. Unten stürzten sie sich in den Fluss. Das Reh fühlte sich wohl in den Wellen. So nahm der Bagadú das Reh mit zu seiner Wohnung. Als sie angelangt waren, trank das Reh Pogu. Auch ass es Beijú. (Beides waren ihm noch unbekannte Genüsse.) Der Bagadú nahm das Reh mit auf die Mandioka- pflanzung; es lief hinter ihm drein. Als sie die Mandioka sahen, brachen sie Zweige ab und banden drei zusammen. Nun gingen sie nach Hause. »Morgen will ich gehen,« sagte das Reh und schlief die Nacht noch im Hause des Bagadú. Am andern Morgen sagte der Bagadú »Nimm die Mandioka- zweige mit. Fälle Holz, und dann pflanze sie.« »Wenn sie gut gepflanzt sind, hast Du bald die Mandioka«, erklärte er. »Lebewohl!« sagte der Bagadú zum Reh. Es stieg aus dem Wasser heraus. »Wohlan, so geh!« »Ich kehre heim«, sagte es. Doch legte es die Zweige auf einen Haufen zusammen am Ufer nieder; es wurde allein damit nicht fertig und kam auch erst spät am Abend nach seiner Wohnung. Bald kehrte es an den Ort zurück mit seinem Sohne und beide trugen die Zweige nach Hause. Sie ruhten sich eine Weile aus, dann fällten sie Holz im Kamp. (Eine grosse Dummheit in den Augen der Bakaïrí, über die herzlich gelacht wurde.) Die Mandioka gedeiht aber nicht im Kamp. Darum fällten sie nun Bäume im Wald. Sie machten Feuer, brannten das Holz ab und pflanzten. Jetzt war das Reh Herr der Mandioka. Keri begegnete ihm und wollte davon haben. Denn der Beijú Keri’s war bis dahin aus der roten Erde ge- wesen, die es am Salto des Paranatinga giebt. Aber als die Beiden darüber sprachen, gerieten sie in Streit. Das Reh wollte die Mandioka nicht hergeben. Da wurde Keri böse, packte das Reh am Hals und blies: da hatte es auf ein- mal sein Geweih. Keri aber lachte und rief: »So sieht der Herr der Mandioka aus«, nahm die Mandioka mit und schenkte sie den Frauen der Bakaïrí und zeigte ihnen, wie er vom Reh gelernt hatte, was sie machen mussten, damit sie nicht an dem Gift stürben. »Das Reh aber hat jetzt sein Geweih, frisst Blätter und nagt Rinde von den Zweigen.« Dem Reh hat man also, weil es Blätter und Rinde frisst, am ersten die Fähigkeit zugetraut, das Gift aus der Mandioka zu entfernen. Antonio war fest überzeugt, dass das Reh die Behandlung der Mandioka genau gekannt und Keri gezeigt habe. Erst von Keri lernten es die Bakaïrífrauen.

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Zitationshilfe: Steinen, Karl von den: Unter den Naturvölkern Zentral-Brasiliens. Berlin, 1894, S. 382. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/steinen_naturvoelker_1894/446>, abgerufen am 19.05.2024.